Was unter dem Wittelsbacher Park verborgen ist
Geschichte Der Augsburger Zeitzeuge Hans Breu führt ehrenamtlich Besuchergruppen durch die dort erhaltenen Bunker
Antonsviertel Wer heute in den Wittelsbacher Park geht, findet etwas Frieden im schnelllebigen Stadtleben. Efeu ringt sich um die Bäume, Wasser plätschert, saubere Bänke laden zum Verweilen ein. Tiefer im Park riecht es nicht mehr nach Abgasen und den Fettresten von Leberkäse. Es riecht nach Erde und warmer Jahreszeit.
Was unter dem Park schlummert, wissen heute nur noch wenige. „Das ist doch diese Disco im Keller?“, fragt ein Jugendlicher. Von einem Bunker, in dem sich Gänge wie ein Labyrinth zusammenfügen und tonnenschwere Betonwände immer schmaler und tiefer in die Mitte des Parks führen, habe er noch nie gehört. Noch nie von einem Wittelsbacher Park, in dem es nicht nach Wiesenpollen roch, sondern nach Angst, Schweiß, Verzweiflung.
Unscheinbar, hinter Blattwerk versteckt, verbirgt sich eine mit Graffiti beschmierte Stahltür. Die Schlüssel dafür hat nur ein Mensch: Hans Breu. Der Zeitzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg kennt die Wirrungen des Untergrunds besser als jeder andere. Fast täglich geht er die 36 Stufen in die Dunkelheit hinunter, führt Schulklassen und Interessierte durch die Gänge. Und sie alle klammern sich gedanklich, je tiefer sie gehen, verzweifelt an die Zahl 246, die in weißer Farbe an die grauen, grobkörnigen Wände gepinselt ist. Hier in der Nähe muss der Ausgang sein.
Breu arbeitete bis zu seinem Ruhestand im Katastrophenschutz der Stadt und musste seit 1972 alle zwei Monate in dem Bunker „Patrouille laufen“, wie er es nennt. Obdachlose, die über einen Lüftungsschacht ein kühles Plätzchen im Sommer zum Schlafen fanden, oder abenteuerlustige Kinder, die durch ein Rohr in den Betonklotz robbten, waren keine Seltenheit. „Lachen kann ich darüber nicht“, sagt Breu. Als er einen Schulranzen und Kreidepfeile fand, hatte er Angst, ein totes Kind zu finden. Ein Suchtrupp mit Polizeihunden war erleichternd erfolglos. Heute gibt es nur noch zwei Wege raus. Alle anderen sind zubetoniert. Nur mit Pickel und Schaufel bestückt, höhlten rumänische Gefangene den Bunker aus. Erst 1944, kurz vor Kriegsende, war er fertig. Lautes Klirren hallte durch die Gänge, wenn die Zwangsarbeiter auf Steine und Geröll stießen. Heute klirren im Wittelsbacher Park nur noch die glasigen Tropfensteine des Kronleuchters, der im angerosteten Pavillon am Teichrand hängt.
Wind fährt durch das Schilf, Blüten ragen aus dem Boden. Jogger, Kinder auf Fahrrädern, Hunde. Sie alle suchen hier nach einem Stück Natur und Ruhe. Auf der Freundschaftsbank von Ulrike, Michael, Dietmar und Karin sitzen heute Anton und Jenny. Sie genießen den Sonnenuntergang, der durch die Blätter der Bäume scheint. Genauso wenig wie den Krieg kennen sie den Bunker, dessen Gänge unter ihnen begraben liegen.
Hier unten gibt es kein Licht, keine größeren Räume, keine Sanitäranlagen. Nur Gänge, wie ein Brettspiel angeordnet, sind durch kurze Quergänge miteinander verbunden. Rechts und links öffnen sich weitere Wege. Manche enden blind. An einigen Stellen gibt es kleine Einbuchtungen, die Druckwellen von Bombeneinschlägen kompensierten.
Wer einen Moment in dem Bunker innehält, spürt die Enge, die kühle, stehende Luft und schmeckt den Staub auf der Zunge, der sich mit jedem Schritt auf die Schuhe und den für die Führung nötigen Schutzhelm legt. Hier unten gibt es keine Jahreszeiten, kein Wetter und keine Lebewesen. 10 Grad im Sommer und im Winter. Nie ist Breu hier einem Tier begegnet.
Klebrige Staubfäden, die in wilden Längen von der Decke hängen, legen sich auf seinen Schultern ab, winden sich um seine Kleidung,
ganz weich, wie eine zweite Haut. Je tiefer es hineingeht, desto staubiger wird es. In einem engen Gang, einen Meter breit und 1,50 Meter hoch, haben dünne Wurzeln den Kampf gegen den Beton gewonnen. Wasserperlen glitzern an ihren Spitzen. An einigen Stellen bilden sich die ersten Anzeichen einer Tropfsteinhöhle. In zehn Metern Tiefe. Nur Breus Stimme hallt durch die Gänge. Hier plätschert kein Wasser,
rauscht kein Wind durch das Schilf, ruft niemand seinem Hund hinterher. Es ist still, auf eine angenehme, aber auch unheimliche Weise. Ähnlich still war es, als Breu selbst im Bunker Zuflucht suchte. Obwohl er noch ein Kind war, kann er sich noch detailreich an manche Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg erinnern. „Wenn plötzlich nur noch die Hälfte eines Hauses da steht oder alle panisch in eine Richtung rennen: Das vergisst man nie“, sagt er. Rund 1200 Menschen können in dem Bunker für kurze Zeit Schutz suchen. Hans Breu passierte das genau einmal. Mit wie vielen Augsburgern er während eines Luftwaffenangriffs um sein Leben gefürchtet hatte, weiß er nicht mehr. Viele Erinnerungen sind verschwommen, gefüttert mit Erzählungen seiner Familie. Der heute 78-Jährige war gerade erst vier, als er zwischen seinem Teddy und der Mutter 45 Minuten in dem dunklen Loch sitzen musste. Zusammengepfercht auf Klappstühlen mit dem schummrigen Licht von Karbidlampen. Warten, bis der Luftschutzwart das Signal gab, wieder ans Sonnenlicht zu dürfen.
Heute ist von den Bänken und Lampen im Bunker keine Spur mehr, nur noch verrostete Dübel deuten auf alte Halterungen für Beleuchtungen hin. Die Stadt sanierte den insturzgefährdeten Bunker aus Holz und Ziegelsteinen ein den 60er-Jahren mit Spritzbeton. Das Stadtarchiv dokumentiert die Entwicklungen. Während des Kalten Krieges gab es Pläne für einen Ausbau. „Heute sind nur noch zwei der vier Stollensysteme begehbar“, sagt Breu. Eines ist zubetoniert, in dem anderen ist die Luft zu schlecht. Hier macht die Feuerwehr Atemschutzübungen oder Proben für Extremfälle.
Man spürt die Enge und den Staub auf der Zunge