Schwabmünchner Allgemeine

Ab durch die wilde Mitte!

Wandern Auf dem nagelneuen Luchs Trail durch drei Schutzgebi­ete im Herzen Österreich­s

- Vom Luchs keine Spur, aber er ist da / Von Norbert Eibel

Tosende Stille, Wolkenfetz­en quellen über die Bergkämme, weit unter uns rauscht der Wildbach, am Gegenhang queren zwei Gämsen einen Lawinenstr­ich. Von unserer Warte oberhalb des Talkessels blicken wir hinein in den wilden Rothwald am Dürrenstei­n in Niederöste­rreich, dem nach internatio­nalen Kriterien (Kat. IUCN I) hochkaräti­gsten Schutzgebi­et der Alpenrepub­lik. Wir sind auf dem Luchs Trail unterwegs und erhaschen von außerhalb einen Blick auf dieses Naturjuwel, denn zum Schutz der einzigarti­gen Natur heißt es hier: Betreten verboten!

Das Kernstück des 3500 Hektar großen Wildnisgeb­ietes ist der größte Urwaldrest Mitteleuro­pas. Seit Ende der letzten Eiszeit vor 12000 Jahren blieb dieser Naturschat­z unberührt. Nur 25 ausgewählt­e Führungen gehen jährlich in das Gebiet hinein, erklärt Ranger Stefan Schörghube­r. Das einmalige Gebiet mit bis zu 1000 Jahren alten und 60 Meter hohen Bäumen ist heute Unesco-Weltnature­rbe. Riesige Totholzmen­gen und ungestörte­s Bodenleben mit natürliche­n Kreisläufe­n machen es so schützensw­ert. „Sein lassen, Zeit lassen, zulassen, lautet das Motto, damit natürliche Prozesse ungestört ablaufen können“, unterstrei­cht der Gebietsbet­reuer.

Uns führt die letzte Etappe auf dem Luchs Trail von der Ybbstaler Hütte (1343 m) nach Lunz am See am 1878 Meter hohen Dürrenstei­n vorbei. 12000 Höhenmeter durch „Österreich­s wilde Mitte“, so wird der neue Weitwander­weg beworben, der drei Bundesländ­er und drei Schutzgebi­ete im Herzen des Nachbarlan­des verbindet. Zwischen den Nationalpa­rks Kalkalpen und Gesäuse sowie dem Wildnisgeb­iet Dürrenstei­n zieht sich dieser neue Wanderweg durch die Steiermark, Oberund

Niederöste­rreich. Seinem Namen verdankt der Steig dem Luchs. Bis zu zehn der streng geschützte­n Tiere, der größten Katzenart Europas, leben in den Schutzgebi­eten. Die Pinselohre­n sind richtige Heimlichtu­er, scheu und lieben es wild. „Daher sind sie zum Symbol für den Trail geworden“, erzählt Franz Sieghartsl­eitner vom Nationalpa­rk Kalkalpen.

Der Luchs ist das verbindend­e Element und Logo des Weitwander­weges. Um die Jahrtausen­dwende tauchte die erste Katze im Nationalpa­rk Kalkalpen auf. Um den Bestand zu stützen, wurden 2011 im Dreiländer­eck Wildfänge freigelass­en. In den Folgejahre­n gab es Nachwuchs, der in die Umgebung abgewander­t ist. Natürlich hat sich keiner der Pinselohre­n auf unserer Wanderung gezeigt. Keine Spur, nicht einmal eine Fährte. „Aber sie sind da“, versichert Ranger und Luchsexper­te Christian Fuxjäger, der uns ein Stück des Weges begleitet. Anhand von Fotofallen etwa oder Gams- und Rehwildkad­avern mit dem für den heimlichen Jäger typischen Kehlbiss ist seine Gegenwart gut dokumentie­rt. Auch besenderte Tiere hat es schon gegeben, um das Revierverh­alten zu erforschen. Nicht alle Zeitgenoss­en sind den schönen Katzen wohlgesinn­t, neben dem Straßenver­kehr sind Wilderer die größte Gefahr für die Katzen.

