M Draghi hat den Euro gerettet, aber die Sparer verärgert
Leitartikel Die achtjährige Bilanz des EZB-Chefs fällt gemischt aus. Ehe er geht und Christine Lagarde das Amt übernimmt, könnte den Banken weiteres Ungemach drohen
it einer derart gemischten Bilanz treten wenige Manager und Politiker ab: Wenn Mario Draghi Ende Oktober nach acht Jahren an der Spitze der Europäischen Zentralbank aufhört, ist er Held und Schurke in einer Person, je nach Betrachtungswinkel. Seine glorreichste Tat ist sicher, den Euro nach den harten Proben der Schuldenkrise gerettet zu haben. Mit der radikalen Politik der Zinssenkungen bis auf null und Strafgebühren für Banken, ja exzessiven Anleihekaufprogrammen hat der Italiener Europas Sorgenkinder im Süden aufgepäppelt.
Draghi konnte also mit der Politik massiv billigen Geldes wichtige konjunkturelle Impulse setzen, die zu einer Stabilisierung der Krisenländer geführt haben. Mit seiner Absicherungsstrategie für den Euro gelang es ihm, dem von Populisten angefeindeten Europa einen großen Freundschaftsdienst zu erweisen. Schließlich steht die berechtigte Sorge von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach wie vor drohend im Raum: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“Die gemeinsame Währung ist also – um beim Sprachgebrauch der CDUPolitikerin zu bleiben – alternativlos. Draghi tat, was er tun musste. Ihm waren die Hände gebunden.
Doch genau dieser Zusammenhang ist so schwer zu verstehen und aus deutscher Sicht kaum zu ertragen. Denn wir zahlen einen immensen Preis dafür, dass der europäische Notenbankchef auch mithilfe des Internationalen Währungsfonds in einer Koalition der SuperGutmütigen, notorische Haushaltssünder wie das beratungsresistente Italien mit Unsummen in eine stabile Seitenlage gebracht hat.
Für den Kraftakt büßen Anleger mit einem unerträglich hohen Preis. Das gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass dank Euro-Retter Draghi deutsche Exporte in die Euro-Länder hochgehalten werden und wir eine Rekordbeschäftigung verzeichnen. Doch all das wiegt nur schwer auf, dass der EZBBoss den Zins als uraltes Belohnungsinstrument für die Tugend des Sparens weitgehend abgeschafft hat. So dürfte kaum einem Notenbankchef außer Draghi nach acht Jahren Amtszeit das Kunststück geglückt sein, die Zinsen kein einziges Mal erhöht zu haben. Mit der Auslöschung des Zinses auf Spareinlagen fügte er Bürgern, die mit Bausparverträgen und Lebensversicherungen ihre Finanzen solide gestalten wollen, Schaden zu.
Draghi drängt Menschen in risikoreichere Anlagen ab, ob sie ihr Geld der wankelmütigen Börse anvertrauen oder sich zu überhöhten Preisen Immobilien kaufen – und dazu enorme Summen leihen. Hier entstehen auf Dauer Immobilienblasen, die platzen können, vielleicht in der nächsten Rezession.
Noch ist Draghi zu 50 Prozent ein Held und zu 50 Prozent ein Schurke. Doch falls sich die konjunkturelle Lage weiter verschlechtert, Menschen arbeitslos werden, ihre Hypotheken oder üppigen Leasingraten für riesige Autos nicht mehr zurückzahlen können, wird die Bilanz des Zinssenkers dereinst wohl negativer ausfallen. Denn wenn der Zentralbanker sein Amt an seine Nachfolgerin Christine Lagarde übergibt, ist das Pulver der EZB weitgehend verschossen.
Den Rest könnte Draghi als sein letztes Aufgebot im September noch einmal locker machen. Was bei der EZB-Sitzung am Donnerstag ausblieb, würde dann bizarre Wirklichkeit: Ohnehin überstrapazierte Banken müssten noch höhere Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld parken. Auch an Anleihekäufe scheint der Euro-Banker wieder zu denken. Für solch fragwürdige Aktionen hat er auf der aktuellen Sitzung die wenigen noch verbliebenen offenen Fenster im EZB-Haus aufgerissen. Dabei wird sich Draghis Nachfolgerin Lagarde schwertun, nur ein Fenster zu schließen.
Notenbank-Chef hat alle Fenster aufgerissen