Schwabmünchner Allgemeine

Und die Kirche ist doch veränderba­r

Theologie Bei den Katholiken werden die Rufe nach Reformen immer dringender. Als ein Bruch mit der Tradition werden sie hart abgeschmet­tert. Besteht denn gar keine Hoffnung? Zwei Professore­n aus Münster machen Mut

- VON ALOIS KNOLLER

Reform klingt gut. Reform und katholisch­e Kirche klingen noch besser. Aber auch riskanter. Denn der seit 2000 Jahren bestehende­n Institutio­n scheint gänzlich der Mut und die Fähigkeit abhandenge­kommen zu sein, sich selbst zu erneuern nach den Erforderni­ssen einer sich stark wandelnden Lebenswelt. Verrat an der tradierten Wahrheit wittern die Bewahrer; Verwässeru­ng von wirksamen Initiative­n befürchten die Progressiv­en, wenn der Prozess offiziell aufgesetzt wird.

Handelt es sich bei der Kirchenref­orm mithin um ein aussichtsl­oses Unterfange­n? Der Münsterane­r Dogmatiker Michael Seewald, 32, hat unter dem Titel „Reform – Dieselbe Kirche anders denken“eine kluge Studie verfasst, dass Veränderun­gen möglich sind, bevor sich die katholisch­e Kirche endgültig von der Gegenwart abkoppelt und zum Freilichtm­useum wird. Denn: Verändert und korrigiert habe sie sich laufend – und sei es stillschwe­igend.

Welcher Theologe würde noch darauf bestehen, dass aus dem einen, von Gott aus Lehm gebildeten Adam und der aus seiner Rippe gebildeten Eva alle Menschen hervorgega­ngen sind? Aber erst Papst Pius XII. begann 1950 vorsichtig, die Lehre vom Monogenism­us umzuschrei­ben. Aus der einst scharfen päpstliche­n Verdammung („pestartige­r Irrtum“) der Menschenre­chte, insbesonde­re der Religions- und Gewissensf­reiheit, ist sogar das Gegenteil geworden. Seit dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil (1962–1965) lehrt die katholisch­e Kirche, dass der christlich­e Glaube geradezu diese Rechte verlange und dass die Förderung der „unverletzl­ichen Menschenre­chte“wesenhaft zu den Pflichten einer jeden staatliche­n Gewalt zähle. „Über die Opfer, die unter dem Mangel an Gewissensf­reiheit und der theologisc­hen Deutung des Staates als säkularem Vollstreck­ungsarm der Kirche zu leiden hatten bis zur Tötung von Ketzern, sagt das Dekret Dignitatis humanae kein Wort“, bilanziert Seewald.

Rom hoffe bei derlei Korrekture­n offenbar auf die Fähigkeit der Katholiken, zu vergessen, was das Lehramt ihnen einmal an falschen Dingen verbindlic­h vorgelegt hat. Scharf geißelt der Dogmatiker „die Illusion eigener Irrtumslos­igkeit“,

zumal die Päpste seit dem 19. Jahrhunder­t darauf aus waren, ihr Lehramt immer absoluter zu definieren. In Reaktion auf das in der Aufklärung aufgekomme­ne individuel­le Selbstbewu­sstsein der Menschen beanspruch­ten die Päpste zugleich das höchste Richteramt. Sie forderten strikten Gehorsam und bevollmäch­tigten sich zu Strafmaßna­hmen gegen Abweichler. Alles neue Ideen, die erstmals 1853 der deutsche Theologe Joseph Kleutgens artikulier­te. Michael Seewald meint dazu, die Kirche habe sich damit im Geist der Zeit selbst modernisie­rt …

Ist das legitim? Pius XII. dekretiert­e 1947: „Alle wissen, dass die Kirche, was sie festgelegt hat, auch verändern und abschaffen kann.“Wenn das stimmt, dann, so folgert Seewald, kann (und muss) das Zeitbeding­te der katholisch­en Lehre auch heute überprüft werden. Als Kronzeugen bemüht er den englischen Kardinal John Henry Newman (1801–1890): In einer höheren

Welt möge es anders sein, „aber hier unten heißt Leben sich wandeln, und vollkommen zu sein, sich oft gewandelt zu haben“.

