Wie groß wird die Rentenreform?
Reformen ja, aber kein radikaler Umbau – das empfiehlt die Expertenkommission zur Zukunft der Rente. Brisante Entscheidungen nimmt sie der Politik jedoch nicht ab
Bundessozialminister Hubertus Heil will noch in diesem Jahr Vorschläge für eine langfristige Rentenreform vorlegen. Das kündigte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin an. Zuvor hatte die Rentenkommission der Bundesregierung in ihrem Abschlussbericht Empfehlungen für die Sicherung der Rente nach 2025 vorgelegt.
Was wird einmal aus meiner Rente?
Die Absicherung im Alter bewegt nicht nur die 21 Millionen Ruheständler, Stand jetzt. Die Große Koalition kämpfte schon monatelang um die Grundrente, die Geringverdienern zugutekommen soll. Und auch insgesamt sind die Rentenfinanzen bis 2025 stabilisiert. Doch was kommt danach? Da geht es um heikle Fragen, weshalb die Bundesregierung erst einmal eine Kommission einsetzte. Nach knapp zwei Jahren listen die Experten nun auf, welche Stellschrauben sinnvoll wären. Heiße Eisen wie ein noch längeres Arbeiten als bis 67 Jahre fassen aber auch sie nicht an.
Wo ist das Problem?
Im Sommer steigen die Renten wieder kräftig: in Westdeutschland um 3,45 Prozent, im Osten um 4,20 Prozent. Doch das System steht unter Druck. Millionen „Babyboomer“der geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1969 drängen in die Rente. Zugleich haben viele Ältere immer länger etwas von ihren Ruhestandsbezügen. Und bei den Einnahmen der Rentenkasse wird es zusehends schwieriger. Kamen 2016 noch 48 Rentner auf 100 Beitragszahler, dürften es 2045 nach einer
Modellrechnung der Deutschen Rentenversicherung 70 sein. Das lenkt den Blick auf das Rentenniveau und wie es durch politische Eingriffe zu stützen wäre.
Was schlägt die Kommission beim Rentenniveau vor?
Die Experten empfehlen weiterhin „Haltelinien“. Da ist eine nach unten beim Rentenniveau. Es zeigt, wie sich eine Standardrente nach 45 Beitragsjahren zum Entgelt eines Durchschnittsverdieners verhält. Sinkt es, heißt das also nicht, dass die individuell gezahlte Rente sinkt – sondern, dass sie langsamer steigt als die Verdienste. Bis 2025 soll es bei mindestens 48 Prozent gehalten werden – danach aus Sicht der Kommission zwischen mindestens 44 Prozent und 49 Prozent. Sie rät bei Berechnungen zudem zu einer neuen Bezugsgröße zum Schutz der Rentner, die den Abstand einer verfügbaren Standardrente zum durchschnittlichen Bedarf der Grundsicherung im Alter anzeigt.
Was ist mit den Beiträgen?
Eine „Haltelinie“sollte es auch bei den Beiträgen weiter geben, raten die Experten – aber nach oben. Aktuell liegt der Satz bei 18,6 Prozent des Bruttolohns, wobei die Hälfte der Arbeitgeber trägt. Schon beschlossen ist, dass bis 2025 die 20-Prozent-Marke nicht überschritten werden soll. Für danach empfiehlt die Kommission nun einen Korridor von 20 bis maximal 24 Prozent und ebenfalls eine neue Bezugsgröße für künftige Festlegungen: Mit in den Blick sollen als Schutz der Beitragszahler die gesamten Sozialversicherungsbeiträge und außerdem noch gesetzlich vorgeschriebene Vorsorgeaufwendungen.
Was soll sich bei der privaten Vorsorge tun?
Nicht nur von Verbraucherschützern kommt seit längerem Kritik an Riester-Verträgen, von denen eher die Finanzbranche profitiere. Da private wie betriebliche Vorsorge stagnieren, sieht die Kommission ebenfalls Handlungsbedarf – aber im bestehenden Rahmen. Sie schlägt vor, Förderinstrumente zu verstärken. Für Riester-Verträge könnte eine staatliche Online-Plattform für provisionsfreie Angebote kommen. Die Lösungsvorschläge blieben auf halber Strecke stehen, monierten aber die Verbraucherzentralen, die für eine staatlich organisierte „Extrarente“als kostengünstigere Riester-Alternative trommeln.
Wie einig war sich die Rentenkommission?
In dem Gremium saßen Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften und Wissenschaftler – aber auch Fachpolitiker der Koalition. Auch deswegen ging es um so etwas wie einen Minimalkonsens. Es wird schon als Erfolg bewertet, dass überhaupt ein gemeinsames Papier zustande kam – wenn auch mit Sondervoten. So wendet sich der Rentenexperte Axel Börsch-Supan gegen die Empfehlung des Berichts, nicht über ein Anheben der Regelaltersgrenze über 67 Jahre hinaus zu entscheiden – dieses Aufschieben sei nicht im Interesse der betroffenen Menschen.
Wie sind die Reaktionen?
Richtig zufrieden ist eigentlich kaum jemand, ob Gewerkschaften, Sozialverbände oder Arbeitgeber. Von einer „Farce“sprach Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband. Die Vorschläge seien zaghaft, an heiße Eisen habe man sich nicht herangetraut, etwa ein Einbeziehen von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung. Die Gewerkschaften forderten, die „Haltelinie“beim Rentenniveau müsse bei 48 Prozent bleiben, sonst drohten soziale Härten für Geringverdiener. Die Arbeitgeber wiederum warnten vor steigenden Beitragssätzen.
Wie geht es nun weiter?
Sozialminister Hubertus Heil kündigte bis Herbst konkrete Vorschläge an und will noch bis zur Bundestagswahl 2021 Weichen für die Zeit nach 2025 stellen. „Ich kenne eigentlich keine Oma, die ihrem Enkel die Zukunft verbauen will. Und ich kenne auch keinen Enkel persönlich, der seiner Oma nicht ’ne ordentliche Rente gönnt“, sagte der SPD-Mann. Viel Zeit für eine Großoperation ist aber nicht mehr. Die Union griff direkt auf, Verbesserungen bei der Privatvorsorge anzugehen. Dazu kommt: Niemand weiß, welche Folgen die Corona-Krise hat. Rentenpräsidentin Gundula Roßbach nannte die Vorschläge der Kommission eine gute Basis für eine Sicherung der gesetzlichen Rente – auch wenn sich Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und damit für Alterssicherung wegen aktueller Entwicklungen deutlich veränderten.