Die Monster des Klangdesigners DOT
Der Augsburger Künstler und sein viertes Album beim Berliner Label Anette
Gauland spuckt Gift und Galle im Bundestag; Geflüchtete stehen vor rasiermesserscharfem Nato-Draht; Diktator al-Assad stimmt bei der Scheinwahl 2016 lächelnd für sich selbst. Dazwischen die Fetische unserer Zeit: Smartphones, Bargeld und obszön große Portionen Fleisch. So zu sehen im Video des A-Teils von „Monsters“, dem Titeltrack auf dem vierten Album des Augsburger Beatproduzenten DOT (Label: Anette Records). Es ist ein hochinteressantes, abwechslungsreiches Stück organisch klingender elektronischer Musik geworden.
„Ich habe den Eindruck, das Album wird zum Ende hin immer düsterer“, sagt Sebastian Birkl, bürgerlicher Name des Klangdesigners DOT. Das ist kein Wunder, ist die Musik doch beeinflusst von dystopischer Literatur wie E. M. Forsters Kurzgeschichte „Die Maschine steht still“(1909): „Was Forster dort beschreibt, die Isolation der Menschen, die Kommunikation über Videoanrufe, ist jetzt über 100 Jahre alt, aber beängstigend nah an der Realität“.
Das Album sinniert über die Herausforderungen der digitalen Welt, über die mächtigen Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley und über die Rolle des Homo sapiens in dieser neuen Realität. „Der Mensch im Wahn der digitalisierten Welt ist negativ besetzt, aber konträr dazu eröffnen sich auch Möglichkeiten. Die Welt ist organisch und digital, der Mensch ist Opfer und Täter gleichzeitig“, so DOT.
Organisch und digital – eine auf den Punkt gebrachte Charakterisierung des Klangs dieser neuen LP: „analoge“, echte Instrumente treffen auf Samples und Elektronik, Maschinen klingen warm und menschlich. Den Beats hört man die HipHop-Sozialisation ihres Erschaffers an; sein Duo Blindspot setzte Augsburg in Sachen Indie-Rap auf die Landkarte. Der satte Kick der Bassdrum lässt den Kopf nicken und kommt gerne mal mit einer gewissen, das Kopfnicken verstärkenden Latenz. Die Geschwindigkeit bleibt in verschiedenen Ausprägungen langsam, die Atmosphäre erinnert an die Trip-Hop-Hochzeit in Bristol und an die Proto-Elektronik deutscher Krautrock-Bands der 70er.
Das ist keine Strophe-RefrainPopmusik; die Stücke sind durchdacht und bis ins Detail arrangiert. „Ich bastle über einen längeren Zeitraum an der Musik, mal hier, mal da, und wenn sich ein Projekt abzeichnet, gehe ich in einen konzentrierten Arbeitsmodus über“, erklärt DOT den Entstehungsprozess seiner Songs. Manches Stück basiert auf einem Sample, das heißt: Ein kleines Stück bereits existierender Musik wird für einen neuen Zweck verwendet – und verfremdet.
Mangelnde Originalität kann bei der Verwendung von Samples immer mal wieder als Vorwurf im Raum stehen. DOT geht es eher um die „Interkontextualität des Samples in den verschiedenen Stücken“. So erinnern die Streichersamples in „Soma“an die warmen, Trost spendenden Flächen der isländischen Post-Rock-Band Sigur Ròs – sie verleihen den maschinellen Beats jede Menge Seele.
Mit welcher Sorgfalt DOT an seine Stücke geht, zeigt, dass er an einem bestimmten Punkt sein Label Anette (Berlin) um eine Deadline bitten musste, auf dass er zum Ende komme. Überhaupt, das Label. Vor einigen Jahren saß Sebastian Birkl mit Johannes Rögner, Anette-Gründer und Sänger von Frittenbude, bei einer Aftershow-Party im Schwarzen Schaf. Es wurde natürlich über Musik gesprochen, und DOT schob Rögner dezent das Blindspot-Demo unter. Kurz darauf war Birkl ein Anette-Künstler.
Zuerst erschien das BlindspotDemo, bald das Solo-Debüt unter dem Namen DOT: „Alleine zu arbeiten ist wahnsinnig schön, weil man keine Kompromisse eingehen muss. Manchmal aber fehlt mir schon die zweite Meinung.“Im Kollektiv von Anette Records ist aber niemand lang alleine, spätestens mit seinem Projekt YAWL zusammen mit US-Rapper Ancient Mith profitierte die Zusammenarbeit nicht zuletzt von der Möglichkeit, über den Atlantik hinweg in Echtzeit zu kommunizieren.
Eine der vielen positiven Facetten der weltweiten Vernetzung. Und so klingt dann auch der B-Teil vom Titeltrack „Monsters“. Im Video werden die verstörenden Bilder des ersten Teils von Szenen der Menschlichkeit abgelöst. Friedlicher Protest, Versöhnung und unberührte Natur, getragen von schönen Streicherarrangements und zarter Akustikgitarre, visualisiert durch ein buntes Gemälde einer von Leben überbordenden Dschungelszene des Berliner Künstlers Olaf Hayek. Und wo Menschlichkeit den Hass besiegt, dort wird getanzt. Dazu reißt DOT die Türen zur Daft-PunkDisco weit, weit auf.
OStreaming An diesem Samstag, 28. März, streamt die Augsburger Club- und Kulturkomission das Releasekonzert ab 20.15 Uhr auf ihrer Homepage www.clubundkultur.tv