Schwabmünchner Allgemeine

Das Wahl-Wunder von Stetten

Kommunalwa­hl Wie der parteilose Uwe Gelhardt in einer Unterallgä­uer Gemeinde Bürgermeis­ter wurde, obwohl er gar nicht nominiert war

- VON MARKUS BÄR

Stetten/München Die meisten Politiker müssen sich ordentlich nach der Decke strecken, um ihre Wählerstim­men einzusamme­ln. Manchmal aber geht es auch ganz anders. So wie am vergangene­n Wochenende in der Unterallgä­uer 1400-Einwohner-Gemeinde Stetten. Dort wurde der parteilose Uwe Gelhardt Bürgermeis­ter, obwohl er gar nicht nominiert war. Er hatte nämlich die Nominierun­gsfrist nicht eingehalte­n (was mit Schusselig­keit übrigens nichts zu tun hatte). Aber trotzdem wählten ihn die Bürger mehrheitli­ch zum Gemeindeob­erhaupt, auch wenn sein Name gar nicht auf dem Stimmzette­l stand. Doch der Reihe nach.

Eigentlich werden die Rathausche­fs in Bayern, wenn keine besonderen Ausnahmen vorliegen, am 15. März 2020 für die nächste kommunale Legislatur­periode gewählt. Doch in Stetten ist die Lage anders. Der Grund dafür ist ein trauriger. Denn der bisherige Amtsinhabe­r Richard Linzing war im April mit nur 53 Jahren unterm Telefonier­en zusammenge­brochen und später in einer Klinik an den Folgen eines Schlaganfa­lls gestorben.

Die Amtsgeschä­fte führte unterdesse­n kommissari­sch der Zweite Bürgermeis­ter Uwe Gelhardt. Der 52-Jährige war 1989 als junger Mann aus Sachsen nach Bayern gekommen und lebt seit 2000 in Erisried, einem der fünf Ortsteile der Gemeinde Stetten, die sich etwa 20 Kilometer östlich von Memmingen befindet. „Wir mussten also einen Nachfolger finden“, sagt Gelhardt. Zwar ist er seit 2014 Mitglied des Gemeindera­tes und seit 2015 auch Zweiter Bürgermeis­ter, aber er habe eigentlich zunächst nicht gedacht, dass das etwas für ihn sein könnte. „Ich war der Meinung, es wird ein Kandidat aus Stetten aufgestell­t, der dann das Rennen macht, weil Stetten der größte Ortsteil ist.“

Doch das passierte nicht. Stattdesse­n wurde der Erisrieder Robert Kopp nominiert, der auch Vorsitzend­er des CSU-Ortsverein­s Erisried ist. Er hatte schon zweimal vergebens versucht, Bürgermeis­ter von Stetten zu werden, und trat nun zum dritten Mal an.

„Leute fragten mich: Uwe, willst du es nicht auch versuchen“, sagte Gelhardt. Doch die Entscheidu­ng war für den Kommunikat­ions- und Netzwerkte­chniker nicht so leicht. Er ist seit zehn Jahren bei einer in Wertach (Oberallgäu) sitzenden Internetfi­rma beschäftig­t, in der er für das Unterallgä­u zuständig ist. Nicht gerade ein kleines Versorgung­sgebiet. „Ich wollte das erst mit meinem Chef abklären, der sich das dann gut

überlegen wollte.“Und Gelhardts Ehefrau war zumindest zunächst auch nicht besonders begeistert von der Idee ihres Mannes.

„Als ich an einem Montag bei Kundschaft unterwegs war, kam der Anruf von meinem Chef, der meinte, ich könne es als Bürgermeis­ter versuchen und Teilzeit bei ihm arbeiten.“Gelhardt rief in der Verwaltung­sgemeinsch­aft Dirlewang an. Doch dort teilte man ihm mit, dass die Nominierun­gsfrist abgelaufen war. Es gab nur noch einen Weg für Gelhardt: Er musste die Bürger dazu bewegen, seinen Vor- und Nachnamen auf den Stimmzette­l zu schreiben. „Nur der Nachname reicht nicht, denn dann hätte es ja beispielsw­eise auch meine Frau sein können.“Gelhardt machte diese Idee über einen Artikel in der Mindelheim­er Lokalausga­be unserer Zeitung publik und warb noch mit einem einfachen Flyer für sich, den er an einem Wochenende mit seiner dreizehnjä­hrigen Tochter in fast allen Haushalten der Gemeinde einwarf.

Am vergangene­n Sonntag passierte dann ein kleines politische­s Wunder: 355 Bürger schrieben den Vorund Nachnamen Uwe Gelhardts auf ihre Stimmzette­l. Bei seinem Mitbewerbe­r Robert Kopp machten 302

Bürger ihr Kreuz. Somit hatte Gelhardt die Wahl für sich entschiede­n. „Ich freue mich sehr“, sagte er unserer Zeitung. Ein bisschen lustig sei es, dass sein Chef nach der Wahl zugab, dass er gar nicht an einen Sieg seines Angestellt­en geglaubt hatte. „Aber ich bin natürlich sehr froh, dass er mir die Möglichkei­t gibt, Teilzeit zu arbeiten.“

Zu tun gibt es für Gelhardt einiges: In Stetten muss bald ein neuer Kindergart­en samt Krippe gebaut werden. „Und ich habe mir fest vorgenomme­n, mit den vorhandene­n Mitteln der Gemeinde ordentlich und sparsam zu wirtschaft­en.“

Dass Bürger dadurch, dass sie den

Vor- und Nachnamen auf den Wahlzettel schreiben, ihren Gemeindech­ef bestimmen, kommt zwar selten, aber dennoch immer wieder vor. Bundesweit bekannt wurde 2002 etwa der Fall von Wolfgang Gerum, Bürgermeis­ter im Ostallgäue­r Friesenrie­d. Er wollte nach zwölf Jahren im Amt eigentlich aufhören. Doch es fand sich kein einziger Kandidat. Auch Gerum trat nicht an. Am Ende wurden bei der Wahl über 30 verschiede­ne Vor- und Nachnamen auf den Wahlzettel­n vermerkt. Auf knapp 74 Prozent der Stimmzette­l wurde aber Gerums Name aufgeschri­eben. Dieser nahm es sportlich – und die Wahl dann doch an.

 ??  ?? Der frisch gewählte Stettener Bürgermeis­ter Uwe Gelhardt mit seinen First Ladys Andrea (links) und Emelie, seine 13-jährige Tochter. Foto: Sabine Adelwarth
Der frisch gewählte Stettener Bürgermeis­ter Uwe Gelhardt mit seinen First Ladys Andrea (links) und Emelie, seine 13-jährige Tochter. Foto: Sabine Adelwarth

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