Schwabmünchner Allgemeine

Wenn Österreich die Grenze dicht macht

Verkehr Zwischen Tirol und Bayern hat sich allerhand angestaut. Und das nicht nur am Montag auf der A93 in Richtung Brenner. Auf der Autobahn standen Lastwagen kilometerl­ang. Wegen der Blockabfer­tigung. Über sie wird nun auf dem Transitgip­fel in Berlin ge

- VON FABIAN HUBER

Kufstein Es ist Montag, 22. Juli, 8.15 Uhr – und auf der Autobahn 93 reiht sich Lastwagen an Lastwagen. Entnervt starren die Fahrer nach vorn. Oder auf ihre Handys. Einer hält seine Zigarette aus dem Fenster, balanciert sie mit den Fingern hin und her wie einen Schlagzeug-Stick. Was soll man schon groß tun, wenn der Grenzüberg­ang Kiefersfel­den/ Kufstein 15 Kilometer entfernt ist, der Weg dorthin und damit nach Österreich aber vermutlich eine Stunde dauern wird.

Es hat sich in letzter Zeit so einiges angestaut zwischen Deutschlan­d und Österreich, vor allem zwischen Bayern und Tirol. Und das nicht nur auf der rechten Fahrbahn der A93. Weil Tirol vor allem den Lkw-Verkehr über Inntal und Brenner einschränk­en will, gibt es immer wieder Blockabfer­tigungen. Heißt: Die Polizei drosselt auf der Inntalauto­bahn A12 an der Anschlusss­telle Kufstein-Nord den Schwerlast­verkehr in Richtung Innsbruck so, dass pro Stunde bloß noch bis zu 350 Lastwagen, die von Deutschlan­d kommen, auf ihr unterwegs sind.

Lange Rückstaus sind die Folge. Und an diesem Donnerstag der sogenannte Transitgip­fel in Berlin. Den hat Bundesverk­ehrsminist­er und CSU-Politiker Andreas Scheuer vorgeschla­gen und dazu den österreich­ischen Verkehrsmi­nister Andreas Reichhardt sowie den Tiroler Landeshaup­tmann Günther Platter eingeladen. Eine Deeskalati­onsmaßnahm­e. Zu bereden haben sie vieles. Auch, dass Platter seit Wochen samstags und sonntags Landstraße­n sperren lässt und so die Ausweichro­uten für den Durchreise­verkehr abriegelt, um die Dörfer an den Autobahnen zu entlasten.

Bis September soll es die PkwFahrver­bote geben, die Blockabfer­tigungen gehen weiter. Platter zeigt sich da unnachgieb­ig. Denn die Tiroler Autobahnen sind voll. In diesem Jahr werden voraussich­tlich alleine zweieinhal­b Millionen Lastwagen die Transitstr­ecke nach Italien passieren. „Die Grenzen der Belastbark­eit für Mensch, Natur und Infrastruk­tur sind erreicht“, sagt er, wenn man ihn danach fragt. Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer dagegen warf ihm vor einem Monat eine „Politkampa­gne“vor, nannte das Vorgehen Tirols „zutiefst diskrimini­erend“und drohte mit einer Klage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f.

Am Montag, einem von 32 Blockabfer­tigungster­minen im Jahr 2019, ist die Stimmung am Rastplatz Inntal-West, dem letzten vor der deutsch-österreich­ischen Grenze bei Kiefersfel­den, eingetrübt wie der Himmel über den Alpen. „We move Europe“, steht auf dem Sattelschl­epper von Gabi Semeniuc. Wir bewegen Europa. Seit Samstagmor­gen ist er auf dem Rastplatz. In Österreich gilt für Lkw neben einem Nacht- ein Wochenendf­ahrverbot. Der Rumäne muss ins ligurische Savona, Nordwestit­alien. Vier Stunden sei er mal durch die Blockabfer

aufgehalte­n worden. „Nervig!“Ein paar hundert Meter weiter, direkt hinter der Grenze, stehen zwei Tiroler Polizisten an einem provisoris­ch aufgebaute­n Container. Links brausen Autofahrer unbehellig­t in den Strandurla­ub, rechts rollen die 7,5-Tonner auf den Checkpoint zu. Es ist 9.28 Uhr, der Rückstau hat eine Länge von 22 Kilometern erreicht. Der „Tageshöchs­tpunkt“an diesem Blockabfer­tigungstag, teilt die Polizei später mit.

Die Beamten arbeiten mit Stoppuhr und Zähler. 300 Lastwagen pro Stunde lassen sie gerade nach Österreich. Hinter der Kontrollst­ation löst sich der Stau auf, der Verkehr fließt. Es ist wie im Waschbecke­n, wenn man den Stöpsel zieht.

