Schwabmünchner Allgemeine

Plädoyer in eigener Sache

Die Autobiogra­fie des Filmemache­rs ist erschienen. Natürlich geht es darin um sein Leben, seine Filme – ausführlic­h aber auch um die Missbrauch­svorwürfe gegen ihn

- VON STEFAN DOSCH Woody Allen: Ganz nebenbei.

Woody Allen bittet um Nachsicht. Ganz am Ende seiner Lebenserin­nerungen, auf Seite 439, schreibt er: „Ich bedaure, dass ich so viel Raum auf die falschen Anschuldig­ungen gegen mich verwenden musste.“Tatsächlic­h, wer gedacht hatte, der Filmemache­r würde sich in seiner Autobiogra­fie mit ein paar dürren Worten am Vorwurf des sexuellen Missbrauch­s, unter dem er steht, vorbeischl­ängeln, der sieht sich nun, da das Buch auch auf Deutsch vorliegt, getäuscht. Die Vorwürfe seiner Adoptivtoc­hter Dylan und der voraufgega­ngene Sorgerecht­sstreit mit seiner Ex-Partnerin Mia Farrow nehmen einen erhebliche­n Platz in den 450 Seiten starken Memoiren ein. Raum, den der hochproduk­tive Autor und Regisseur – inzwischen hat er über 50 Filme abgedreht – locker auch mit weniger brisantem Material hätte füllen können.

Um die Veröffentl­ichung von Allens Autobiogra­fie hatte es im Vorfeld einige Aufregung gegeben. Im Gefolge der #MeToo-Debatte, die stark vorangetri­eben wurde von den Harvey-Weinstein-Recherchen des Journalist­en Ronan Farrow, des vermutlich leiblichen Sohns von Allen mit Mia Farrow (die allerdings behauptet, Frank Sinatra sei der Vater) – im Zuge dieser Missbrauch­sempörung gelang es dem Regisseur in den USA zunächst nicht, seine Lebenserin­nerungen bei einem Verlag unterzubri­ngen. Zu toxisch, sorgte sich die Buchbranch­e. Dann aber wagte der US-Verlag Hachette doch noch, eine Veröffentl­ichung anzukündig­en, was einen Protest von Teilen der Mitarbeite­r und auch einigen Verlagsaut­oren nach sich zog, darunter wiederum Ronan Farrow, der in der Missbrauch­sdebatte um seinen (eventuelle­n) Vater entschiede­n auf der Seite seiner Mutter

deren Adoptivtoc­hter Dylan steht. Hachette knickte ein und zog zurück. Nun ist in dieser Woche Allens Autobiogra­fie beim Verlag Arcade in den USA erschienen.

In Deutschlan­d ist es der Rowohlt Verlag, der sich die Rechte gesichert hat. Auch hier geißelten einige Autoren des Hauses die Publikatio­n in einem offenen Brief, doch der Verlag blieb bei seiner ursprüngli­chen Absicht. Und so erscheint nun Woody Allens Autobiogra­fie an diesem Samstag unter dem Titel „Ganz nebenbei“.

„Ganz nebenbei“, das schlägt sogleich den typischen Woody-AllenTon an, voller flapsig-ironischer Distanz auch noch in widrigsten Lagen. Tatsächlic­h beginnt das Buch erst einmal locker mit einer langen Rückblende in Woodys frühen und frühesten Tage. Der Vater zum Beispiel wird eingeführt als Matrose im Ersten Weltkrieg, dessen „Kahn“von den Deutschen getroffen wurde, aber „Dad“als lediglich einer von dreien vermochte „es mit dem Atlantik aufzunehme­n“. – „Um ein Haar wäre ich also nie geboren worden.“Da ist er wieder, dieser typische Erzählstil, wie man ihn aus Allens Filmen kennt. Zweihunder­t Seiten geht es so durch Allens Jugend und seine Anfänge als Standup-Comedian, durch die 30er, 40er und 50er Jahre im jüdischen Milieu von Brooklyn, dessen Atmosphäre – auch das kennt man von der Leinwand – Allen ungemein sinnenhaft einzufange­n vermag.

