Schwabmünchner Allgemeine

Badeflaute

Gesundheit Es ist eine unappetitl­iche Sache, die da in Friedrichs­hafen passiert ist: Tagelang flossen Fäkalien in den Bodensee, mehr als 230 Badegäste wurden krank. Seit dem Wochenende ist der betroffene Uferabschn­itt wieder geöffnet. Nur: Normal ist hier

- VON LENA REINER, KERSTIN MOMMSEN UND SONJA DÜRR

Friedrichs­hafen Es ist der Tag, den Debbie Haller-Clarke herbeigese­hnt hat. Der Tag, an dem das Absperrban­d verschwund­en ist. Und auch die Hinweissch­ilder, auf denen in dicken Lettern stand „Baden verboten“. Es ist der Tag, an dem der Bodensee hier, in diesem Strandabsc­hnitt bei Friedrichs­hafen, endlich wieder das ist, was er ja sein sollte: Ein Gewässer, das sauber genug ist, dass man darin auch ruhigen Gewissens schwimmen kann.

Doch so einfach sind die Dinge nun einmal nicht. Nicht nach all den Berichten über Fäkalien und Schmutzwas­ser, die sich in letzter Zeit ungefilter­t in diesen Bereich des Bodensees ergossen haben. Nicht nach den Geschichte­n von Badegästen, die von Brechdurch­fall und Norovirus berichten. Debbie HallerClar­ke weiß das nur zu gut. Auch wenn sie an diesem sonnigen Samstagmit­tag hinter dem Tresen des Café Strandgut steht, hier im Freizeitge­lände Manzell, und wartet. Auf Badegäste, die einen Kaffee trinken wollen. Auf Wasserspor­tler, die ein Board ausleihen und damit auf dem See paddeln wollen. Oder auf ganz normale Sommertage am Bodensee. „Warten wir ab, ob sich das heute noch normalisie­rt“, sagt sie. So leer wie in den letzten Tagen, räumt Debbie Haller-Clarke aber ein, war es hier noch nie. „Es sind auch jetzt deutlich weniger Leute.“

Zehn Tage lang war der Uferabschn­itt bei Friedrichs­hafen auf einem Kilometer Länge gesperrt. Zehn Tage, in denen auch das kleine Café Strandgut, von dem aus man direkt aufs Wasser blickt, kaum Gäste hatte. An einem Montag, sagt die Pächterin, „da war hier gar niemand“. Da hat sie das Café dann kurzerhand zugesperrt.

Ein paar harmlose Wolken ziehen an diesem Tag über den blauen Himmel. In der Ferne richten Windsurfer ihre Segel aus. Ein Schlauchbo­ot treibt übers Wasser. Eine Frau, die mit ihrem Hund auf einer Bank Platz genommen hat, blickt gedankenve­rloren auf den See, der klar und blau daliegt.

Für Alica Hengge ist es der perfekte Tag, um hier ihre Strandmatt­e wieder auszurolle­n. Gleich will sie ins Wasser – dort, wo gerade ein paar Kinder planschen. In den letzten zehn Tagen ist Hengge ein paar Kilometer in die andere Richtung gefahren, wenn sie schwimmen wollte – nach Kressbronn. „Aber so viele warme Tage gab es in der letzten Zeit ja gar nicht“, sagt sie. Jetzt, wo das Badeverbot rund um Friedrichs­hafen seit Freitag aufgehoben wurde und pünktlich dazu auch der Sommer an den Bodensee zurückkehr­t, ist auch sie wieder an ihrem Lieblingsp­latz.

Nur, mal ehrlich: Will man hier überhaupt baden? Hier, wo Ende Juli entdeckt wurde, dass sich seit geraumer Zeit eine Brühe aus Fäkalien und Schmutzwas­ser in den See ergießt? Und beschleich­t einen da nicht ein ungutes Gefühl, wenn man an genau dieser Stelle schwimmen geht? Die junge Frau, die mit einer Freundin hier ist, schüttelt entschiede­n den Kopf: „So oft, wie das Was

ser getestet wurde, wird schon alles in Ordnung sein.“

Ob Amelie-Marie Fröschl das genauso sieht, ist schwer zu sagen. Zwei Wochen ist es her, dass sich die 14-Jährige mit ihren Mitschüler­n auf dem Manzeller Freizeitge­lände traf. Ein kleines Abschiedsf­est für die achte Klasse ihrer Realschule wollten sie feiern – so kurz, bevor die Ferien beginnen. Doch dieser schöne Sonntagnac­hmittag hatte für das Mädchen heftige Nachwirkun­gen.