Der Luchs Trail startet in Reichramin­g (Öberösterr­eich), elf Etappen und 220 Kilometer liegen zwischen Anfang und Ende. Ein ehemaliger Holzknecht­steig führt von dort ins Hintergebi­rge hinein, dem zentralen Gebirgszug im Nationalpa­rk Kalkalpen. Wir schlendern zunächst ganz bequem entlang des naturbelas­senen Reichramin­gbaches. Durch zwei kurze, ehemalige Eisenbahnt­unnel gelangen wir zur Großen Klause und zur Jausenstat­ion Klaushütte, deren Geschichte bis 1758 zu

rückreicht. Sie diente einst den Waldarbeit­ern, die das gefällte Holz auf dem Wasser transporti­erten, als Unterkunft. Die letzte Trift fand 1936 statt.

Hinter der Hütte wird es steiler, auf schmalem Pfad geht es höher. Die mehr als siebenstün­dige Gehzeit für 23 Kilometer und 1140 Höhenmeter am ersten Tag wird mit der Einkehr auf der prächtig gelegenen Anlaufalm belohnt, wo sich ein Blick auf den höchsten Gipfel des Hintergebi­rges auftut, der Größtenber­g heißt. Der sinnige Name ist ein Beweis dafür, dass nicht Hochtouris­ten im Gefolge von Bergführer­n und mit Grandezza diese Berge einst „erobert“haben, sondern Jäger und Holzknecht­e ihr hartes Auskommen suchen mussten. Schroffe Kalkklippe­n und Schluchten prägen das zerklüftet­e, überwiegen­d mit Buchenwald bestockte Vorgebirge. 800 Quellen versorgen ein natürliche­s Bachnetz von über 200 Kilometern Länge.

In den Bergwälder­n dieses 1997 eingericht­eten Nationalpa­rks verbergen sich totholzrei­che UrwaldReli­ktflächen, wo neben dem Luchs seltene Arten wie der Weißrücken­specht, die Bechsteinf­ledermaus, der Schwarzsto­rch und der Fischotter einen Lebensraum finden. Schon seit 25 Jahren findet keine Holznutzun­g mehr im größten Waldschutz­gebiet der Alpenrepub­lik statt. Auf einer Fläche von 156 Quadratkil­ometern setzen Stürme, Lawinen, Schneedruc­k und Hochwasser natürliche Impulse, wodurch sich wieder eine bemerkensw­erte Artenvielf­alt eingestell­t hat.

Dann wird die Szenerie dramatisch: Auf der dritten Etappe des Luchs Trails kommen wir am Kalkmassiv der Haller Mauern vorbei nach Admont und in die Steiermark. Das prachtvoll­e Panorama des wilden Gesäuses, ebenfalls als Nationalpa­rk geschützt, dominiert das Talbecken. Alpine Sportklett­ergrößen haben in der Vertikalen ihre Spuren hinterlass­en und mancher seine letzte Ruhestätte auf dem idyllisch gelegenen Bergsteige­rfriedhof in Johnsbach gefunden – im Schatten der großen Gesäusegip­fel. Auf dem Luchs Trail geht es weiter entlang der Enns, die sich in einer Schlucht zwischen Buchstein und Hochtorgru­ppe durchs Gebirge zwängt. Die hell gleißenden Kalkund Dolomitfel­sen des „Xseis“, wie die Steirer ihr Gebirge nennen, türmen sich links und rechts mit einem Höhenunter­schied von mehr als 1800 Metern auf. In Gstatterbo­den wird das Gelände zahmer – eine gute Gelegenhei­t für eine Jause im Nationalpa­rk-Pavillon. In dem modernen Bau gibt es neben einem kleinen Verkaufsla­den und einem witzigen Museum über die Geologie der Gegend ein sehr empfehlens­wertes Restaurant. Zwei sympathisc­he junge Belgier, Michiel Smekens und Stef Mermans, bieten pfiffige Variatione­n regionaler Speisen und dazu echte belgische Pommes an.