An der ersten Raststatio­n in Österreich lehnt Valentin Momchilov an seiner Lkw-Tür. Zwei Stunden stand er auf der A93, jetzt muss er pausieren. „Mir läuft die Zeit davon, ich muss noch heute abladen“, sagt der Bulgare. Seit Tagen ist er unterwegs, in Griechenla­nd gestartet. Die einzigen Grenzprobl­eme habe es vor Tirol gegeben. Auch Roman Dil, der für eine deutsche Spedition zwei Mal wöchentlic­h nach Italien fährt, macht seinem Ärger Luft: „Wegen diesem Scheiß ist meine Woche kaputt!“Für ihn bedeuten die Blockabfer­tigungen Überstunde­n. Er verstehe es nicht.

„Es“zu verstehen, ist gar nicht so einfach. Der Verkehrsst­reit zwischen Tirol und Bayern schwelt seit langem, bricht hin und wieder aus und ist verworren. Bereits 2013 gab es mit dem „Pickerlstr­eit“ein Bayerisch-Tiroler Fingerhake­ln. Tirol weitete damals seine Vignettenp­flicht auf der Inntalauto­bahn bis zur deutschen Grenze aus, was vor allem Winterspor­tler aus Bayern traf. Zuvor hatte Horst Seehofer, seinerzeit bayerische­r Ministerpr­äsident, eine „Ausländer-Maut“ins

gebracht. Ausländisc­he Autofahrer sollten für die Benutzung deutscher Autobahnen zahlen, wie umgekehrt deutsche Autofahrer etwa in Österreich. Ein Wahlkampfs­chlager. Zur Einführung einer Pkw-Maut, bis vor kurzem ein Herzensanl­iegen der CSU, kam es nicht. Erst im Juni machte der Europäisch­e Gerichtsho­f den Bayern einen Strich durch die Rechnung. Geklagt hatte Österreich. Zu einer Befriedung des aktuellen Streits könnte eine „Korridorma­ut“von München bis Verona beitragen, wie sie Platter mehrfach gefordert hat. Sie soll den Lastwagenv­erkehr auf der gesamten Strecke verteuern und eine Verlagerun­g der Transporte auf die Schiene befördern. Bayerns CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder zeigt sich am Mittwoch zumindest offen für eine Prüfung. Im Gegenzug verlangt er von Tirol Bewegung in Sachen Blockabfer­tigung. Die verstoße geVerbindu­ng

gen Europarech­t. Eines der Probleme: Trotz einer Grundsatzv­ereinbarun­g von 2009 kommt der Bau der Nordzuläuf­e für den Brennerbas­istunnel, der den Güterverke­hr auf die Schiene verlagern soll, auf deutscher Seite nicht voran. „Deutschlan­d hat zehn Jahre geschlafen“, schimpft Platter.

Klaus Frank lässt das nicht gelten. Der 56-jährige Friedberge­r leitete einst eine Spedition, mittlerwei­le durchkreuz­t er die Alpen zwei bis drei Mal in der Woche mit dem Auto als Kundendien­stler. In Tirol habe man die Verkehrszu­nahme lange falsch kalkuliert und verkehrspo­litisch nicht nachvollzi­ehbare Entscheidu­ngen getroffen, sagt er und nennt Beispiele. Und tatsächlic­h mündet die A7 bei Füssen auf österreich­ischer Seite in eine Landstraße. Eigentlich sollte sie einst zu einer Autobahn ausgebaut werden. Auch eine belastbare West-OstSpiel

in Österreich von Bregenz in Richtung Innsbruck gibt es nicht. Also nehmen österreich­ische Lastwagenf­ahrer – die vergleichs­weise günstige Maut in Deutschlan­d kommt ihnen ganz gelegen – lieber einen Umweg über Lindau und München in Kauf, um nach Tirol oder gleich weiter nach Salzburg zu gelangen. „Damit wird genau der Verkehr erzeugt, der jetzt zu Blockabfer­tigungen führt“, meint Frank. Selbst die österreich­ische Post übt diese Praxis. 13 000 Fahrten jährlich würden so über deutsche Straßen abgewickel­t, bestätigt ein Sprecher.

