Die erstaunliche Kreativität Äthiopiens
Textilmuseum Ein Design-Projekt in Addis Abeba experimentierte mit alten Webtechniken und Materialien aus dem Abfall
Entwicklungsland – das klingt nach einer primitiven Lebensweise. Keineswegs konkurrenzfähig mit den Industrieländern, vielmehr in allem aufholbedürftig. Was für ein Zerrbild! Welche Ressourcen, Dynamik und Kreativität in einem Entwicklungsland stecken, beweist das Projekt „Responsive Design Ethiopia“. Im Textil- und Industriemuseum (tim) lässt sich jetzt besichtigen, wie aus traditionellen äthiopischen Textiltechniken völlig neue Objekte und neuer Materialmix entstehen kann.
Zusammen mit der Architekturfakultät Addis Abeba haben Juliane Kahl und Nicola Borgmann von der Architekturgalerie München das Projekt aufgesetzt. In Workshops spürten sie der Innovationskraft nach, die sich aus überkommenem Handwerk und Herausforderungen der Gegenwart ergeben. Heraus kamen wasserabweisende Markisen aus in Streifen geschnittenen Kunststoffflaschen, als Skulpturen formbare Lampenschirme aus Baumwolle und Telefonkabeln, ebenfalls biegbare Ladenschirme aus bunten Folien und Blechstreifen. Experimentell haben die Studierenden Abfallmaterial verarbeitet und überraschend neuen Zwecken zugeführt: Aus Autoreifen lassen sich Hockerkörbe flechten, Feuerwehrschläuche werden zu Bedachungen.
Nach Art der landestypischen Gobis aus fein gezwirnter Baumwolle lassen sich auch dekorative Paravents mit eingeschlossenen Faserbündeln der Zierbanane weben – ein Segen in den beengten Wohnungen. Für das Black Lion Kinderhospital webten äthiopische Frauen einen federleichten, aber wärmenden Kimono für die kleinen Krebspatienten. Bestickt mit Tierbildern, welche die Kinder selbst malten; sie finden sich auch auf ihren Bettdecken und an den Wänden der Flure. Auch hier hat die deutsch-äthiopische Design-Kooperation mehr Licht und Fröhlichkeit hinterlassen.
Responsive Design heißt die Sache, weil das Projekt auf die Bedürfnisse vor Ort antwortet. Auf möglichst nachhaltige Weise, indem es vorhandene Ressourcen nutzt und diese in ihrem Spektrum experimentell-kreativ erweitert. Das Projekt antwortet aber auch auf die globalen Konfektionshersteller, die der niedrigen Löhne wegen von Asien nach Afrika weiterziehen. Responsive Design nimmt einen ethischen Standpunkt ein, vermittelt Stolz auf das Eigene und zeigt der lokalen Tradition Wege in die Zukunft auf.
Karl B. Murr, der tim-Direktor, nahm die Ausstellung gern ins Haus. „Wir interessieren uns auch, wie heute die Textilindustrie im globalen Maßstab produziert. Und wir fragen: Wie gehen wir um mit dem globalen Kapitalismus und Konsum?“Design kann sich sozial positiv auswirken. Den Schuhputzern von Addis Abeba, die oft ungeschützt am Straßenrand arbeiten und unter die Räder kommen, verpasste das Projekt eine faltbare Muschel, die sie kenntlich macht und ihnen Individualität verleiht. Laufzeit bis 13. Oktober im Foyer, Die. bis So. 9-18 Uhr. Eintritt frei.