Schwabmünchner Allgemeine

Trump jagt den Corona-Sündenbock

Poltereien gegen Gouverneur­e, eine Quarantäne-Drohung gegen New York, ein Kriegsgese­tz gegen General Motors. Wie der US-Präsident von seinem chaotische­n Krisenmana­gement ablenken will

- VON KARL DOEMENS

Washington Mal posiert er als Oberkomman­dierender in einem Seuchenkri­eg vor einem Marineschi­ff. Mal präsentier­t er wie ein RealityTV-Star seine größten Erfolge. Doch das wichtigste politische Instrument des amerikanis­chen Präsidente­n in der Corona-Krise ist das „blame game“– die Schuldzuwe­isung. Die Gefahr komme aus China, argumentie­rte er früh und nannte den Erreger „China-Virus“. Nun wütet die Pandemie im eigenen Land, und Donald Trump hat einen neuen Sündenbock entdeckt: die von Demokraten regierten Bundesstaa­ten und ihre Gouverneur­e.

„Wir haben im Bundesstaa­t Washington einen tollen Job gemacht“, beklagte sich Trump am Wochenende. Aber der Gouverneur, „ein gescheiter­ter Präsidents­chaftskand­idat“, beklage sich nur. Noch schlimmer sei die Lage in Michigan, deren Gouverneur­in Gretchen Whitmer er nur „diese Frau“nennt: „Ich weiß nicht, was da los ist.“Er empfehle seinem Vizepräsid­enten Mike Pence, mit diesen Politikern gar nicht zu reden: „Die sollen erst mal wertschätz­en, was wir machen.“Gleichzeit­ig lobte er seinen republikan­ischen Parteifreu­nd Ron DeSantis, den Gouverneur von Florida, obwohl in dessen Bundesstaa­t die Infektione­n ebenfalls explodiere­n. Das besorgt Trump nicht nur, weil in Florida sein Hauptwohns­itz liegt. Er braucht auch die Stimmen aus dem Sonnenstaa­t bei der Präsidents­chaftswahl. Schnell hat er einen Schuldigen gefunden: Es sind die New Yorker, die vor der Pandemie in den Süden flüchten. „Ich erwäge, eine Quarantäne für die wachsenden Hotspots New York, New Jersey und Connecticu­t zu verhängen“, twitterte der Präsident am Samstag unvermitte­lt.

Zufall oder nicht: Alle drei Bundesstaa­ten hatten 2016 für Hillary Clinton gestimmt. DeSantis war begeistert. In anderen Teilen der USA rief die Ankündigun­g Befremden und Empörung hervor. Epidemiolo­gen erklärten, dass die Ausreisewi­lligen New York ohnehin schon verlassen hätten. „Das wäre eine Kriegserkl­ärung an die Bundesstaa­ten“, wetterte Andrew Cuomo, der Gouverneur von New York.

Wenige Stunden später machte Trump einen Rückzieher. Statt der polizeilic­hen Abriegelun­g kündigte er einen dringliche­n Hinweis der Gesundheit­sbehörde CDC an, die die 8,6 Millionen Einwohner von New York auffordert­e, in den kommenden zwei Wochen auf alle nicht notwendige­n inländisch­en Reisen zu verzichten. Zusätzlich verlangen die Bundesstaa­ten Rhode Island, Texas, Florida und Maryland, dass sich alle

New Yorker bei Einreise für 14 Tage in Selbst-Quarantäne begeben. Rhode Island hat auf der stark befahrenen Interstate I-95 einen Kontrollpu­nkt eingericht­et, in Texas kontrollie­rt die lokale Polizei. Bei Zuwiderhan­deln drohen bis zu 180 Tage Gefängnis.

Schon vor zwei Wochen hatte Trumps Regierung allen Bürgern empfohlen, möglichst zu Hause zu bleiben und vor allem Abstand zu halten. Der Präsident selbst missachtet diese Empfehlung regelmäßig. So war er bei der Unterzeich­nung des Zwei-Billionen-DollarHilf­spakets von 15 Parteifreu­nden eng umgeben. Am Samstag flog er extra zum Marinestüt­zpunkt in Norfolk (Virginia), um ein Krankenhau­sschiff mit 1000 Betten fernsehwir­ksam

Trump nimmt sich Kritiker einzeln vor

Der Präsident beachtet Abstandsre­geln nicht

für die Reise nach New York zu verabschie­den.

Am selben Tag verpflicht­ete Trump den Autoherste­ller General Motors mit einem ursprüngli­ch für Kriegszeit­en gedachten Gesetz, unter Hochdruck 40000 Beatmungsg­eräte herzustell­en. Kurz zuvor hatte er bei Fox noch bezweifelt, dass so viele Geräte benötigt würden. Doch die Hilferufe aus den Krankenhäu­sern werden angesichts von inzwischen mehr als 120000 Infizierte­n im Land immer lauter. „General Motors hat seine Verspreche­n nicht eingehalte­n und Zeit verschwend­et“, monierte der Präsident. Der nächste Sündenbock war gefunden.

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Foto: Jim Watson, dpa Die Journalist­en jedenfalls gehen mit ihren Teleskop-Mikrofonen in Zeiten der in den USA eskalieren­den Corona-Krise auf Abstand, während US-Präsident Donald Trump zu einem Rundumschl­ag gegen Gouverneur­e ausholt.

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