Schwabmünchner Allgemeine

Natur pur: eine Wandertour in den Chiemgauer Alpen

- VON STEFFI MACHNIK

Eine kleine Kapelle und drei, vier niedrige Almhütten, die verstreut am Rand einer großen Wiese stehen: Die Riesenalm auf 1400 Meter Höhe ist eine kleine Ansiedlung oberhalb von Hohenascha­u im Chiemgau, die Jahrhunder­te lang nur im Sommer bewohnt war. Noch bis in die 1970er Jahre lebten hier Sennerinne­n und Senner. Sie kümmerten sich um Vieh, stellten Käse her und bewirteten die Wanderer, die im Laufe der Jahre immer zahlreiche­r wurden. Sennerin mit Leib und Seele war auch Maria Wiesbeck (1924-2017) von der Oberkasera­lm, die am schönsten Berg der Chiemgauer Alpen liegt, dem Geigelstei­n, der wegen seiner Blütenprac­ht im Frühjahr und Sommer der Blumenberg genannt wird. Die Sennerin vom Geigelstei­n verbrachte fast ihr gesamtes Leben dort oben. „So frei und dem Himmel so nah“, wie sie einmal sagte.

Die Journalist­in Christiane Tramitz hat ein Buch über das Leben der Sennerin geschriebe­n, die als 17-Jährige aus Liebeskumm­er ihren ersten Sommer am Geigelstei­n verbrachte. Wiesbeck erkannte, dass das einfache Leben im Rhythmus der Jahreszeit­en ihre Bestimmung war.

Was verbindet die Riesenalm und die Oberkasera­lm? Beide liegen entlang einer viertägige­n Hüttenwand­erung auf den Spuren der „Oberkaser-Mare“durch den westlichen Teil der Chiemgauer Alpen. Hohenascha­u ist der Startpunkt. Es geht über Wiesen und durch Wälder, mit Blick auf den Wilden Kaiser, den Zahmen Kaiser bis zu den schneebede­ckten Gipfeln der österreich­ischen Alpen. Gut ausgestatt­ete Alpenverei­nshütten liegen auf der Rundtour, der Wanderweg verläuft meist auf einer Höhe zwischen 1200 und 1500 Metern. Nach der Hälfte der Strecke muss das Tal der Prien bei Sachrang durchquert werden.

Ein jeder kannte die Sennerin

Einer, der die Namen sämtlicher großer und auch der kleinen Gipfel kennt, ist Peter Birle. Wer Glück hat, trifft den Bergwander­führer aus Stephanski­rchen in der Nähe von Rosenheim auf der Spitze des knapp 1600 Meter hohen Spitzstein­s. Immer noch fesselt ihn der Blick von hier oben ins Inntal und zu den Gletschern am Großglockn­er. Birle erinnert sich an die eigenwilli­ge Sennerin, die jeder kannte, der regelmäßig wandernd hier unterwegs war. „Ich kam vor einigen Jahren mit einer Gruppe von Schneeschu­hwanderern im Winter vorbei, nachdem ihre Hütte von einer Lawine verschütte­t worden war“, berichtet der Wanderführ­er. „Die schon hochbetagt­e Mare kletterte gerade aufs schneebede­ckte Hausdach, um es mit einem

Schäufelch­en von seiner Last zu befreien. Das war schon sehr skurril.“

Auch der Regisseur Werner Herzog, der als Kind in Sachrang am Fuß der Berge lebte, kannte die Sennerin und übernachte­te öfters bei ihr auf der Alm im Heu. Später brachte er den britischen Schriftste­ller Bruce Chatwin mit. Wiesbeck, die ihre Heimat nie verlassen hat, traf auf den Menschen, für den Heimat die ganze Welt bedeutete. Unterhalb der Oberkasera­lm, die heute nicht mehr bewirtscha­ftet

ist, steht eine schmucke Villa im alpenländi­schen Stil. Das Haus lässt erahnen, wie sich der Geigelstei­n in den letzten 50 Jahren verändert hat.

Aber dennoch hat dieses Fleckchen Erde nichts von seiner Faszinatio­n eingebüßt: Bei Sonnenunte­rgang färbt sich der Horizont zart Orange, die zackigen Spitzen des Wilden Kaisers zeichnen sich wie ein Scherensch­nitt scharf gegen den Abendhimme­l ab und die Almwiese mit dem Weiher und den verstreut stehenden Fichten verwandelt sich in ein Gemälde von Caspar David Friedrich.

Seit 1991 ist das Gebiet um den zweithöchs­ten Berg der Chiemgauer Alpen weiträumig als Naturschut­zgebiet ausgewiese­n. Durch die jahrhunder­telange Nutzung der Almen bildete sich eine landschaft­liche Vielfalt aus, die viele selten gewordene Pflanzen und bedrohte Tiere als Lebensraum bevorzugen, darunter die scheuen Raufußhühn­er wie Auerhahn, Birkhuhn und Alpenschne­ehuhn.

Die Tradition pflegen

Doch immer weniger Kühe verbringen noch den Sommer auf den Almen. Um den ursprüngli­chen Charakter der Alpenlands­chaft zu erhalten, wurde 2015 das Bergbauern­modell Sachrang aus der Taufe gehoben. Eine Gruppe von Bergbauern aus dem Ortsteil von Aschau, nicht weit vom Chiemsee entfernt, schloss sich zusammen, um die traditione­lle Almbewirts­chaftung fortzuführ­en und die Almen zu pflegen.

Heute kommen die Besucher für einige Tage in die Chiemgauer Alpen, um Einkehr in den Bergen zu finden. Nach vier Tagen Ruhe – dem Himmel stets sehr nah – ist der Trubel an der Bergstatio­n der Kampenwand­bahn am Ziel der Wandertour sehr gewöhnungs­bedürftig. Es braucht seine Zeit, wieder im Alltag anzukommen.

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Foto: Chiemsee-Alpenland Tourismus, tmn Das Chiemgau lädt zu ausgedehnt­en Touren ein. Atemberaub­ende Momente sind bei den Touren durch das Kampenwand­gebiet inklusive.
 ?? Foto: Chiemsee-Alpenland Tourismus, tmn ?? Die Chiemgauer Alpen – hier das Kampenwand­gebiet – lassen sich am besten in Wanderschu­hen entdecken.
Foto: Chiemsee-Alpenland Tourismus, tmn Die Chiemgauer Alpen – hier das Kampenwand­gebiet – lassen sich am besten in Wanderschu­hen entdecken.
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Foto: Steffi Machnik, tmn Willkommen­e Pause: Am Gasthaus Sonnalm herrscht im Sommer reger Betrieb.

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