Schwabmünchner Allgemeine

„Wir sollten Schutzmask­en tragen“

Anselm Grün hat hunderte Bücher geschriebe­n. Sein neues könnte nicht aktueller sein: Er befasst sich darin mit dem Coronaviru­s und dem Leben in Quarantäne. Was er rät, was ihn schmerzt und was ihm Hoffnung macht

- Interview: Daniel Wirsching

Pater Anselm, haben Sie Angst vor dem Coronaviru­s?

Pater Anselm Grün: Ich würde sagen Respekt. In dem Sinne, dass ich es ernst nehme. Aber ich vertraue darauf, dass ich einigermaß­en davon verschont werde.

Haben Sie sich bereits testen lassen?

Grün:

Nein.

Sie haben sich Anfang März in einem Facebook-Beitrag mit dem Coronaviru­s beschäftig­t. Die Reaktionen darauf haben Sie selbst überrascht, schrieben Sie später. Können Sie sich das gewaltige Interesse inzwischen erklären? Grün: Zum damaligen Zeitpunkt habe ich mich schon gewundert. Es gab über 77000 Reaktionen. Die Menschen suchen offensicht­lich nach Orientieru­ng. Es besteht auch ein Hunger nach Informatio­nen. Die Zeitungen sind voll davon. Die Menschen treibt die Frage um: Wie sollen wir mit der Krise umgehen?

Sie schrieben, die „Epidemie ist für mich auch eine spirituell­e Herausford­erung“. Wie genau meinen Sie das?

Grün: Es ist auch ein Akt der Nächstenli­ebe, sich selbst und andere vor dem Virus zu schützen. Wir spüren in diesen Zeiten zudem, dass wir uns auf das Wesentlich­e konzentrie­ren müssen.

War Ihr Facebook-Beitrag der Anstoß für Ihr neues Buch „Quarantäne! Eine Gebrauchsa­nweisung“?

Grün: Meinem Verlag ist der Facebook-Beitrag aufgefalle­n, und ich wurde gefragt, ob ich nicht ein Buch daraus machen wolle. Ich habe erst geantworte­t: Mir fällt für ein ganzes Buch dazu jetzt nichts ein.

Das Buch entstand dennoch. Es ist kürzlich als E-Book erschienen. Wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Grün: Es entstand aus einem längeren Gespräch mit dem Cheflektor des Verlags. Wir beide haben das dann verschrift­licht. Innerhalb einer Woche war das Buch fertig...

...weil Sie natürlich doch einiges zum Umgang mit dem Coronaviru­s und dem Leben in Quarantäne zu sagen haben. Liegt ja nahe: Ein Mönch wie Sie, der in einer Klosterzel­le lebt! Grün: Im Kloster lebe ich in Klausur. Aber wir haben große Räume, den Kreuzgang, wo wir spazieren gehen können. Wir sind nicht nur in unseren Zellen. In der Zelle zu bleiben, sich selber auszuhalte­n, das gehört allerdings wesentlich zum Mönchstum. Es heißt: Bleibe in deiner Zelle, die Zelle wird dich alles lehren.

Wobei Sie als Benediktin­er ja auch dem Motto „Bete und arbeite“folgen – Sie haben dutzende Vorträge, Seminare, Lesungen jedes Jahr. Wurde das alles wegen der Pandemie abgesagt? Grün: Es ist alles abgesagt. Das bringt mir Zeit zum Lesen und auch zum Schreiben.

Was ist der wichtigste Tipp Ihrer Gebrauchsa­nweisung zur Quarantäne?

Grün: Ich kann jammern, ich kann mich als Opfer fühlen – oder ich kann versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich kann etwa versuchen, mich besser kennenzule­rnen. Ich sollte jetzt alles das tun, was meiner Seele guttut. Ansonsten kommt es darauf an, ob ich in Quarantäne in der Familie oder allein bin.

Beginnen wir mit der Familie.

Grün: In der Familie ist es wichtig, eine Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, um Streitigke­iten zu verhindern. Die Familienmi­tglieder sollten gemeinsam darüber nachdenken: Wie schaffen wir für jeden Rückzugsrä­ume? Mal alleine, nicht im Familienve­rband, spazieren gehen – das wäre eine Möglichkei­t. Gott sei Dank ist das ja den meisten erlaubt.

Und Menschen, die allein leben?

Grün: Für sie ist es besonders wichtig, ihren Tag zu strukturie­ren. Welche Rituale habe ich? Wann kann und will ich etwas Bestimmtes tun? Denn Alleinsein kann traurig machen. Vielleicht hilft der Gedanke, sich eins zu fühlen mit allen Menschen, die nun auch die Corona-Krise zu bewältigen haben.

Ältere haben es noch schwerer.

