„Abschiebung“nach Wien
Europa Warum Junckers mächtigster Beamter jetzt die EU-Vertretung in Österreich leiten soll
Brüssel Wirklich schmeichelhaft klingt die Bezeichnung nie. Aber wenn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seinen engsten Mitarbeiter und Vertrauten Martin Selmayr „Monster“nannte, dann war das immer respektvoll gemeint und sollte Hochachtung vor dem großen Engagement des 48-Jährigen ausdrücken, der – wenn es sein musste – auch schon mal 18-Stunden-Tage absolvierte.
Am Mittwoch hob die Europäische Kommission bei ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause denn auch ausdrücklich „die vorbildliche Arbeitsleistung“des gebürtigen Bonners hervor, der vor zwei Jahren seinen Job an der Seite Junckers verlassen und in einer überaus umstrittenen Aktion zum Generalsekretär der Kommission befördert worden war. Nun geht Selmayr – aber nicht ganz. Er bleibt Sonderberater der Juncker-Kommission und wird am 1. November zugleich Ständiger Vertreter der Brüsseler Behörde in Wien – es ist eine Personalie, die in den vergangenen Wochen für viel Wirbel gesorgt hat.
Nachdem sich abzeichnete, dass Ursula von der Leyen Juncker an der Spitze der wichtigsten EU-Behörde ablösen werde, hatte Selmayr seinen Rückzug angekündigt und dabei auf ein „ungeschriebenes Gesetz“verwiesen, wonach es nicht zwei Verantwortliche einer Nationalität auf Spitzenpositionen geben darf. Ganz so harmonisch scheint dieser Wechsel allerdings nicht verlaufen zu sein.
Schon bei ihrem ersten Auftritt vor der christdemokratischen Parlamentsfraktion hatte von der Leyen sich von ihren Parteifreunden anhören
müssen, sie solle sich von Selmayr trennen, andernfalls werde es massiven Widerstand gegen ihre Wahl geben. Für die einen war Selmayr ein großer Europäer, dem nach seiner langen Laufbahn in Brüssel niemand etwas vormachen konnte. Schließlich arbeitete er seit 2004 in der Kommission, war zuvor einige Jahre bei der Europäischen Zentralbank und hat diverse Lehraufträge an den Universitäten Saarbrücken, Passau und im österreichischen Krems inne. Für andere galt Selmayr jedoch als rotes Tuch, weil er Juncker abschirmte und sogar zeitweise als dessen Spiritus Rector galt – mit enormem Einfluss auf die Politik des Kommissionspräsidenten und sogar der Kommissare.
Kritik wird deshalb nicht auf sich warten lassen. Denn Selmayr wird auch weiter in Brüssel präsent sein. „Ich werde ja nicht einfach nach Wien verschwinden, sondern dem Präsidenten wieder in aktuellen Fragen helfen“, sagte Selmayr gegenüber unserer Redaktion. „Und ich stehe, wenn sie das möchte, auch der neuen Präsidentin auf ihrem Weg in das Amt zur Verfügung.“