Gefahr im Gepäck Gut versteckt, oft sogar unsichtbar: Über importierte Früchte oder Pflanzen können neue Mikroorganismen und Insekten nach Deutschland gelangen – und enorme Schäden verursachen
In einem Container mit Bittergurken aus Asien erregen Fruchtfliegen Verdacht: Der Pflanzenschutzdienst am Frankfurter Flughafen hat sie bei einer Kontrolle entdeckt. Importierte Pflanzen, Früchte und auch Verpackungsholz werden hier regelmäßig auf potenziell gefährliche, in der EU noch nicht verbreitete Schädlinge geprüft. Nicht immer sind diese mit dem bloßen Auge auszumachen. Dann bestätigt erst eine Laboruntersuchung den Verdacht auf schädliche Pilze, Viren oder Bakterien an der Ware.
Ein Fall für Dr. Anne Wilstermann am Julius Kühn-Institut (JKI) in Braunschweig: Die Biologin erstellt im Team mit Kolleginnen am dortigen Institut für Pflanzengesundheit sogenannte Risikoanalysen – ein bis drei Mal die Woche. Ihre Aufgabe ist es, nach internationalen Vorgaben zu bewerten, ob der verdächtige Organismus eine ernsthafte Gefahr für die biologische Vielfalt und auch die Landwirtschaft darstellen könnte. In einem solchen Fall würde er als sogenannter Quarantäneschädling eingestuft, amtlich überwacht und bekämpft. Höchstens drei Tage dürfen diese ExpressAnalysen dauern, damit freigegebenes Obst oder Gemüse noch in den Handel gelangen kann. Das JKI hat bei seinen Risikoanalysen immer den gesamten EU-Binnenmarkt im Auge, denn die Ware könnte von Deutschland aus in EU-Länder mit anderen klimatischen Bedingungen weitertransportiert werden.
Nicht jeder gemeldete Fund sei bedenklich, erklärt Anne Wilstermann. Bei etwa der Hälfte aller gefundenen Organismen seien keine Maßnahmen erforderlich. Zum Beispiel, weil ein Bakterium aus Asien hiesige härtere Winter sowieso nicht überlebe. Oder weil in Deutschland keine Wirtspflanzen existieren, die es für seine Entwicklung benötigt. In solchen Fällen kann der Containerinhalt nach einer Reinigung für den Handel freigegeben werden.
Aus 135 Ländern importiert die EU Früchte und Pflanzen. Es ist unmöglich, jeden Schädling an der Grenze aufzuspüren. „Man sieht einem Apfel ja nicht an, ob er mit Viren oder Bakterien besiedelt ist“, sagt die Biologin. Dass ein gefährlicher Organismus ins Land eingeschleppt wurde, zeigt sich oft erst später, wenn bei Routinekontrollen Pflanzenkrankheiten festgestellt werden. Wie im Fall des hochgefährlichen Bakteriums Xylella fastidiosa, auch Feuerbakterium genannt. 2013 tauchte es im italienischen Apulien auf – und hat dort seitdem bereits Millionen von Olivenbäumen und mit ihnen uralte Kulturlandschaften zerstört.
Als der Erreger im Mai 2016 in einer Gärtnerei im sächsischen Vogtland bei einem dort untergestellten
Oleander entdeckt wurde, läuteten am JKI die Alarmglocken. Die Gefahr einer epidemischen Ausbreitung war enorm. Mittlerweile sind 300 Pflanzenarten bekannt, auf denen sich Xylella – durch Zikaden übertragen – ansiedelt: unter ihnen Oleander, Kirsch-, Pflaumen- und Eichenbäume. Die Gärtnerei musste ihren gesamten Pflanzenbestand vernichten. Rund um das Grundstück, von dem der Oleander ursprünglich stammte, entstand eine Pufferzone, die gerodet und überwacht wurde.
Auch für die Koordinierung solcher Bekämpfungsmaßnahmen ist das JKI zuständig. Anschließend überwacht das Institut deren Wirksamkeit. Immerhin: Seit März 2018 gilt Deutschland wieder als Xylellabefallsfrei. Doch eine einzige kranke Pflanze, die zum Beispiel im Kofferraum aus Italien nach Deutschland reist, könnte hier eine ähnliche Katastrophe in Gang setzen wie im Mittelmeerraum. Dort wütet das Bakterium weiter. In einer EU ohne Grenzkontrollen bleibt da nur, an die Einsicht der Reisenden zu appellieren. Denen sind die strengen Vorschriften und Gefahren häufig aber gar nicht bekannt. „In diesem Punkt herrscht noch viel Informationsbedarf“, sagt Anne Wilstermann.
Der professionelle Handel wird weit konsequenter kontrolliert. Es kommt vor, dass der Pflanzenschutzdienst am Frankfurter Flughafen nach der Risikoeinschätzung des JKI die Rücksendung der Ware oder deren aufwendige Behandlung anordnet. Ihre Vernichtung ist für den Exporteur dann häufig die wirtschaftlichste Alternative.
In jedem Fall ist der finanzielle Verlust für ihn schmerzlich. Daher muss das JKI seine vorgeschlagenen Maßnahmen immer wissenschaftlich und nachvollziehbar begründen und ihre Verhältnismäßigkeit beachten. Doch eins ist unbestritten: „Wenn es sich um eine Gefahr handelt, darf die Ware nicht einfach in die EU. Wir tragen auch für die anderen Mitgliedstaaten eine Verantwortung“, so die Biologin. Ein verhängtes Importverbot trifft weit mehr als einige Container, nämlich ganze Branchen. Über einige Jahre hinweg untersagte Europa beispielsweise die Einfuhr von Mangos aus Indien, nach dem mehrere Sendungen mit einer hier nicht heimischen schädlichen Fruchtfliege befallen waren.
