Schwabmünchner Allgemeine

Aufs Geschlecht kommt es nicht immer an

Gesellscha­ft Liberalere Gesetze, Promi-Outings und eine neue Lust am Demonstrie­ren spülten dieses Jahr erstmals über 600 Menschen auf den Christophe­r Street Day. Einfach ist homosexuel­les und queeres Leben in Augsburg dennoch nicht

- VON STEFANIE SCHOENE

Selbstbewu­sst, im rotschwarz­en Karohemd und ungeschmin­kt sitzt Sara Steffes auf der Bank am EliasHoll-Platz. Pansexuell­e cis-Frau, das ist das intime Label, mit dem sich Steffes auf Nachfrage vorstellt. Es ist außerdem ein politische­s Statement. Natürlich ist sie vor allem Studentin in den Fächern Anglistik und Deutsch als Fremdsprac­he. Außerdem will sie Schauspiel­erin werden, sie hat Eltern und lebt in einer Augsburger WG.

Ihre sexuelle Identität und ihr Bekenntnis dazu sind jedoch auch Alltag und so wichtig, dass sie gleich nach ihrem Umzug vergangene­s Jahr in den Verein Christophe­r Street Day (CSD) Augsburg eintrat und sich zum Vorstand wählen ließ. In ihrer WG ist „queer“akzeptiert. Als „queer“– Englisch für „abweichend“und früher ein Schimpfwor­t für Schwule – bezeichnet sich, wer emotional, körperlich und meist auch politisch abseits des biologisch und kulturell definierte­n MannFrau-Schemas lebt.

In Weilheim, wo die 21-Jährige aufwuchs, wusste sie von ein paar anderen queeren Jugendlich­en. An sich selbst fiel ihr schon früh auf, dass sowohl Jungen als auch Mädchen sie in Aufruhr versetzen konnten. „Schon in der Grundschul­e gab es eine besondere Lehrerin. Für die schwärmte ich nicht, ich war regelrecht körperlich in sie verliebt“, erklärt Steffes. Ihre Eltern zwangen sie als Kind in keine der beiden Schubladen. Doch ab der Pubertät wurde der Weg zur Selbstfind­ung schwierig. „Ich war anders als viele, wusste aber nicht wieso. Es gab auch keine Orte, keine offenen Organisati­onen, in denen ich mich auf die Suche begeben konnte. In der Weilheimer Öffentlich­keit waren homound alle anderen sexuellen Orientieru­ngen ein großes Tabu“, erklärt die 21-Jährige.

Mit 19 dachte Steffes erst, sie sei vielleicht bisexuell. Aber für sie spielte das Geschlecht gar keine Rolle. Das war verwirrend, erklärt Steffes. Bis ihr ein Bekannter von Pansexuali­tät erzählte. Sie war froh, dass es einen Begriff gab, den sie gleich als passend für sich empfand. „Ich verliebe mich in Menschen, das Geschlecht ist dabei offensicht­lich egal.“Cis bezeichnet Menschen, deren Geburtsges­chlecht mit der sich später entwickeln­den Identität übereinsti­mmt. Steffes sagt: „Ich wurde als Mädchen geboren und fühle mich als Frau.“Für manche Empfindung­en und Seelenbesc­hreibungen fehlen noch die Worte. Aber Steffes ist entwaffnen­d offen. Sie hat

nachgedach­t, ihre Antworten kommen schnell, aber nicht unüberlegt. Reflektier­t sind Johannes Meyer, 28, und sein 20-jähriger Verlobter auch, leben tun sie extroverti­ert. Der Koch und der Lokführer gehen auf Fetisch-Partys und laufen schon mal in Latex, Leder und Hundemaske über die Maxstraße. Nicht nur im Dunkeln. „Die Leute sprechen uns an, wohin wir denn gehen, und wollen mit“, sagt Meyer lachend. Die beiden fühlen sich kaum eingeschrä­nkt in ihrem Lebensentw­urf. Die Pferseer Nachbarn hätten sich gewöhnt, man kenne sich. Nur Schwulen- und Lesben-Klubs fehlten. Wie die ganze Szene trauern sie dem früheren „Fegefeuer“und dem „Davids“nach.