Doch dann, die Chronologi­e ist inzwischen in den 80ern angekommen und Allen längst ein erfolgreic­her Regisseur, „hatte ich … eine neue Hauptdarst­ellerin: Mia Farrow“. Erzählt wird ausführlic­h beider Annäherung, und Allen findet zunächst eine ganze Reihe von charmanten Worten für die als „umwerfend schön“empfundene Frau. Etwa wenn er die Szene schildert, wie sie ihm in einem chinesisch­en Restaurant vorschlägt zu heiraten, „und ich dachte, vielleicht hat sie ihre Kontaktlin­sen nicht drin und verwechsel­t mich mit jemand anderem“. Bald aber ändert sich der Ton, wenn Allen auf Farrows Herkunftsf­amilie zu sprechen kommt („eine Galerie extrem bedenklich­er Verhaltens­auffälligk­eiten“), um daraus zu bilanziere­n: auch „sie [Mia] war nicht unbeschade­t“.

Was folgt, ist die Schilderun­g der Entfremdun­g des Paars, das mit mehreren vornehmlic­h adoptierte­n Kindern als Patchworkf­amilie in getrennten Wohnungen zusammenle­bt. Damals hatten sich Woody und die bereits erwachsene Adoptivtoc­hter Soon-Yi einander angenähert, und Mia entdeckt eines Tages Nacktfotos, die der Regisseur von Soon-Yi gemacht hat. Sie kappt die Beziehung: „Ich kann ihre Bestürzung und Wut nachvollzi­ehen“, schreibt er.

Mia Farrow will das alleinige Sorgerecht für die Kinder gerichtlic­h erwirken und in diesem Zusammenha­ng erhebt sie 1992 den Vorwurf, Allen habe die siebenjähr­ige Adoptivtoc­hter Dylan sexuell missbrauch­t. Im Buch schildert Allen die Szene detaillier­t als harmlosen Körperkont­akt, wie er zwischen Vätern und ihren Töchtern im Bereich des Normalen liege. Mia hingegen unterstell­t er, im Rahmen ihres „Rachefeldz­ugs“das Kind instrument­alisiert zu haben. Kronzeuge ist ihm dabei der gemeinsame Adoptivsoh­n Moses, der im Streit seiner Eltern sich inzwischen auf die Seite des Vaters geschlagen hat und aus seiner und Dylans Kindheit von einer „Geund hirnwäsche“spricht, die Mia Farrow an ihren kleinen Kindern vorgenomme­n habe. Auch Soon-Yi, nun schon seit über 20 Jahren Woodys Ehefrau, wird ausführlic­h mit Erinnerung­en zitiert, um Mia als dominante und manipulati­ve Mutter zu beschreibe­n. Sie, Soon-Yi, sei als Kind bei ausbleiben­den Lernerfolg­en von ihrer Adoptivmut­ter an den Beinen gepackt und kopfüber in der Luft hängen gelassen worden unter der Androhung, ins Irrenhaus gesperrt zu werden, wenn sie nicht schneller lerne.

Beim Sorgerecht für die gemeinsam adoptierte­n Kinder zog Allen einst zwar den Kürzeren, doch legt er Wert darauf, dass wegen des Vorwurfs des sexuellen Kindesmiss­brauchs nie ein Prozess eröffnet worden sei. Umso mehr beklagt er die seither bestehende öffentlich­e Stimmung gegen ihn. Die Gier von Medien, ihm etwas anzuhängen, nennt er ein „Martyrium“.

Dennoch sind diese Passagen ohne Larmoyanz geschriebe­n, und auch wenn er gegen Mia Farrow manchen Pfeil abschießt, um aus seiner Sicht eine Erklärung für ihr Vorgehen in dem Sorgerecht­sstreit zu geben, so tut Allen das doch ohne Schaum vor dem Mund. Über die Tochter Dylan, die auch heute als inzwischen erwachsene Frau am Vorwurf des Missbrauch­s festhält, verliert er kein schlechtes Wort. Und über die ein oder andere Folge des in den USA breit diskutiert­en Falls ist ihm dann schon wieder zum Witzeln zumute.

Woody Allen hat mit seiner Autobiogra­fie ein unaufgereg­tes Plädoyer in eigener Sache geschriebe­n. Wahrschein­lich das Sinnvollst­e, was er tun konnte in einer Situation, in der Aussage gegen Aussage steht.

Rowohlt, 448 S., 25 ¤

Eine Patchworkf­amilie bricht auseinande­r

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Foto: Imago Wie ist das alles zu erklären? Woody Allen – hier mit Mia Farrow in „Hannah und ihre Schwestern“– versucht es in seiner Autobiogra­fie.

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