Hinter solchen Verboten steht nicht nur die Befürchtung, den heimischen Anbau durch neue Schädlinge zu gefährden. Auch der wichtige Export von hiesigem Getreide, Obst und Gemüse stünde mit dem Befall deutscher Erzeugnisse auf dem Spiel. Auch andere Länder schützen sich mit Importregelungen vor Schädlingen: Die USA, südamerikanische sowie asiatische Länder haben besonders strenge Auflagen. Noch immer ist ein chinesisches Einfuhrverbot für deutschen Weizen in Kraft, weil eine importierte Ladung Getreide mit dem Pilz Tilletia controversa, auch Zwergsteinbrand genannt, infiziert war. „Wir arbeiten gerade an einer Lösung, wie wir den chinesischen Abnehmern garantieren können, dass der an sie gelieferte Weizen schädlingsfrei ist“, erzählt die Agrarwissenschaftlerin Nadine Kirsch vom JKI. In einem Forschungsinstitut in der apulischen Hafenstadt Bari werden Zweigproben aus der ganzen Region analysiert und auf Befall überprüft.
Andere asiatische Länder fürchten sich vor dem in Deutschland verbreiteten Apfelwickler, Cydia pomonella, der bei ihnen noch nicht vorkommt oder nur teilweise verbreitet ist. Ein strenges Qualitätsmanagement in Deutschland soll die Abnehmer überzeugen. Moderne Verpackungsanlagen erkennen beispielsweise Einfraßlöcher der Larven und sortieren das befallene Obst automatisch aus. Zudem werden die deutschen Pflanzenschutzdienste auch beim Export der Waren aktiv und kontrollieren sie erneut.
Ohnehin müssen viele im- und exportierte Waren mit einem Gesundheitszeugnis versehen sein. Das kann jedoch nicht jedes Risiko ausschließen. Sobald die deutsche Wirtschaft neue Pflanzen oder Pflanzenprodukte exportieren oder ein zusätzliches Abnehmerland erschließen will, verlangt dies häufig zunächst ein Dossier über hier vorkommende Schädlinge und deren Bekämpfung. „Das dient dann als Basis für die Risikoanalyse im Zielland“, erklärt Nadine Kirsch. Die Agrarwissenschaftlerin leitet die Arbeitsgemeinschaft Pflanzengesundheit und Export beim JKI. Als für deutsche Äpfel vor einigen Jahren neue Abnehmerkreise gesucht wurden, erstellte das JKI gleich neun solcher Dossiers für unterschiedliche Zielländer, jeweils rund 80 Seiten dick. „Die Kernfrage war immer: Welche Schädlinge kommen in Deutschland an Äpfeln vor?“, sagt Nadine Kirsch.
Die Dossiers sind erst der Anfang. Es folgen Nachfragen der Länder an das JKI, „von der Pflanzung bis zur Ernte“, sagt Nadine Kirsch. Dann werden nicht selten bilaterale Vereinbarungen über die Ausfuhr getroffen. Oft schickt das Zielland zusätzlich eine Expertenkommission nach Deutschland, die vor Ort die Produktion und Kontrollmechanismen in Augenschein nimmt. „Vom Dossier bis zur Marktöffnung können mehrere Jahre vergehen“, so die Wissenschaftlerin. Beispiel Indien: Nach vier Jahren Einfuhrverbot hat das Land seinen Markt mittlerweile für erste Probesendungen deutscher Äpfel geöffnet. Gleiches gilt für Kanada. Taiwan lässt bereits wieder in großem Stil deutsche Äpfel einführen.
In den meisten Ländern der Welt wandeln sich mit den bereits spürbaren klimatischen Veränderungen auch die Schädlingsrisiken. Lange Zeit stellte beispielsweise die Mittelmeerfruchtfliege für Deutschland keine wirkliche Gefahr dar, da sie in hiesigen Wintern nicht überleben kann. Mit steigenden Temperaturen in der eigentlich kalten Jahreszeit könnte sie jedoch auch hier eine dauerhafte Heimat finden. Ab 2019 wird das JKI daher im Verbund mit Projektpartnern bewerten, wie sich Schädlinge in unterschiedlichen Klimaszenarien ausbreiten oder auch verschwinden. Noch berücksichtigen die Risikoanalysen nicht die prognostizierten Klimaveränderungen. In diesem Punkt sieht Anne Wilstermann Handlungsbedarf: „Wenn sich das Risiko ändert, müssen auch die Risikoanalysen angepasst werden.“
Das Julius Kühn-Institut ist eine Forschungseinrichtung und Behörde des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zu den Aufgaben des dort angesiedelten Instituts für nationale und internationale Angelegenheiten der Pflanzengesundheit gehören außer der Erstellung von Risikoanalysen und Exportdossiers die Überwachung auf neue Schädlinge in allen Bundesländern und die Koordination der Bekämpfungsmaßnahmen. Zudem ist das Institut der deutsche Knotenpunkt des europäischen Frühwarnsystems „Europhyt“, das über neue gefährliche Schädlinge informiert und intensiv mit anderen europäischen und internationalen Expertengremien der EU zusammenarbeitet.
Auch deutsche Äpfel werden für den Export geprüft