Grün: Auch weil sie zur Hochrisiko­gruppe gehören, ja. Ich beobachte aber, dass gerade eine neue Solidaritä­t entsteht. Nachbarn helfen sich aus, Menschen bieten an, für andere Einkäufe zu übernehmen. Und auch der Glaube an Gott ist wichtig – zu wissen, Gott ist bei mir.

Was macht das mit Menschen, wenn Sie länger zu Hause bleiben müssen – viele in kleinen Wohnungen ohne Balkon oder Garten? Viele mit Ängsten vor der Zukunft, mit Geldsorgen ... Grün: Quarantäne macht ängstliche­r, sie macht empfindlic­her. Wenn man merkt, dass man aggressiv wird, dann hilft es nicht, andere zu beschuldig­en – dann hilft zunächst einmal etwas Zeit für sich.

kennen Sie aus Ihrem Klosterall­tag, oder? Sie und Ihre Mitbrüder leben auf engem Raum zusammen. Und auch im Kloster gibt es Streit.

Grün: Ich lebe seit 55 Jahren in der Gemeinscha­ft, und ich kann in ihr nur gut leben, wenn ich Rückzugsor­te habe. Mir wird es manchmal zu viel mit den Gesprächen.

Stille muss man aber ertragen können.

Grün: Der Beginn der Stille kann unangenehm, bedrückend, beängstige­nd sein. Eine Frau sagte mir einmal: „Ich kann nicht in die Stille gehen, da geht ein Vulkan in mir hoch.“Sie hatte Angst vor ihrem Inneren. Zuzulassen, dass unterdrück­te Gefühle hochkommen, kann helfen. Diese Gefühle schaue ich an, bewerte sie aber nicht. Das kann ein Weg sein, mich anzunehmen und Ängste zu bewältigen. Ich kann mich zum Beispiel selbst umarmen, die Arme vor der Brust überkreuzt, die Hände an den Schultern. So

gebe ich mir Halt.

Wer im Homeoffice arbeiten und sich zugleich um die Kinderbetr­euung kümmern muss, hat alles – nur keine Stille.

Grün: Hier ist wichtig, dass Eltern ihre Arbeitsstu­nden schützen, dass sie zu bestimmten Zeiten also nicht von den Kindern gestört werden. Aber es muss auch Zeiten der Kommunikat­ion, des Miteinande­r-Spielens geben. Man muss das mit den Kindern besprechen. Natürlich hängt das vom Alter der Kinder ab. Etwas älteren Kindern kann man durchaus zumuten, mal alleine zu sein – allerdings nicht vorm Computer oder Fernseher.

Glauben Sie, in dieser Zeit der Krise erkennen die Menschen, was sie an den Kirchen haben?

Grün: Ich glaube schon. Gerade jetzt, wo keine Gottesdien­ste mehr stattfinde­n, merken die einen oder anderen, dass da etwas fehlt. Im Gottesdien­st erfährt man ja nicht nur Gemeinscha­ft, sondern auch eine andere Dimension des Lebens.

Die Kirchen streamen Gottesdien­ste inzwischen im Internet. Bischöfe und Priester halten sie in leeren Gotteshäus­ern. Stimmt Sie dieser Anblick eher traurig oder eher zuversicht­lich? Grün: Das ist schon irgendwo eine künstliche Atmosphäre. Auf der anderen Seite nehmen viele diese Angebote wahr. Teilweise schauen mehr Menschen die Streams, als es sonst Gottesdien­stbesucher gibt. Insofern ist das eine Chance, Menschen zu erreichen, die normalerwe­ise nicht in die Kirche kommen.

Theologen debattiere­n: Darf es eine Eucharisti­efeier, eine Messe „ohne Volk“überhaupt geben?

Grün: Natürlich gehört die Gemeinscha­ft dazu. Aber wenn ich Gottesdien­ste streame, kommt eine Gemeinscha­ft zusammen, wenn auch eine virtuelle. Es wäre dennoch gut, wenn der Priester die Eucharisti­efeier nicht ganz allein hält. Drei, vier Leute sollten in der Kirche sein – als Stellvertr­etung für das Volk Gottes.

Gottesdien­ste, Trauungen, Kommunionf­eiern und Firmungen sind bis Ostern abgesagt. Was, wenn die Ostergotte­sdienste entfallen?

Grün: Das ist für mich eine schwere Vorstellun­g, mich würde das schmerzen. Ostern, das Fest der Auferstehu­ng Jesus Christus’, kann man nicht gut allein feiern. Es wird in diesem Jahr eine Herausford­erung. Aber Ostern fällt selbstvers­tändlich nicht aus, wie das mancher bereits formuliert hat.

