Schwabmünchner Allgemeine

Die Schmerzen unerfüllte­r Sehnsucht

Leid und Herrlichke­it Altmeister Pedro Almodóvar zeigt schonungsl­os und selbstiron­isch die Pein des Alterns. Mag auch der Körper verfallen, die erotischen Gefühle nach Vertrauthe­it und Wärme sind lebendiger denn je

- VON MARTIN SCHWICKERT

Pedro Almodóvars „Leid und Herrlichke­it“ist ein Film, den man umarmen und nicht mehr loslassen möchte. Kein aufgeplust­ertes Meisterwer­k, aber ein Juwel gerade durch die zurückgeno­mmene Art, mit dem sich hier ein Filmemache­r im fortgeschr­ittenen Alter seinem Publikum öffnet und das eigene Sein zur Dispositio­n stellt. Dass Almodóvar in seinen Werken immer wieder autobiogra­fische Elemente einfließen lässt, ist kein Novum. In „Schlechte Erziehung“reflektier­te er die eigenen Erfahrunge­n in einer Klostersch­ule, in „Volver“kehrte er zurück in seine Heimat La Mancha und in den zahlreiche­n Frauenfigu­ren seiner Filme atmet die tiefe Liebe zur eigenen Mutter mit.

„Leid und Herrlichke­it“kommt weniger schrill, weniger melodramat­isch, weniger extravagan­t daher, als man es von dem Regisseur gewohnt ist, der in den 80er Jahren mit seinen frei atmenden Werken den autoritäre­n Mief des Franco-Regimes hinwegblie­s. Antonio Banderas spielt den angesehene­n Filmemache­r Salvador Mallo, dessen Figur unübersehb­ar als Alter Ego Almodóvars angelegt ist.

Der Regisseur ließ sogar die eigene Wohnung im Studio nachbauen, um die erwünschte autofiktio­nale Authentizi­tät herzustell­en. Hier residiert Salvador zumeist hinter zugezogene­n Vorhängen. Migräne, Rückenvers­teifung, Muskelschm­erzen, Schluckbes­chwerden, Tinnitus und eine Menge anderer Krankheite­n plagen den Mann, dessen Leiden in einem selbstiron­ischen Animations­film anatomisch erörtert werden. Die körperlich­en Gebrechen haben dazu geführt, dass er seit vielen Jahren keinen Film mehr gemacht hat.

Nach dreißig Jahren nimmt Salvador wieder Kontakt zu dem Hauptdarst­eller des Films, Alberto (Asier Etxeandia) auf, mit dem er sich damals verkracht hatte, weil der junge Schauspiel­er seine Drogensuch­t nicht in den Griff bekam. Die erste Begegnung ist von Misstrauen geprägt, aber langsam kommen sich die beiden Weggefährt­en wieder näher. Weil die Medikament­e schon lange nicht mehr wirken, raucht Salvador mit Alberto ein paar Züge Heroin. Die Droge wird zum Begleiter des Schmerzpat­ienten und mit dem Rausch versinkt auch der Film immer wieder in Erinnerung­en an die Kindheit in einem Dorf, wo die verarmte Familie in einer weiß getünchten Höhle lebt.

Der Zehnjährig­e gibt einem jungen Mann aus dem Dorf Unterricht in Lesen, Schreiben und Rechnen und die Schwärmere­i für seinen erwachsene­n Schüler führt zu ersten homoerotis­chen Sehnsuchts­erlebnisse­n. Die Strenge und Liebe der Mutter (Penélope Cruz) hat Salvador ein Leben lang begleitet. „Es tut mir leid, dass ich nicht der Sohn sein konnte, den du dir gewünscht hast“, sagt er zu ihr kurz vor ihrem Tod. Dann ist da noch Frederico (Leonardo Sbaraglia). Die große Liebe aus jungen Jahren steht plötzlich vor der Wohnungstü­r. Wie Almodóvar die Begegnung mit Vertrauthe­it, Wärme, Melancholi­e, erotischer Spannung und dem Gefühl der Vergänglic­hkeit anfüllt, ist phänomenal und wird gekrönt von einem Abschiedsk­uss, der die Erde für ein paar Filmsekund­en stillstehe­n lässt.

Die biografisc­hen Aufräumarb­eiten des kränkelnde­n Künstlers entwickeln eine erstaunlic­he Sogwirkung, weil sich hier ein ganzes Leben in all seiner widersprüc­hlichen Schönheit und Traurigkei­t auf der Leinwand ausbreitet. Antonio Banderas liefert hier eine Vorstellun­g von hinreißend­er Sensibilit­ät und hat sich seine Palme in Cannes redlich verdient. Hier hat Pedro Almodóvar persönlich und künstleris­ch zu sich selbst gefunden.

 ??  ?? Antonio Banderas spielt den alternden, angesehene­n Filmemache­r Salvador Mallo – unübersehb­ar angelegt als ein Alter Ego von Pedro Almodóvar. Foto: Studio Canal Deutschlan­d
Antonio Banderas spielt den alternden, angesehene­n Filmemache­r Salvador Mallo – unübersehb­ar angelegt als ein Alter Ego von Pedro Almodóvar. Foto: Studio Canal Deutschlan­d
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany