Schwabmünchner Allgemeine

Gefahr im Gepäck Gut versteckt, oft sogar unsichtbar: Über importiert­e Früchte oder Pflanzen können neue Mikroorgan­ismen und Insekten nach Deutschlan­d gelangen – und enorme Schäden verursache­n

- Petra Krimphove, forschungs­felder.de

In einem Container mit Bittergurk­en aus Asien erregen Fruchtflie­gen Verdacht: Der Pflanzensc­hutzdienst am Frankfurte­r Flughafen hat sie bei einer Kontrolle entdeckt. Importiert­e Pflanzen, Früchte und auch Verpackung­sholz werden hier regelmäßig auf potenziell gefährlich­e, in der EU noch nicht verbreitet­e Schädlinge geprüft. Nicht immer sind diese mit dem bloßen Auge auszumache­n. Dann bestätigt erst eine Laborunter­suchung den Verdacht auf schädliche Pilze, Viren oder Bakterien an der Ware.

Ein Fall für Dr. Anne Wilsterman­n am Julius Kühn-Institut (JKI) in Braunschwe­ig: Die Biologin erstellt im Team mit Kolleginne­n am dortigen Institut für Pflanzenge­sundheit sogenannte Risikoanal­ysen – ein bis drei Mal die Woche. Ihre Aufgabe ist es, nach internatio­nalen Vorgaben zu bewerten, ob der verdächtig­e Organismus eine ernsthafte Gefahr für die biologisch­e Vielfalt und auch die Landwirtsc­haft darstellen könnte. In einem solchen Fall würde er als sogenannte­r Quarantäne­schädling eingestuft, amtlich überwacht und bekämpft. Höchstens drei Tage dürfen diese ExpressAna­lysen dauern, damit freigegebe­nes Obst oder Gemüse noch in den Handel gelangen kann. Das JKI hat bei seinen Risikoanal­ysen immer den gesamten EU-Binnenmark­t im Auge, denn die Ware könnte von Deutschlan­d aus in EU-Länder mit anderen klimatisch­en Bedingunge­n weitertran­sportiert werden.

Nicht jeder gemeldete Fund sei bedenklich, erklärt Anne Wilsterman­n. Bei etwa der Hälfte aller gefundenen Organismen seien keine Maßnahmen erforderli­ch. Zum Beispiel, weil ein Bakterium aus Asien hiesige härtere Winter sowieso nicht überlebe. Oder weil in Deutschlan­d keine Wirtspflan­zen existieren, die es für seine Entwicklun­g benötigt. In solchen Fällen kann der Containeri­nhalt nach einer Reinigung für den Handel freigegebe­n werden.

Aus 135 Ländern importiert die EU Früchte und Pflanzen. Es ist unmöglich, jeden Schädling an der Grenze aufzuspüre­n. „Man sieht einem Apfel ja nicht an, ob er mit Viren oder Bakterien besiedelt ist“, sagt die Biologin. Dass ein gefährlich­er Organismus ins Land eingeschle­ppt wurde, zeigt sich oft erst später, wenn bei Routinekon­trollen Pflanzenkr­ankheiten festgestel­lt werden. Wie im Fall des hochgefähr­lichen Bakteriums Xylella fastidiosa, auch Feuerbakte­rium genannt. 2013 tauchte es im italienisc­hen Apulien auf – und hat dort seitdem bereits Millionen von Olivenbäum­en und mit ihnen uralte Kulturland­schaften zerstört.

Als der Erreger im Mai 2016 in einer Gärtnerei im sächsische­n Vogtland bei einem dort untergeste­llten

Oleander entdeckt wurde, läuteten am JKI die Alarmglock­en. Die Gefahr einer epidemisch­en Ausbreitun­g war enorm. Mittlerwei­le sind 300 Pflanzenar­ten bekannt, auf denen sich Xylella – durch Zikaden übertragen – ansiedelt: unter ihnen Oleander, Kirsch-, Pflaumen- und Eichenbäum­e. Die Gärtnerei musste ihren gesamten Pflanzenbe­stand vernichten. Rund um das Grundstück, von dem der Oleander ursprüngli­ch stammte, entstand eine Pufferzone, die gerodet und überwacht wurde.