Mit dem Verkehr, mit den Folgen der Blockabfer­tigung hat die Autobahnpo­lizei Rosenheim zu kämpfen. Die Polizeista­tion liegt etwa 30 Kilometer nördlich der Grenze direkt am Inntal-Dreieck, wo die A93 auf die A8 trifft. Wenn die Österreich­er an Blockabfer­tigungstag­en dicht machen, staut es sich manchmal hier. Oder, schlimmer noch, bereits am Irschenber­g. Am Montag gegen elf Uhr, sechs Stunden nach Beginn der Blockabfer­tigung, ist es recht ruhig. Einsatzlei­ter Sebastian Ludwig beobachtet die Bildschirm­e vor sich. Einer zeigt das Einsatzpro­tokoll: Staulänge, Durchlassk­apazitäten. Ein anderer eine interaktiv­e Karte: Der Grenzüberg­ang Kiefersfel­den/Kufstein ist gelb markiert. Bedeutet: gerade kein Rückstau. Ludwigs Kollegen müssen das Stauende absichern und dafür sorgen, dass die Lastwagenf­ahrer auf der rechten Spur bleiben. „Das sind Gefangene im eigenen Fahrzeug, die Ärmsten der Armen“, sagt der 36-Jährige. Viele würden im Stau einschlafe­n und so große Lücken reißen. Elf Polizisten regeln an diesem Tag den Verkehr auf der A 93. Früher waren es gut doppelt so viele. „Aber das ist personell nicht mehr zu stemmen. Wir alle haben auch noch einen normalen Schichttig­ung betrieb zu leisten“, sagt Ludwig. Auch er ärgert sich über den Verkehrsst­reit. „Die Devise ist: Kein Stau in Tirol. Wenn, dann Stau in Bayern.“

Wörgl, eine Tiroler Kleinstadt in der Nähe Kufsteins. Auch hier: Ärger. Aus anderen Gründen. „Einfach z’viel“, sei der Verkehr, klagt die Bedienung einer Konditorei in der Innenstadt. Ein Taxifahrer sagt: „Ein bisschen weniger Lkw“seien schon unterwegs. Die Spedition Berger hat ihren Sitz in einem Neubau, größer als das Wörgler Bahnhofsge­bäude daneben. Für Geschäftsf­ührer Markus Ley sind die Blockabfer­tigungen ebenfalls ein großes Thema. Er verstehe die Klagen der Bevölkerun­g über die Lastwagenu­nd Automassen, den Lärm, die Luftversch­mutzung. „Aber“, sagt er, „wir haben im Juni eines unserer schlechtes­ten Ergebnisse erwirtscha­ftet, was natürlich auch an der Blockabfer­tigung lag.“Er habe einen Filmbeitra­g über seine etwa 120 Fahrer drehen lassen wollen, erzählt er. Um auf die Probleme hinzuweise­n. „In diesen Lkw sitzen Menschen, die weder ihre Notdurft noch sonst etwas verrichten können. Mit einem Tier würde man wahrschein­lich nicht so umgehen.“Der 53-Jährige redet sich in Rage. Vom Tiroler Landeschef Platter heißt es lapidar: „Feststeht, dass kein Lkw wegen der Blockabfer­tigung auch nur eine Minute länger braucht.“

Ley glaubt nicht an eine eindämmend­e Wirkung der Blockabfer­tigung. „Nicht der Logistiker macht den Verkehr, sondern der Konsument. Jeder will in 24 Stunden sein Buch oder seine Brille. Niemand fragt sich, ob das alles Sinn macht. Das muss sich ändern.“Leys Lösungsans­ätze: Nachtfahrv­erbote in Österreich abschaffen. Schneller Bau der Nordzuläuf­e zum Brennerbas­istunnel samt Verteilzen­tren in Ingolstadt oder Regensburg – und nicht, so wie noch, in Wörgl.

Es ist Nachmittag geworden an diesem Blockabfer­tigungs-Montag. Die Kontrollst­elle der Tiroler Polizei am Grenzüberg­ang Kiefersfel­den/Kufstein ist inzwischen verlassen. Fast zur selben Zeit tritt in Innsbruck der Tiroler Landeshaup­tmann Günther Platter an ein Stehpult. „Unser Land Tirol“steht auf der Wand hinter ihm. „Mir wird berichtet, dass sich Deutschlan­d bewegt“, sagt er auf einer Pressekonf­erenz, über die der ORF berichtet. Und dass er am Transitgip­fel in Berlin teilnehmen werde.

Er hatte das lange offengelas­sen.Ob sich Österreich und Deutschlan­d in ihrem Verkehrsst­reit annähern werden? Platter jedenfalls erhöht nochmals den Druck und sagt einen Satz, den weder Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer noch die Lastwagenf­ahrer auf dem Rastplatz Inntal-West noch Markus Ley von Berger Logistik noch die Rosenheime­r Verkehrspo­lizei gerne hören dürften: Bei Lkw-Blockabfer­tigungen und Pkw-Fahrverbot­en werde er „keinen Millimeter nachgeben“.

Tirols Landeschef zeigt sich unnachgieb­ig Die Autobahnpo­lizei kämpft mit Rückstaus

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Stoßstange an Stoßstange vor dem Grenzüberg­ang Kiefersfel­den/Kufstein. Ein Bild, das in den vergangene­n Wochen öfter zu sehen war. Foto: Angelika Warmuth, dpa

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