Schwabmünchner Allgemeine

Die „Idee Amerika“ist unter Beschuss

Donald Trump trägt natürlich nicht persönlich Schuld an den Schießerei­en auf Migranten. Aber er muss sich seiner Verantwort­ung dringend stellen

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Amerika, das ist vor allem eine Idee. Eine ungeheuer mutige. Man muss sich nur die ersten Sätze der amerikanis­chen Unabhängig­keitserklä­rung durchlesen, um Gänsehaut zu bekommen, heute noch. Während es im damals so vermeintli­ch zivilisier­ten Europa vor allem um das Glück der Könige ging – im Jahr 1776 hatte nicht einmal die Französisc­he Revolution begonnen –, dreht sich darin schon alles um die „pursuit of happiness“. Das ganz persönlich­e Streben nach Glück also, und zwar für alle, ganz egal, wer deine Eltern waren oder in welche Ecke des Landes es dich verschlage­n hat. Nichts Geringeres als eine „leuchtende Stadt auf dem Hügel“wollten die amerikanis­chen Verfassung­sväter erreichen – eine, die die ganze Welt anlockt.

Natürlich ist Amerika dieser Idee

niemals gerecht worden, wie auch? Als die Unabhängig­keitserklä­rung gedruckt wurde, durften Frauen noch nicht wählen, Schwarze wurden noch als Sklaven gehalten. Später hat ein besonders brutaler Bürgerkrie­g das Land beinahe zerrissen – und als 2008 mit Barack Obama schließlic­h ein afroamerik­anischer Präsident ins Weiße Haus einzog, konnten dessen Sicherheit­sberater die Morddrohun­gen gegen die „Gorillafam­ilie Obama“kaum noch zählen.

Aber all diese Fehler – und es gäbe noch viele mehr zu nennen – konnten die so richtige urmenschli­che Gründungsi­dee Amerikas nicht falsch machen. Von der haben auch wir Deutsche profitiert, als die Amerikaner uns nach dem Zweiten Weltkrieg die Demokratie beibrachte­n. Zudem gab es ein verlässlic­hes einendes Element. Egal wie schlecht es dem Land ging: Dass Amerikas Präsident, ganz gleich wie umstritten er selber war, an die nobleren Seiten unserer menschlich­en Natur appelliert­e.

Das ist vorbei. Die furchtbare­n Schüsse von El Paso und Dayton, zwei Massaker binnen 24 Stunden, haben die ganze Welt daran erinnert. Dabei geht es gar nicht um die ewige Frage nach dem Waffenrech­t – und auch nicht darum, ob die Schüsse Präsident Trump zuzuschrei­ben seien, wie manche Kommentato­ren nun schreiben. Natürlich hat Trump nicht die Gewehre besorgt, er hat nicht selbst die Kugeln eingelegt. Aber den Vorwurf, geistiger Brandstift­er zu sein, muss er sich gefallen lassen. Der US-Präsident hat über Jahre NeonaziUmt­riebe verharmlos­t, weiße Extremiste­n als prima Leute dargestell­t, gerade erst das überwiegen­d schwarze Baltimore mit einem Rattenloch verglichen. Aus seinem Abscheu für Mexiko hat er nie einen Hehl gemacht – und an der Grenze zu Mexiko wurden nun beim Massaker von El Paso offenbar gezielt Latinos gejagt.

Vor allem aber hat Trump besagte ureigenste Pflicht jedes US-Präsidente­n unterlasse­n: den Versuch, das Land – und damit auch ein wenig die Welt – irgendwie zu einen. Bislang hatte er daran kein Interesse. Je zerstritte­ner die Nation, desto besser schienen seine (Wieder-)Wahlchance­n.

Was das heißt, etwa für den USWahlkamp­f 2020? Der kann keiner wie irgendeine­r vorher sein. Trumps Gegner müssen offen ansprechen, wie es das Land zerreißt – und wir Deutsche, wir Europäer müssen dies auch tun.

Dabei gilt es fein abzuwägen, wie es Kanzlerin Angela Merkel vorgemacht hat – zu zeigen, dass wir auf gar keinen Fall den Austausch mit den Amerikaner­n meiden. Aber mit Trump schon, wenn er bestimmte Grenzen überschrei­tet.

Es gibt nämlich, selbst in der Ära Trump, Grenzen des Anstands. Vielleicht ist es nicht einmal hoffnungsl­os, ihn selbst daran zu erinnern. Trumps seltsam unsicherer Auftritt nach den Schüssen legte nahe: So schön ist es nicht, überall als Rassist zu gelten.

Es geht um eine Grenze des Anstands

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