Wie Pfersee den Ausnahmezustand managt
Das Stadtteilleben hat sich zwar massiv verändert, ist aber nicht völlig zum Erliegen gekommen. Bei einem Streifzug durch die Augsburger Straße kommt es zu außergewöhnlichen Begegnungen – auf Distanz
Der Szene haftet etwas Irreales an: Klaus Konrad steht im Erdgeschoss seines Kaufhauses mit Handschuhen und einem „Bitte-Abstand-haltenSchild“am Revers an seiner Kasse. Doch anstatt Beträge einzutippen, schaut er auf einen Bildschirm, der ihm die Poststelle im Untergeschoss zeigt: Mehr als drei Kunden lässt er nicht hinunter. Doch wer oben wartet, darf sich die Zeit nicht mit dem Anprobieren der Frühjahrsmode vertreiben. Auch im Stadtteil Pfersee wirkt sich die Corona-Krise massiv aufs öffentliche Leben aus.
Konrad tut es in der Seele weh, die bunten Blusen, Shirts und vieles mehr von seinen Kunden fernhalten zu müssen. Im Gegensatz zur Post zählt Bekleidung nicht zu den lebensnotwendigen Dingen des täglichen Bedarfs. Ein Teil des Geschäfts habe sich in den Online-Handel verlagert, dennoch arbeite aktuell nur Bruchteil seiner Beschäftigen. „Die anderen bauen Überstunden ab, aber ab April wird es wohl auch Kurzarbeit geben“, sagt Konrad mit betrübter Miene. Wie alle anderen Geschäftsleute wird der Pferseer mit existenziellen Fragen konfrontiert. Doch an der Notwendigkeit von Ladenschließungen und Ausgangsbeschränkungen zweifelt er keine Sekunde: „Eine meiner Töchter ist Ärztin auf der Intensivstation in der Uniklinik, wo auch Corona-Fälle behandelt werden“.
Im Pferseer Zentrum, entlang der Augsburger Straße, ist der Name Corona allgegenwärtig. An vielen Geschäften weisen Schilder „aus aktuellem Anlass“auf Online-Dienste, nötige Schließungen oder eingeschränkte Öffnungszeiten hin. Manche Geschäftsleute haben auf die Zettel verzichtet. Die Kunden wissen eh, was los ist. Andreas Miller hingegen ist in seinem Büro anzutreffen. Corona hat dem Personalvermittler Überstunden beschert. Sowohl Firmen als auch arbeitssuchende Menschen meldeten sich bei ihm. Miller schätzt, dass aufgrund der Pandemie binnen Kurzem rund 50 Prozent der von ihm vermittelten Stellen frei geworden sind – weil die Arbeit fehlt.
Andreas Veh hat noch Arbeit – wenn auch in reduziertem Umfang. Der Inhaber von Optik Seufert hat seine Öffnungszeiten reduziert und hält sich überwiegend in der Werkstatt auf. Das Anpassen von Brillen und Kontaktlinsen sei aufgrund des Abstandsgebots äußerst schwierig, sagt er. Das Leben entlang der Augsburger Straße in den vergangenen Tagen packt der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Pfersee aktiv in ein einziges Wort: „tot“.
Am Freitagvormittag allerdings kehrt, wohl auch bedingt durch die milderen Temperaturen, wieder etwas Leben in die Geschäftsmeile ein. Vor der Metzgerei Ottillinger warein ten Menschen, damit sich die Zahl der Kunden im Geschäft in Grenzen hält. In den Lebensmittelläden und Bäckereien herrscht ebenfalls Betrieb, auch wenn es den Kaffee jetzt nicht mehr im Sitzen, sondern nur noch „To Go“gibt. Die lustigen
Osterhasen im Blumengeschäft Bayer müssen indes hoffen, dass vorbeigehende Passanten trotz allem noch das nahende Fest im Blick haben. „Wir kommen gerne zu Ihnen nach Hause“werben die Deko-Langohren für den Lieferservice.
Dass sich die Menschen gerade in einer Ausnahmesituation nach Normalität sehnen, zeigt sich auf dem Platz im sogenannten Pfersee Park. Trotz Corona dürfen die Beschicker des Wochenmarkts ihre frischen Waren anbieten. Es sei sogar fast mehr als an einem normalen Freitag los, meint die Mitarbeiterin eines Obst- und Gemüsestandes.
Was heißt schon „normal“an Tagen, an denen die Nachrichtensendungen jeden Krimi toppen und in Bayern landesweit der Katastrophenfall ausgerufen ist? Auch das Leben von Pfarrer Franz Götz ist auf den Kopf gestellt. Der Hausherr von Herz Jesu hat wie jeden Morgen mit seiner kleinen Hausgemeinschaft einen Gottesdienst in der Kapelle gefeiert, jetzt steht er ganz allein in seiner Kirche.
Die regulären Messen und Andachten sind dem Virus Covid-19 zum Opfer gefallen. Götz setzt stattdessen auf geistliche Impulse per Video, die die Gläubigen über die Webseite oder Facebook aufrufen können. Am Palmsonntag und in der Osternacht werde es Gottesdienste im Livestream geben, sagt der Pfarrer und kniet nieder für ein stilles Gebet.
Der Pfarrer setzt auf Videos