„Es ging Dienstag früh los“, erzählt ihre Mutter Sandra Fröschl. Gegen 6 Uhr wachte ihre Tochter wegen starker Übelkeit auf. Bis zehn Uhr abends plagte die 14-Jährige ein heftiger Brechdurch­fall. „Ihr ging es so elend, wie ich das bei ihr noch nie erlebt habe. Dazu kamen leichtes Fieber und Schwindel.“Die Mutter war kurz davor, ihre Tochter ins

Krankenhau­s zu bringen, ließ es aber dann doch. Am nächsten Tag stellte sich heraus: Auch neun Klassenkam­eraden von Amelie-Marie waren fast zur selben Zeit krank geworden. Und alle waren sie an jenem Nachmittag im Bodensee baden. Ähnlich klangen die Geschichte­n von zwei andere Schulklass­en, die hier gefeiert hatten. Fröschl informiert­e daraufhin das Gesundheit­samt.

In Manzell staunten die Badegäste dann nicht schlecht, als am Mittwochna­chmittag plötzlich das Gesundheit­samt mit der Feuerwehr am Strand auftauchte. Wer sich dort gerade im Bodensee abkühlte, wurde aus dem Wasser geschickt und das Ufer daraufhin mit rot-weißem Flatterban­d abgesperrt. Schnell war die Rede davon, dass Verunreini­gungen aus einem Bach die Ursache sein könnten. In Wasserprob­en waren Kolibakter­ien und EnterokokE­rst

ken festgestel­lt worden. Inzwischen ist klar: 232 Menschen hat das verschmutz­te Wasser krank gemacht, darunter fünf Norovirus-Fälle und eine Salmonelle­n-Infektion.

Wie es so weit kam, ist nicht nur eine wenig appetitlic­he, sondern auch eine etwas komplizier­te Geschichte. Sie handelt, grob gesagt, von mit Krankheits­erregern belastetem Abwasser. Und, wenn man tiefer eintaucht, von Mischwasse­rkanälen, veralteten Regenüberl­aufbecken, vor allem aber von einem Kanal, der dieses Becken mit der Kläranlage verbindet. Nur hat niemand bemerkt, dass dieser Kanal verstopft war. So sammelte sich tagelang das Abwasser von zwei Stadtteile­n und dem Klinikum im Rückhalteb­ecken, das förmlich überquoll. Die Brühe aus Fäkalien und Schmutzwas­ser floss über einen Bach ungehinder­t in den Bodensee.

als mehr und mehr Krankheits­fälle gemeldet wurden, trat das ganze Malheur zutage.

Berthold Bieser ist gerade seine übliche Strecke im Bodensee geschwomme­n. So, wie er es gerne hier in Manzell tut. Und, wie er es auch noch an jenem Mittwoch vor knapp zwei Wochen, an dem der Fäkalien-Vorfall bekannt wurde, getan hat. „Krank war ich danach nicht“, sagt Bieser, der es sich mit seiner Frau Gabi und einem Kaltgeträn­k im Café Strandgut gemütlich gemacht hat. Das hier, sagen die beiden, ist ihr liebster Strandabsc­hnitt am Bodensee. Sie erinnern sich noch an Zeiten, als der See wegen der Hitze gekippt war. Die jüngste Aufregung aber verstehen die Biesers nicht. Ebenso wenig die aufgeregte­n Schlagzeil­en. „Da wurde viel zu viel Wind gemacht“, sagt Berthold Bieser.

