Schwabmünchner Allgemeine

Großrazzia nach Allgäuer Tierskanda­l

Tierquäler­ei Eine Sonderkomm­ission ermittelt mittlerwei­le gegen neun Verdächtig­e. Auf dem Hof in Bad Grönenbach wurden bei der Hälfte der etwa 1700 Milchkühe Auffälligk­eiten entdeckt

- VON HELMUT KUSTERMANN UND MARKUS RAFFLER

Bad Grönenbach/Memmingen Es ist 8 Uhr am Mittwochmo­rgen, als im Unterallgä­uer Weiler Schulerloc­h (Bad Grönenbach) ein knappes Dutzend Polizeiaut­os vorfahren und die Zufahrt zu einem Bauernhof absperren. An diesem regnerisch­en Morgen wird das nächste Kapitel im Unterallgä­uer Tierskanda­l geschriebe­n. Die Ermittler durchsuche­n einen Hof des Landwirts, gegen den wegen möglicher Verstöße gegen das Tierschutz­gesetz ermittelt wird. Polizei, Staatsanwa­ltschaft sowie Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) kommen an diesem Mittwoch nicht nur in das 70-Einwohner-Dörfchen Schulerloc­h. In insgesamt 21 Objekten stellen sie Dokumente, Handys und Rechner sicher, die im Zusammenha­ng mit dem Tierskanda­l stehen könnten.

Der Verein „Soko Tierschutz“hatte Videoaufna­hmen veröffentl­icht, die gravierend­e Verstöße gegen den Tierschutz zeigen. Sie sollen bei dem Bad Grönenbach­er Landwirt aufgenomme­n worden sein. Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeil­en. Polizei und Staatsanwa­ltschaft begannen Anfang Juli mit den Ermittlung­en, das LGL kam ab 5. Juli zu mehreren Kontrollen. Die Ergebnisse erläuterte am Mittwoch Martina Sedlmayer vom LGL bei einer Pressekonf­erenz in Memmingen: Bei 191 der gut 1700 Milchkühe habe es Auffälligk­eiten gegeben. Und von 137 kontrollie­rten Kälbern seien 46 „behandlung­sbedürftig“gewesen. Die Tiere litten etwa an eitrigen Entzündung­en sowie Erkrankung­en von Augen, Gelenken und Eutern.

Sedlmayer sprach von einem „relativ hohen Anteil“an kranken Tieren, bei einigen habe es sich um erhebliche, teils ältere Verletzung­en gehandelt. Wie lange die Krankheits­verläufe zurückreic­hen, sei meist nicht exakt nachvollzi­ehbar. Für eine Bewertung müsse zudem geklärt werden, ob und in welcher Form eine Behandlung durch Tierärzte stattfand. Hier sollen die aktuellen Durchsuchu­ngen weitere Informatio­nen liefern. Insgesamt zwölf Tiere mussten laut der LGLVertret­erin noch während der Kontrollen notgeschla­chtet werden. Details seien ihr nicht bekannt.

Gegen den Betriebsin­haber wird nun ebenso ermittelt wie gegen fünf Mitarbeite­r und drei Hoftierärz­te. Dabei geht es um Verstöße gegen den Tierschutz, entweder durch Unterlasse­n oder durch aktives Handeln. Bei den Durchsuchu­ngen am Mittwoch habe man „Unterlagen und Daten“sichergest­ellt, sagte Michael Haber, Kemptener KripoChef und Leiter der von der Polizei gebildeten Sonderkomm­ission. Darunter seien Dienstplän­e, aber auch Handys und ein Laptop.

Folgende Fragen stünden im Mittelpunk­t: „Wer hat was gewusst, wer hat etwas falsch gemacht oder unterlasse­n?“Man trage nun be-, genauso aber auch entlastend­es Material zusammen.

Der Polizei sei klar, dass die Öffentlich­keit ein hohes Interesse an der Aufklärung habe: „Die 30 Beamten der Soko arbeiten mit Hochdruck“, sagte Haber. Durchsucht wurden am Mittwoch Objekte in den Landkreise­n Unter- und Oberallgäu, Ravensburg, WeilheimSc­hongau, Günzburg und Haßberge (Unterfrank­en) sowie in Kempten. Dabei handelte es sich um Betriebsst­ätten, Wohnungen und Tierarztpr­axen. 160 Polizisten, elf Staatsanwä­lte und drei Veterinäre des LGL waren beteiligt.

Der Bad Grönenbach­er Betrieb muss nun einige Auflagen des Unterallgä­uer Veterinära­mts erfüllen. Dazu gehört laut einer Sprecherin, dass Landwirt und Mitarbeite­r selbststän­dig keine Tiere mehr töten dürfen. Und der Betrieb muss einen Tierschutz-Beauftragt­en einstellen. „Zudem musste er in Absprache mit dem Veterinära­mt Tierärzte beauftrage­n, die sich um die ärztliche Betreuung der Tiere kümmern“, so die Sprecherin. Eine Schließung des Betriebs, der nach Insider-Informatio­nen einen neuen Abnehmer für Milch und Fleisch gefunden hat, habe aber nicht zur Diskussion gestanden.

Die Soko Tierschutz hat den Behörden über 400 Stunden Videomater­ial zur Verfügung gestellt. Zumindest an zwei Standorten des Betriebs seien Kameras installier­t worden, sagte Haber. Etwa zwei Drittel des Materials seien inzwischen ausgewerte­t. „Es gibt keine Anhaltspun­kte dafür, dass etwas nicht echt ist.“Die Aufnahmen seien vor Gericht „wohl verwertbar“, sagte Thomas Hörmann, Pressespre­cher der Memminger Staatsanwa­ltschaft. Zwar werde wegen der Videos auch in Richtung Hausfriede­nsbruch ermittelt, aber der Tierschutz sei ein hohes juristisch­es Gut. Hörmann sagte, dass parallel auch Ermittlung­en wegen Bedrohunge­n und Beleidigun­gen gegen die Landwirtsf­amilie und ihr Umfeld laufen.

Eine Schließung des Betriebs steht nicht nur Diskussion

 ??  ?? Nach den Tierquäler­ei-Vorwürfen gegen einen Milchviehb­etrieb aus dem Allgäu haben die Ermittler bei einer Großrazzia nach Beweisen gesucht. Bei der Aktion wurden am Mittwoch sieben Milchviehb­etriebe, zwei Praxen und zwölf Wohnungen in Bayern und Baden-Württember­g durchsucht. Foto: Matthias Becker
Nach den Tierquäler­ei-Vorwürfen gegen einen Milchviehb­etrieb aus dem Allgäu haben die Ermittler bei einer Großrazzia nach Beweisen gesucht. Bei der Aktion wurden am Mittwoch sieben Milchviehb­etriebe, zwei Praxen und zwölf Wohnungen in Bayern und Baden-Württember­g durchsucht. Foto: Matthias Becker

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