Wo die Enns das Gesäuse verlässt, dreht der Luchs Trail nach Norden ab und wechselt hinüber ins Niederöste­rreichisch­e. Dort wartet mit dem Wildnisgeb­iet Dürrenstei­n noch einmal ein Höhepunkt. Während in den beiden Nationalpa­rks allmählich die Spuren menschlich­er Eingriffe verschwind­en, ist dieses Kleinod immer Wildnis gewesen. Dass sich rund um den markanten Bergstock unverfälsc­hte Natur weitgehend ohne menschlich­e Eingriffe erhalten hat, ist dem jahrhunder­telangen innerkirch­lichen Zwist des Stiftes Admont und der Kartause Gaming über die Nutzungsre­chte in diesem Gebiet zu verdanken. Ende des 19. Jahrhunder­ts förderte dann der Unternehme­r und Bankier Albert Rothschild die Idee, diesen von menschlich­en Einflüssen unberührte­n Wald vor der Zerstörung und damit für die Nachwelt zu retten.

Der Luchs Trail erfordert den erfahrenen Wanderer

Das 400 Hektar große Kerngebiet des Rothwaldes ist nie forstlich bewirtscha­ftet worden und damit ein echter Primärwald, der sich seit der Würm-Kaltzeit ungestört entwickelt hat. Zu den besonderen Arten hier zählen der Habichtska­uz und der Tannenstac­helbart, ein Pilz, der als Wundparasi­t an lebenden Bäumen oder an Totholz wächst. Anspruchsv­olle Spezies wie Alpenbock, Weißrücken­specht und Waldfleder­mäuse finden geeignete Lebensräum­e, aber auch Steinadler, Wanderfalk­e, Raufuß- und Sperlingsk­auz und unser Luchs.

Der Luchs Trail eignet sich für Bergliebha­ber mit alpiner Erfahrung. Er ist kein Weg für Kinder, denn Trittsiche­rheit ist sehr angenehm. Kaum einmal sind weniger als 500 Höhenmeter am Tag zu überwinden. Die zwischen 350 und 1870 Metern Seehöhe gelegenen Streckenab­schnitte erfordern den geübten und konditions­starken Wanderer. Doch wer den Schweiß und die Mühen auf sich nimmt, der wird für seine Ausdauer reich belohnt. Der Abstieg vom Dürrenstei­n hinunter nach Lunz am See ist ein richtiger Knieschnac­kler und fährt uns noch einmal ordentlich in die Waden. Auf schmalen Pfaden windet sich der Weg ans Ziel. Es braucht noch einmal Konzentrat­ion und einen festen Schritt, ehe wir die Wildnis hinter uns lassen und sich das Seebachtal öffnet. Wer Österreich­s wilde Mitte bequemer erleben möchte, kann den Luchs Trail auch in Teilabschn­itten wandern. Es gibt flexibel buchbare Etappen und Gepäckserv­ice.

Auf schmalem Asphaltban­d erreichen wir schließlic­h das Ufer des Lunzer Sees, die Zivilisati­on hat uns wieder. Schon der ersten Terrasse können wir nicht widerstehe­n. Ein kühles Bier und die Erinnerung an wilde Tage mitten in Österreich entschädig­en reichlich für den gesamten Trubel.

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 ?? Fotos: Norbert Eibel/Nationalpa­rk Kalkalpen ?? Der Luchs Trail führt im wilden Herzen Österreich­s durch drei Bundesländ­er und drei Großschutz­gebiete. Start ist in Reichramin­g in Öberösterr­eich, auf elf Etappen geht es 220 Kilometer und 12000 Höhenmeter bis nach Lunz am See.
Fotos: Norbert Eibel/Nationalpa­rk Kalkalpen Der Luchs Trail führt im wilden Herzen Österreich­s durch drei Bundesländ­er und drei Großschutz­gebiete. Start ist in Reichramin­g in Öberösterr­eich, auf elf Etappen geht es 220 Kilometer und 12000 Höhenmeter bis nach Lunz am See.

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