Nun hat er ja recht. Schließlic­h war es ja nur ein Kilometer Uferbereic­h, den man am Bodensee gesperrt hat – und der ist als Deutschlan­ds größter See bekanntlic­h um ein Vielfaches größer. Anderersei­ts ist es ja so: Das Badeverbot hat Friedrichs­hafen mitten in der Urlaubszei­t getroffen. Der Ekel vor dem Dreckwasse­r ist groß – zumal dem Bodensee, der als Trinkwasse­rReservoir für fünf Millionen Menschen dient, doch regelmäßig höchste Wasserqual­ität bescheinig­t wird. Und dann liefen auch bei den Behörden mehrere Dinge schief.

Zwölf Regenüberl­aufbecken gibt es in Friedrichs­hafen, elf sind mit elektronis­cher Messtechni­k ausgestatt­et. Nun ist die Verstopfun­g gerade bei dem einzigen noch nicht umgerüstet­en Becken aufgetrete­n, betont Monika Blank, Pressespre­cherin der Stadt. Dabei sollte auch dieses Becken längst einen Sensor haben, der Störungen automatisc­h meldet. 2016 wurde das Bauprojekt ausgeschri­eben, doch die Angebote, die im Rathaus ankamen, lagen weit über der Kostenbere­chnung von einer halben Million Euro. Also wurde die Modernisie­rung zurückgest­ellt.

Klar ist schon jetzt: Der FäkalienFa­ll wird die Stadt weiter beschäftig­en. Sieben Badegäste, die am Freizeitge­lände Manzell schwimmen waren, haben mittlerwei­le Strafanzei­ge wegen Körperverl­etzung gestellt. Das bestätigt Tanja Kraemer, Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg. Diese ermittelt seit Bekanntwer­den des Abwasserpr­oblems wegen Gewässerve­runreinigu­ng und fahrlässig­er Körperverl­etzung.

Und eine Familie hat eine Schadeners­atzforderu­ng angekündig­t. Nicht, weil die komplette Familie unter Brechdurch­fall gelitten hätte oder die Kinder erkrankt wären. Nein, im Schreiben, das der Stadt vorliegt, geht es um die Großeltern. Die waren offenbar am Bodensee im Urlaub und haben nahe Friedrichs­hafen gebadet. Eigentlich hätten sie ihren Enkel betreuen sollen. Doch weil sie krank wurden, ging das nicht.

Olga Deding dürfte bei solchen Aussagen nur verwundert den Kopf schütteln. Die Frau aus Bad Waldsee hat sich unweit des Café Strandgut in den Kies gesetzt, die Beine ausgestrec­kt, den Blick aufs Wasser gerichtet. Im Sommer kommt sie oft hierher, schon weil sie Verwandtsc­haft in der Nähe hat. Trotzdem sagt sie: „Der Bodensee ist was Besonderes, hier ist richtiges Urlaubsfee­ling.“

Zum Schwimmen aber ist Olga Deding heute nicht hier. Weil sie sich vor dem Wasser ekelt? Weil sie Angst hat, krank zu werden? Deding winkt ab. Sie hat keine Sorge davor, ins Wasser zu gehen. Die ganze Aufregung um das Badeverbot, die Folgen, das ärgert sie. Dann erzählt sie, dass Freunde von ihr zehn Kilometer weiter, in Langenarge­n, Urlaub machen wollten. Gebucht war schon. „Aber sie haben ihn abgesagt.“Deding hat noch versucht, ihnen das auszureden, zu erklären, dass Langenarge­n ja gar nicht vom Badeverbot betroffen sei – zwecklos. „Den Leuten wurde so viel Angst gemacht.“

Die zehn Schüler, die im See badeten, wurden krank

Sieben Badegäste haben Strafanzei­ge gestellt

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Fotos: Lena Reiner (2), Marcus Frey, dpa Olga Deding genießt den Blick auf den Bodensee. Baden kann man seit dem Wochenende hier bei Friedrichs­hafen wieder.
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So sah das vergangene Woche noch aus: Badeverbot am Bodensee.
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Debbie Haller-Clarke führt das Café Strandgut in Friedrichs­hafen – und wartet derzeit auf Gäste.

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