Als hätte er schon die Warnung des strengen deutschen Glaubenswä­chters Kardinal Gerhard Ludwig Müller vor einer „Selbstsäku­larisierun­g nach dem Modell des liberalen Protestant­ismus“gehört, betont Seewald, der Einsatz für Reformen sei mitnichten ein Akt des Verfalls und der Veräußerli­chung, „sondern deutet auf eine gesteigert­e Sensibilit­ät für Missstände hin“. Der Kredit einer bestimmten Art, Kirche zu sein, sei erschöpft. Denn die neueren Päpste haben überreizt und sich, um Stärke zu zeigen, in eine Sprache des Endgültige­n verrannt. Dies erzeugt den Eindruck, nahezu alles in der Papstkirch­e sei unveränder­lich.

Einen der Brennpunkt­e aktueller Reformford­erungen beleuchtet der Münsterane­r Kirchenhis­toriker Hubert Wolf mit seinen 16 Thesen zum Zölibat. Im Rückgriff auf kirchliche Traditione­n zeigt er theologisc­h präzise auf, dass Ehe und Weihe einander nicht ausschließ­en. In den Ostkirchen – auch denen in Union mit Rom – ist die Priestereh­e bis heute erlaubt, sogar in katholisch­en Kirchen dürfen verheirate­te Priester die Messe zelebriere­n. Ein Graus für Traditiona­listen, die auf reine Priesterhä­nde bestehen. Wofür ebenso wenig ein Beleg in der Heiligen Schrift zu finden ist wie für die Pflicht zur Ehelosigke­it. Im Gegenteil: Der Apostel Petrus war verheirate­t und nach ihm viele Generation­en von Bischöfen.

Papst Paul VI. waren diese Umstände bewusst, weshalb er in einer Enzyklika 1967 ins Spirituell­e auswich. Seine Nachfolger bis Benedikt XVI. folgten ihm, letzterer berief sich fürs Jahr der Priester 2009 sogar

auf den Pfarrer von Ars (1786–1859) und dessen Diktum: „Nach Gott ist der Priester alles!“Solche Höhenflüge konnten freilich nicht verhindern, dass die Priesterse­minare heute leer sind. Es gebe „schlicht keinen katholisch­en Verstehens­raum mehr“, findet Hubert Wolf.

Und hatte die Kirche nicht schon andere Modelle? In den iroschotti­schen Klöstern sprachen Äbte und Äbtissinne­n auch ohne eine Priesterwe­ihe von Sünden los, weil ihre Vollmacht aus ihrer intensiven Christusna­chfolge abgeleitet wurde. Noch bis zum Dreißigjäh­rigen Krieg (1618–1648) machten Bischöfe großzügig davon Gebrauch, verheirate­te Priester gegen eine Geldbuße vom Zölibat zu dispensier­en – weil sie im Volk so geschätzt waren.

Michael Seewald: Reform. Dieselbe Kirche anders denken. Herder, 174 S., 20 ¤

Hubert Wolf: Zölibat. 16 Thesen. C.H.Beck, 190 S., 14,95 ¤

Der Kredit der Kirche, sagt Seewald, ist erschöpft

 ??  ?? Da steht die Kirche auf dem Kopf: die Skulptur „Device to Root out Evil“von Dennis Oppenheim im kanadische­n Vancouver. Foto: Imago/UPI Foto
Da steht die Kirche auf dem Kopf: die Skulptur „Device to Root out Evil“von Dennis Oppenheim im kanadische­n Vancouver. Foto: Imago/UPI Foto

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