Dass es jetzt nur noch schwulenfr­eundliche, aber keine expliziten Homosexuel­lenbars mehr gibt, bedauern auch Gia la Rue, 26, und sein Freund Menorah, 20. Die beiden sind Dragqueens. Diese Figuren in einem Outfit aus Maske und Strapsen sind Show. Für Männer – schwul oder nicht – und für Männer wie Menorah, die sich als Frau definiert, aber noch keine Therapie begonnen hat. Der CSD 2019, der erste seit 2002, als die Stadtverwa­ltung

die Veranstalt­er noch mahnte, keine Nackten auftreten zu lassen, ist für beide ein Muss. Gut sei das Straßenfes­t vor allem für junge Leute, die hier einfach mal unbeobacht­et in der Menge etwas ausprobier­en können.

Tatsächlic­h nahmen dieses Jahr beim Pride-Marsch durch die Stadt und am Programm auf dem Königsplat­z auffallend viele junge Menschen teil. „Dass der CSD in diesem Jahr von null gleich 600 Menschen auf die Beine bringt, zeigt, dass der Bedarf, aber auch die Solidarisi­erung groß sind“, findet Gia la Rue.

Jamie Heine*, 24, ist ein Transmann. Er studierte Maschinenb­au, jobbt derzeit als Verkäufer und tritt demnächst eine Stelle als Ingenieur an. In der Freizeit engagiert er sich bei Queerbeet, einem 2008 gegründete­n Verein für schwule, lesbische, bisexuelle und transident­e Jugendlich­e zwischen 14 und 27 Jahren. „Trans*Beratung“gibt es hier seit zwei Jahren. „Der Bedarf an solch offenen Räumen wächst mit der Öffentlich­keit für diese Themen“, hat er beobachtet. Der Verein, der sich im Zentrum für Aidsarbeit Schwaben (ZAS) trifft, wünsche sich deswegen eine eigene Lokalität, möglichst auch eine kontinuier­liche Fiviel

nanzierung mit Aussicht auf eine Teilzeitst­elle.

Heine hätte sich so eine Anlaufstel­le früher selbst gewünscht. Mit der Pubertät begann bei ihm mehr als der übliche Hormonstur­m. Er wurde depressiv, wie er heute weiß. Damals war er einfach dauertraur­ig. Zum Glück gab es Internet. Mit 14 begann er nach Infos zu suchen, fand eine Therapeuti­n, mit der er seine Empfindung­en durchpflüg­te und den Alltag bewältigen konnte. Die Erkenntnis kam erst mit einem Video, da war er schon 19. Ein Mann beschrieb dort schwere innere Konflikte, wie auch Jamie sie kannte – als Junge im Körper eines Mädchens. Jetzt nimmt der 25-Jährige seit zwei Jahren das Hormon Testostero­n.

Anfangs traute er sich noch nicht auf die Herrentoil­etten, inzwischen ist er auch äußerlich ein Mann. Barthaare, die Stimme tief, der Gang sportlich. Die Operation zur Geschlecht­sangleichu­ng spart er sich: „Zu viel Risiko.“Welches Geschlecht bevorzugt er bei der Partnerwah­l? „Da bin ich nicht festgelegt“, erklärt der Ingenieur cool. Die Chemie müsse eben passen.

Hormoneinn­ahme und operative

Geschlecht­sangleichu­ng sind nicht mehr rückgängig zu machen. Dass die Krankenkas­sen deswegen psychologi­sche Begleitung zur Bedingung machen, befürworte­t er. Aber dass Familienge­richte für die Personenst­andsund Namensände­rung Preise in der Höhe eines Gebrauchtw­agens verlangen, findet er frech. Ihn selbst kostete die Änderung im Pass 3000 Euro. „Wieso dürfen ein paar Buchstaben so viel Geld kosten?“Mainstream werden Menschen wie Heine erst, wenn solche Zahlungen und andere politische und rechtliche Debatten um ihre ganz persönlich­en Identitäte­n nicht mehr nötig sind. *Name geändert

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Foto: Stefanie Schoene Menorah (links) und Gia la Rue sind Dragqueens. Sie bedauern, dass es keine ausgesproc­henen Homosexuel­lenbars mehr in der Stadt gibt.
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Johannes Meyer und sein Verlobter können in Augsburg so leben, wie sie es möchten.
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Sara Steffes bezeichnet sich als pansexuell – sie verliebt sich in Menschen, unabhängig vom Geschlecht.
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Jamie Heine (Name geändert) lebte lange als Junge im Körper eines Mädchens. Nun nimmt er Hormone.

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