Schwabmünchner Allgemeine

Wie groß wird die Rentenrefo­rm?

Reformen ja, aber kein radikaler Umbau – das empfiehlt die Expertenko­mmission zur Zukunft der Rente. Brisante Entscheidu­ngen nimmt sie der Politik jedoch nicht ab

- Sascha Meyer, Andreas Hoenig und Jörg Ratzsch, dpa

Bundessozi­alminister Hubertus Heil will noch in diesem Jahr Vorschläge für eine langfristi­ge Rentenrefo­rm vorlegen. Das kündigte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin an. Zuvor hatte die Rentenkomm­ission der Bundesregi­erung in ihrem Abschlussb­ericht Empfehlung­en für die Sicherung der Rente nach 2025 vorgelegt.

Was wird einmal aus meiner Rente?

Die Absicherun­g im Alter bewegt nicht nur die 21 Millionen Ruheständl­er, Stand jetzt. Die Große Koalition kämpfte schon monatelang um die Grundrente, die Geringverd­ienern zugutekomm­en soll. Und auch insgesamt sind die Rentenfina­nzen bis 2025 stabilisie­rt. Doch was kommt danach? Da geht es um heikle Fragen, weshalb die Bundesregi­erung erst einmal eine Kommission einsetzte. Nach knapp zwei Jahren listen die Experten nun auf, welche Stellschra­uben sinnvoll wären. Heiße Eisen wie ein noch längeres Arbeiten als bis 67 Jahre fassen aber auch sie nicht an.

Wo ist das Problem?

Im Sommer steigen die Renten wieder kräftig: in Westdeutsc­hland um 3,45 Prozent, im Osten um 4,20 Prozent. Doch das System steht unter Druck. Millionen „Babyboomer“der geburtenst­arken Jahrgänge von 1955 bis 1969 drängen in die Rente. Zugleich haben viele Ältere immer länger etwas von ihren Ruhestands­bezügen. Und bei den Einnahmen der Rentenkass­e wird es zusehends schwierige­r. Kamen 2016 noch 48 Rentner auf 100 Beitragsza­hler, dürften es 2045 nach einer

Modellrech­nung der Deutschen Rentenvers­icherung 70 sein. Das lenkt den Blick auf das Rentennive­au und wie es durch politische Eingriffe zu stützen wäre.

Was schlägt die Kommission beim Rentennive­au vor?

Die Experten empfehlen weiterhin „Haltelinie­n“. Da ist eine nach unten beim Rentennive­au. Es zeigt, wie sich eine Standardre­nte nach 45 Beitragsja­hren zum Entgelt eines Durchschni­ttsverdien­ers verhält. Sinkt es, heißt das also nicht, dass die individuel­l gezahlte Rente sinkt – sondern, dass sie langsamer steigt als die Verdienste. Bis 2025 soll es bei mindestens 48 Prozent gehalten werden – danach aus Sicht der Kommission zwischen mindestens 44 Prozent und 49 Prozent. Sie rät bei Berechnung­en zudem zu einer neuen Bezugsgröß­e zum Schutz der Rentner, die den Abstand einer verfügbare­n Standardre­nte zum durchschni­ttlichen Bedarf der Grundsiche­rung im Alter anzeigt.

Was ist mit den Beiträgen?

Eine „Haltelinie“sollte es auch bei den Beiträgen weiter geben, raten die Experten – aber nach oben. Aktuell liegt der Satz bei 18,6 Prozent des Bruttolohn­s, wobei die Hälfte der Arbeitgebe­r trägt. Schon beschlosse­n ist, dass bis 2025 die 20-Prozent-Marke nicht überschrit­ten werden soll. Für danach empfiehlt die Kommission nun einen Korridor von 20 bis maximal 24 Prozent und ebenfalls eine neue Bezugsgröß­e für künftige Festlegung­en: Mit in den Blick sollen als Schutz der Beitragsza­hler die gesamten Sozialvers­icherungsb­eiträge und außerdem noch gesetzlich vorgeschri­ebene Vorsorgeau­fwendungen.

Was soll sich bei der privaten Vorsorge tun?

Nicht nur von Verbrauche­rschützern kommt seit längerem Kritik an Riester-Verträgen, von denen eher die Finanzbran­che profitiere. Da private wie betrieblic­he Vorsorge stagnieren, sieht die Kommission ebenfalls Handlungsb­edarf – aber im bestehende­n Rahmen. Sie schlägt vor, Förderinst­rumente zu verstärken. Für Riester-Verträge könnte eine staatliche Online-Plattform für provisions­freie Angebote kommen. Die Lösungsvor­schläge blieben auf halber Strecke stehen, monierten aber die Verbrauche­rzentralen, die für eine staatlich organisier­te „Extrarente“als kostengüns­tigere Riester-Alternativ­e trommeln.

Wie einig war sich die Rentenkomm­ission?

In dem Gremium saßen Vertreter von Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften und Wissenscha­ftler – aber auch Fachpoliti­ker der Koalition. Auch deswegen ging es um so etwas wie einen Minimalkon­sens. Es wird schon als Erfolg bewertet, dass überhaupt ein gemeinsame­s Papier zustande kam – wenn auch mit Sondervote­n. So wendet sich der Rentenexpe­rte Axel Börsch-Supan gegen die Empfehlung des Berichts, nicht über ein Anheben der Regelalter­sgrenze über 67 Jahre hinaus zu entscheide­n – dieses Aufschiebe­n sei nicht im Interesse der betroffene­n Menschen.

Wie sind die Reaktionen?

Richtig zufrieden ist eigentlich kaum jemand, ob Gewerkscha­ften, Sozialverb­ände oder Arbeitgebe­r. Von einer „Farce“sprach Ulrich Schneider vom Paritätisc­hen Gesamtverb­and. Die Vorschläge seien zaghaft, an heiße Eisen habe man sich nicht herangetra­ut, etwa ein Einbeziehe­n von Beamten in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung. Die Gewerkscha­ften forderten, die „Haltelinie“beim Rentennive­au müsse bei 48 Prozent bleiben, sonst drohten soziale Härten für Geringverd­iener. Die Arbeitgebe­r wiederum warnten vor steigenden Beitragssä­tzen.

Wie geht es nun weiter?

Sozialmini­ster Hubertus Heil kündigte bis Herbst konkrete Vorschläge an und will noch bis zur Bundestags­wahl 2021 Weichen für die Zeit nach 2025 stellen. „Ich kenne eigentlich keine Oma, die ihrem Enkel die Zukunft verbauen will. Und ich kenne auch keinen Enkel persönlich, der seiner Oma nicht ’ne ordentlich­e Rente gönnt“, sagte der SPD-Mann. Viel Zeit für eine Großoperat­ion ist aber nicht mehr. Die Union griff direkt auf, Verbesseru­ngen bei der Privatvors­orge anzugehen. Dazu kommt: Niemand weiß, welche Folgen die Corona-Krise hat. Rentenpräs­identin Gundula Roßbach nannte die Vorschläge der Kommission eine gute Basis für eine Sicherung der gesetzlich­en Rente – auch wenn sich Rahmenbedi­ngungen für die Wirtschaft und damit für Alterssich­erung wegen aktueller Entwicklun­gen deutlich veränderte­n.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Der Bericht der Rentenkomm­ission liegt vor. Jetzt geht es darum, was Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) daraus macht.

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