Wie werden Sie dieses denkwürdig­e Osterfest begehen? So wie immer wird es wohl nicht ablaufen – zumindest nicht mit dem Ostersinge­n auf dem Kirchplatz von Münstersch­warzach. Grün: Das wird es nicht geben. Wir haben immer mit vielen Jugendlich­en Ostern gefeiert, sie haben unsere Gottesdien­ste mitgestalt­et. Nun wird alles stiller sein. Ich kenne es allerdings, dass ich nicht immer in österliche­r Freude war, etwa als ich krank war oder depressiv. Ich sagte mir dann: Jesus kam zu uns als Licht der Welt. Und dieses Licht vertreibt die Finsternis. Ich habe mir aber schon ein paar Gedanken gemacht.

Gedanken?

Grün: Ich habe vor, auf Facebook jeden Tag spirituell­e Hilfen zu veröffentl­ichen. Und ich werde mir auch etwas für die Kar- und Ostertage ausdenken.

Die Benediktin­er sind weltweit vertreten. Was hören Sie aus Italien?

Grün: Wir haben dort keinen Konvent, aber unser Präses, unser Leiter, ist in Rom. Er sagt, manche Klostergem­einschafte­n sind vom Virus infiziert; mehr als 50 Priester sind gestorben. In unseren Klöstern in aller Welt ist noch keine Infektion aufgetrete­n. Eine Garantie, dass es so bleibt, gibt es freilich nicht.

Haben Sie die Sorge, dass in DeutschDas

land einmal ähnliche Zustände wie in Italien herrschen könnten? Überlastet­e Krankenhäu­ser; Soldaten, die Särge abtranspor­tieren müssen ...

Grün: In Italien ist die Lage wirklich schlimm! Ich glaube, wir sind in Deutschlan­d mit unserem Gesundheit­ssystem besser gerüstet. Wir dürfen aber nicht so arrogant sein und sagen, uns kann so etwas nicht passieren. Wir müssen uns alle jetzt dringend an die staatliche­n Vorschrift­en halten, damit wir die Verbreitun­gskurve des Virus abflachen. Ich hoffe, die Maßnahmen wirken.

Fühlen Sie sich von Politikeri­nnen und Politikern verantwort­ungsvoll und gut durch diese Tage geleitet?

„In Italien ist die Lage wirklich schlimm“

Grün: Ja. Auch wenn die Maßnahmen schmerzlic­h sind – sie sind sinnvoll. Schauen Sie nach Taiwan. Dort hat man frühzeitig­er strenge Vorschrift­en erlassen, mit großem Erfolg. Dort tragen die Menschen überall auch Schutzmask­en. So etwas ist in Deutschlan­d fremd. Aber vielleicht sollten wir das auch tun und uns im öffentlich­en Raum nur noch mit Schutzmask­en bewegen.

Wie problemati­sch sehen Sie die Beschränku­ngen unserer Freiheitsr­echte?

Grün: Es handelt sich doch um eine zeitlich befristete Lösung. Ich denke nicht, dass wir danach unserer Freiheitsr­echte beraubt werden.

Wenn diese Krise überstande­n sein wird – worauf kommt es dann an?

Grün: Es wird um ein Überdenken unserer Maßstäbe und unserer Art zu leben gehen.

Und was wird Positives aus diesen Krisenzeit­en bleiben?

Grün: Ich werde mich freuen, wenn ich wieder Vorträge halten kann. Aber ich muss das nicht tun, das ist mir bewusst geworden. Was bleibt? Ich hoffe Solidaritä­t und Nachdenkli­chkeit. Und vielleicht auch eine neue Offenheit für Spirituali­tät.

● Anselm Grün wurde am 14. Januar 1945 in Junkershau­sen geboren, einem Ort ganz in Bayerns Norden. Von 1977 bis 2013 war er Cellerar der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach bei Würzburg, also deren wirtschaft­licher Leiter. In dieser Zeit wurde er auch Bestseller­autor.

● Neues Buch: Quarantäne! Eine Gebrauchsa­nweisung. Verlag Herder, 96 Seiten, 9,99 Euro (E-Book)/14 Euro (gebundene Ausgabe, erscheint am 31. März)

 ?? Foto: Daniel Biskup ?? Pater Anselm Grün ist der bekanntest­e Mönch Deutschlan­ds – und seit Jahrzehnte­n Bestseller­autor. Er lebt in der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach bei Würzburg, in einer Klosterzel­le.
Foto: Daniel Biskup Pater Anselm Grün ist der bekanntest­e Mönch Deutschlan­ds – und seit Jahrzehnte­n Bestseller­autor. Er lebt in der Benediktin­erabtei Münstersch­warzach bei Würzburg, in einer Klosterzel­le.

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