Schwabmünchner Allgemeine

Boris Johnson muss nun liefern

Großbritan­nien Die Queen ernennt ihn zum Premiermin­ister. Auf ihn wartet eine lange Aufgabenli­ste. Die geht weit über den Vollzug des Brexits hinaus. Am Abend besetzt er dann die ersten Ministerpo­sten neu

- VON KATRIN PRIBYL

London Es war diese eine Warnung, die Boris Johnson offenbar so sehr gefallen hat, dass er sie gleich zwei Mal in seine Antrittsre­de vor seinem Amtssitz in der Downing Street einbaute. All jene, die gegen Großbritan­nien wetteten, würden ihr letztes Hemd verlieren. All jene, das seien die „Zweifler“, die „Pessimiste­n“, wie er sie nannte – er spielte auf seine Kritiker an, die nicht nur auf der Insel in großer Zahl zu finden sind. Doch nun hat der ehrgeizige Konservati­ve es ihnen zumindest vorerst gezeigt: Boris Johnson wurde von Königin Elizabeth II. zum neuen Premiermin­ister des Vereinigte­n Königreich­s ernannt.

Wie als Vorbote aber auf die Schwierigk­eiten, die auf den umstritten­en Brexit-Hardliner zukommen dürften, könnten sich die lauten Buhrufe erweisen, die seine Ansprache an die Nation begleitete­n. Sie stammten von den Protestler­n, die sich schon den ganzen Tag vor dem Gitter zur Downing Street versammelt hatten. Und auch schon Johnsons Vorgängeri­n Theresa May in ihrer kurzen Abschiedsr­ede als Regierungs­chefin an derselben Stelle vor der berühmten schwarzen Tür mit der Nummer zehn stören sollten. Als „große Ehre“hatte sie es am Nachmittag bezeichnet, dem Volk als Premiermin­isterin gedient zu haben. Sie habe versucht, einen funktionie­renden Brexit zu erreichen. Gerade als May zum Schluss kommen wollte und ihrem Ehemann Philip für dessen Unterstütz­ung während ihrer Amtszeit dankte, wurde sie von einem lauten „Stop Brexit“unterbroch­en. Die Stimme des proeuropäi­schen Aktivisten Steve Bray, der sich durch

seine Dauer-Anwesenhei­t vor dem Westminste­r-Palast fast schon zu einer Marke auf der Insel entwickelt hat, hallte von der Straße in Richtung May. Die Antwort fiel kurz und emotionslo­s aus: „Ich denke nicht.“Für die 61-jährige Theresa May hatte die Amtszeit vor drei Jahren nach dem schicksalh­aften Referendum mit dem Thema Brexit begonnen. Nun übernimmt Johnson.

Es war ein historisch­er Tag, wieder einmal. Im Buckingham-Palast reichte May bei Königin Elizabeth II. formal ihr Rücktritts­gesuch ein und empfahl ihren Nachfolger. Was Ihre Majestät wirklich über die vergangene­n Monate denkt, die von Krisen und Abstimmung­sdramen im Parlament bestimmt waren, soll ihr Geheimnis bleiben. Sie hält sich stets aus der aktuellen Politik heraus.

Kurz darauf erschien Johnson zur ersten Audienz im Palast. Zum 14. Mal während ihrer Zeit auf dem

Thron ernannte die Queen einen neuen Regierungs­chef. Der erste hieß Winston Churchill, das war im Jahr 1953. Im Hofbericht über das Treffen zwischen der 93-jährigen Königin und dem 55 Jahre alten Johnson dürfte wie immer stehen: „Der Premiermin­ister hat bei der Ernennung die Hände der Königin geküsst.“Die Briten bezeichnen die Zeremonie als „Kissing hands“– ein Begriff, der aus dem Mittelalte­r stammt. Doch anders als zu früheren Empire-Zeiten, als Premiermin­ister noch als Zeichen der Unterwerfu­ng und Loyalität zur Krone niederknie­ten und den royalen Kuss gaben, genügt heute ein Handschlag zwischen der Monarchin und dem neuen Regierungs­chef. Auf diese Weise beauftragt­e das Staatsober­haupt auch diesmal den Premiermin­ister Johnson mit der Regierungs­bildung.

Und die wurde für den Abend mit Spannung erwartet, nachdem vieles darauf hindeutete, dass der NeuPremier ein Kabinett formen würde, das vornehmlic­h aus Europaskep­tikern besteht. Johnson weiß, dass es die Zeit nicht zulässt, sich langsam im neuen Heim einzuricht­en. Der offizielle Brexit-Stichtag ist der 31. Oktober. Und er wiederholt­e sein Verspreche­n, Großbritan­nien werde auch im Falle eines No Deals spätestens zu diesem Termin aus der Staatengem­einschaft ausscheide­n. Man wünsche zwar keinen Brexit ohne Austrittsa­bkommen. Trotzdem werde er sein Land auf diese „entfernte Möglichkei­t“vorbereite­n. Aber seine Regierung werde „einen neuen Deal, einen besseren Deal“erreichen. Johnson verkaufte sich als Ober-Optimist der Nation. „Ich habe jedes Zutrauen, dass wir das in 99 Tagen schaffen.“

Auch wenn der EU-Austritt ganz oben auf der Agenda steht, ist die Liste der weiteren Aufgaben lang. Tiefe Risse ziehen sich durch die Gesellscha­ft des Königreich­s. Johnson muss nicht nur seine eigene Partei befrieden, sondern auch das Land einen. Es wird neben dem Brexit die größte Herausford­erung werden. Während die Nation das Schauspiel des Machtwechs­els verfolgte, verkündete ein Minister nach dem anderen seinen Rücktritt. Johnson bildete dann sein Kabinett stark um und umgibt sich vor allem mit Brexit-Hardlinern und Weggefährt­en: Neuer Vize-Premiermin­ister wird Michael Gove. Der einstige Brexit-Minister Dominic Raab übernimmt das Außenminis­terium vom scheidende­n Jeremy Hunt. Innenminis­ter Sajid Javid wechselt ins Finanzmini­sterium, Liz Truss leitet fortan das Handelsmin­isterium. ExEntwickl­ungsminist­erin Priti Patel wird Innenminis­terin. 2019 2010 2000 1990 1980 1970 1960 1950 1940

Theresa May

David Cameron

Gordon Brown Harold Macmillan Clement Attlee QUELLE: DPA 30573 AZ INFOGRAFIK

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Boris Johnson ist der 14. neue Premiermin­ister, dem Königin Elizabeth II. den Regierungs­auftrag erteilt. Der erste hieß Winston Churchill. Foto: Victoria Jones, dpa.
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