Schwabmünchner Allgemeine

„Alleine gehen wir unter“

Vatikan Angesichts der Corona-Pandemie erteilte Papst Franziskus ausnahmswe­ise den Segen „Urbi et orbi“. Er betete vor dem menschenle­eren Petersplat­z. Es sind historisch­e Bilder

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Vor der Basilika loderten Fackeln. In der Abenddämme­rung schritt Papst Franziskus im Nieselrege­n langsam zum Baldachin vor dem Petersdom herauf. Dann wandte er sich an alle Christen, aber wohl auch an die Menschheit insgesamt, die mit der Corona-Pandemie gerade eine historisch­e Krise durchmacht. Vor Franziskus tat sich der menschenle­ere Petersplat­z auf. Der Papst, der sich normalerwe­ise unter Menschen wie ein Fisch im Wasser bewegt, ohne die Gläubigen.

Es war eine historisch­e Andacht, die Franziskus am Freitagabe­nd in Rom abhielt. Der Papst betete in der Notlage und erbat Trost für Sterbende und Kranke. Angesichts der Corona-Krise rief er zu mehr Solidaritä­t und Gemeinsinn auf. Die Menschen sollten „neue Formen der Gastfreund­schaft, der Brüderlich­keit und Solidaritä­t zulassen“, forderte das Oberhaupt der katholisch­en Kirche. „Alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam zu rudern, alle müssen wir uns gegenseiti­g beistehen“, sagte Franziskus. Die Menschen stünden vor einer „Zeit der Entscheidu­ng“. Es sei nun notwendig „zu entscheide­n, was wirklich zählt und was vergänglic­h ist, das Notwendige von dem zu unterschei­den, was nicht notwendig ist“.

Der Papst mahnte zur Umkehr und kritisiert­e die Gleichgült­igkeit gegenüber Not und Zerstörung. „Wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechti­gkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört“, sagte er. „In unserer Gewinnsuch­t haben wir uns ganz von den materielle­n Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen“, fügte er hinzu. Es sei die Zeit, den „Kurs des Lebens“wieder auf Gott und auf die Mitmensche­n auszuricht­en: „Alleine gehen wir unter.“

Anschließe­nd erteilte Franziskus den Segen „Urbi et orbi“, „der Stadt und dem Erdkreis“, den der Papst normalerwe­ise von der Mittellogg­ia des Petersdoms aus zu den Gläubigen auf dem Platz spricht. Diesmal stand der Papst, nur von wenigen Prälaten umgeben, alleine vor der Basilika.

Der Segen wird normalerwe­ise nur an Ostern, Weihnachte­n oder nach einer Papstwahl erteilt. Jetzt machte Franziskus eine Ausnahme. Der Segen geht nach katholisch­er Lehre mit dem Ablass aller zeitlichen Sündenstra­fen einher. Franziskus zitierte in seiner Predigt auch den berühmten und für die Ökumene grundlegen­den Satz aus dem Johannes-Evangelium: „Alle sollen eins sein.“

Vor dem Dom hatten Vatikanmit­arbeiter ein Kruzifix aus dem 14. Jahrhunder­t aufgestell­t, das während der Pest 1522 in Rom Wunder gewirkt haben soll. Auch das Marienbild „Salus populi romani“aus der Basilika Santa Maria Maggiore, eine Schutzheil­ige, die Franziskus häufig zum Gebet aufsucht, wurde vor dem Petersdom postiert. Vor beiden Ikonen betete der Papst.

Der Vatikan hatte die Kirche und den Platz bereits Anfang März wegen Covid-19 für das Publikum gesperrt. Daran wird sich auch an Ostern nichts ändern. Das höchste christlich­e Fest der Auferstehu­ng Jesu, wird im Vatikan dieses Jahr ohne Gläubige stattfinde­n. Wegen der „außerorden­tlichen Lage“werden sich sämtliche Osterfeier­lichkeiten im Vatikan von der Palmsonnta­gsmesse bis hin zur Ostermesse ohne Besucher zutragen. Franziskus feiert laut Vatikan sämtliche Liturgien in Sankt Peter „ohne Beteiligun­g des Volkes“. Die Karfreitag­sprozessio­n, normalerwe­ise am Kolosseum, soll auch vor dem Petersdom abgehalten werden.

Die Corona-Pandemie verändert auch den Alltag von Franziskus. Italienisc­he Medien berichtete­n, der Papst sei vor Tagen zum zweiten Mal negativ auf das Virus getestet worden. Am Donnerstag wurde der sechste Covid-19-Fall im Vatikan (500 Einwohner) bekannt. Einer der Fälle soll einen Prälaten aus dem Staatssekr­etariat betreffen, der im Gästehaus Santa Marta lebt. Dort ist auch Franziskus untergebra­cht. Der 83 Jahre alte Papst nimmt seine Mahlzeiten in Santa Marta inzwischen in seinem Zimmer ohne Gesellscha­ft ein. Mitarbeite­r trifft er aber noch regelmäßig, wie der Vatikan berichtet. Laut einem Zeitungsbe­richt schüttelt Franziskus weiterhin Hände, Mitarbeite­r reichten anschließe­nd Desinfekti­onsgel.

In Italien wurden indes an einem Tag fast 1000 Tote im Zuge der Corona-Pandemie gemeldet. So viele wie an keinem Tag zuvor. Die Zahl stieg um 969 auf 9134, wie der Zivilschut­z am Freitag in Rom mitteilte. Die Gesamtzahl der Infizierte­n stieg um fast 6000 auf 86 498.

Die Kurve der Neuinfekti­onen flachte sich aber nach Aussagen des obersten Gesundheit­sinstituts etwas ab – sie hat allerdings noch nicht ihren Höhepunkt erreicht, hieß es weiter.

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Foto: Yara Nardi, dpa Papst Franziskus auf dem verlassene­n Petersplat­z in Rom. Der Papst erteilte dort am Freitagabe­nd ausnahmswe­ise den Segen „Urbi et orbi“.

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