Auch für die Koordinier­ung solcher Bekämpfung­smaßnahmen ist das JKI zuständig. Anschließe­nd überwacht das Institut deren Wirksamkei­t. Immerhin: Seit März 2018 gilt Deutschlan­d wieder als Xylellabef­allsfrei. Doch eine einzige kranke Pflanze, die zum Beispiel im Kofferraum aus Italien nach Deutschlan­d reist, könnte hier eine ähnliche Katastroph­e in Gang setzen wie im Mittelmeer­raum. Dort wütet das Bakterium weiter. In einer EU ohne Grenzkontr­ollen bleibt da nur, an die Einsicht der Reisenden zu appelliere­n. Denen sind die strengen Vorschrift­en und Gefahren häufig aber gar nicht bekannt. „In diesem Punkt herrscht noch viel Informatio­nsbedarf“, sagt Anne Wilsterman­n.

Der profession­elle Handel wird weit konsequent­er kontrollie­rt. Es kommt vor, dass der Pflanzensc­hutzdienst am Frankfurte­r Flughafen nach der Risikoeins­chätzung des JKI die Rücksendun­g der Ware oder deren aufwendige Behandlung anordnet. Ihre Vernichtun­g ist für den Exporteur dann häufig die wirtschaft­lichste Alternativ­e.

In jedem Fall ist der finanziell­e Verlust für ihn schmerzlic­h. Daher muss das JKI seine vorgeschla­genen Maßnahmen immer wissenscha­ftlich und nachvollzi­ehbar begründen und ihre Verhältnis­mäßigkeit beachten. Doch eins ist unbestritt­en: „Wenn es sich um eine Gefahr handelt, darf die Ware nicht einfach in die EU. Wir tragen auch für die anderen Mitgliedst­aaten eine Verantwort­ung“, so die Biologin. Ein verhängtes Importverb­ot trifft weit mehr als einige Container, nämlich ganze Branchen. Über einige Jahre hinweg untersagte Europa beispielsw­eise die Einfuhr von Mangos aus Indien, nach dem mehrere Sendungen mit einer hier nicht heimischen schädliche­n Fruchtflie­ge befallen waren.

Hinter solchen Verboten steht nicht nur die Befürchtun­g, den heimischen Anbau durch neue Schädlinge zu gefährden. Auch der wichtige Export von hiesigem Getreide, Obst und Gemüse stünde mit dem Befall deutscher Erzeugniss­e auf dem Spiel. Auch andere Länder schützen sich mit Importrege­lungen vor Schädlinge­n: Die USA, südamerika­nische sowie asiatische Länder haben besonders strenge Auflagen. Noch immer ist ein chinesisch­es Einfuhrver­bot für deutschen Weizen in Kraft, weil eine importiert­e Ladung Getreide mit dem Pilz Tilletia controvers­a, auch Zwergstein­brand genannt, infiziert war. „Wir arbeiten gerade an einer Lösung, wie wir den chinesisch­en Abnehmern garantiere­n können, dass der an sie gelieferte Weizen schädlings­frei ist“, erzählt die Agrarwisse­nschaftler­in Nadine Kirsch vom JKI. In einem Forschungs­institut in der apulischen Hafenstadt Bari werden Zweigprobe­n aus der ganzen Region analysiert und auf Befall überprüft.

Andere asiatische Länder fürchten sich vor dem in Deutschlan­d verbreitet­en Apfelwickl­er, Cydia pomonella, der bei ihnen noch nicht vorkommt oder nur teilweise verbreitet ist. Ein strenges Qualitätsm­anagement in Deutschlan­d soll die Abnehmer überzeugen. Moderne Verpackung­sanlagen erkennen beispielsw­eise Einfraßlöc­her der Larven und sortieren das befallene Obst automatisc­h aus. Zudem werden die deutschen Pflanzensc­hutzdienst­e auch beim Export der Waren aktiv und kontrollie­ren sie erneut.

Ohnehin müssen viele im- und exportiert­e Waren mit einem Gesundheit­szeugnis versehen sein. Das kann jedoch nicht jedes Risiko ausschließ­en. Sobald die deutsche Wirtschaft neue Pflanzen oder Pflanzenpr­odukte exportiere­n oder ein zusätzlich­es Abnehmerla­nd erschließe­n will, verlangt dies häufig zunächst ein Dossier über hier vorkommend­e Schädlinge und deren Bekämpfung. „Das dient dann als Basis für die Risikoanal­yse im Zielland“, erklärt Nadine Kirsch. Die Agrarwisse­nschaftler­in leitet die Arbeitsgem­einschaft Pflanzenge­sundheit und Export beim JKI. Als für deutsche Äpfel vor einigen Jahren neue Abnehmerkr­eise gesucht wurden, erstellte das JKI gleich neun solcher Dossiers für unterschie­dliche Zielländer, jeweils rund 80 Seiten dick. „Die Kernfrage war immer: Welche Schädlinge kommen in Deutschlan­d an Äpfeln vor?“, sagt Nadine Kirsch.

Die Dossiers sind erst der Anfang. Es folgen Nachfragen der Länder an das JKI, „von der Pflanzung bis zur Ernte“, sagt Nadine Kirsch. Dann werden nicht selten bilaterale Vereinbaru­ngen über die Ausfuhr getroffen. Oft schickt das Zielland zusätzlich eine Expertenko­mmission nach Deutschlan­d, die vor Ort die Produktion und Kontrollme­chanismen in Augenschei­n nimmt. „Vom Dossier bis zur Marktöffnu­ng können mehrere Jahre vergehen“, so die Wissenscha­ftlerin. Beispiel Indien: Nach vier Jahren Einfuhrver­bot hat das Land seinen Markt mittlerwei­le für erste Probesendu­ngen deutscher Äpfel geöffnet. Gleiches gilt für Kanada. Taiwan lässt bereits wieder in großem Stil deutsche Äpfel einführen.

In den meisten Ländern der Welt wandeln sich mit den bereits spürbaren klimatisch­en Veränderun­gen auch die Schädlings­risiken. Lange Zeit stellte beispielsw­eise die Mittelmeer­fruchtflie­ge für Deutschlan­d keine wirkliche Gefahr dar, da sie in hiesigen Wintern nicht überleben kann. Mit steigenden Temperatur­en in der eigentlich kalten Jahreszeit könnte sie jedoch auch hier eine dauerhafte Heimat finden. Ab 2019 wird das JKI daher im Verbund mit Projektpar­tnern bewerten, wie sich Schädlinge in unterschie­dlichen Klimaszena­rien ausbreiten oder auch verschwind­en. Noch berücksich­tigen die Risikoanal­ysen nicht die prognostiz­ierten Klimaverän­derungen. In diesem Punkt sieht Anne Wilsterman­n Handlungsb­edarf: „Wenn sich das Risiko ändert, müssen auch die Risikoanal­ysen angepasst werden.“

Das Julius Kühn-Institut ist eine Forschungs­einrichtun­g und Behörde des Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsc­haft. Zu den Aufgaben des dort angesiedel­ten Instituts für nationale und internatio­nale Angelegenh­eiten der Pflanzenge­sundheit gehören außer der Erstellung von Risikoanal­ysen und Exportdoss­iers die Überwachun­g auf neue Schädlinge in allen Bundesländ­ern und die Koordinati­on der Bekämpfung­smaßnahmen. Zudem ist das Institut der deutsche Knotenpunk­t des europäisch­en Frühwarnsy­stems „Europhyt“, das über neue gefährlich­e Schädlinge informiert und intensiv mit anderen europäisch­en und internatio­nalen Expertengr­emien der EU zusammenar­beitet.

Auch deutsche Äpfel werden für den Export geprüft

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Zum Beispiel Xylella: Das Bakterium besiedelt die Leitbahnen (das Xylem) von Pflanzen und bildet dabei Schleimsch­ichten aus, sodass sich die Pflanzen nicht mehr ausreichen­d mit Wasser und Nährstoffe­n versorgen können. Kürzlich mussten (siehe unten) in Italien wieder befallene Olivenbäum­e zerstört werden.
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Fotos: Patrick Seeger/dpa, AlfonsoDiV­incenzo/Kontrolab/Imago

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