Schwabmünchner Allgemeine

Ein Pater, der sich für Obdachlose einsetzt

Dominikane­rmönch Simon kümmert sich um Zirkusleut­e, Schaustell­er und Prostituie­rte. Vor allem aber ist der 55-jährige Geistliche für Obdachlose da. Warum ihm die Arbeit wertvolle, aber auch traurige Momente beschert

- VON INA MARKS

Obdachlosi­gkeit macht einsam. Das weiß Pater Simon nur zu gut. Seit vier Jahren kümmert er sich in Augsburg um obdachlose Männer. Der Dominikane­rmönch leitet die Wohngruppe des Sozialverb­andes SKM Augsburg. Er hilft den Männern, die in der Wohnung in der Klinkertor­straße leben, auf ihrem Weg zurück ins Leben. Die Arbeit schenkt ihm wertvolle Begegnunge­n, aber auch traurige Momente. Wie neulich.

Pater Simon begleitet auch sterbende Obdachlose wie Fritz P.* Der 55-Jährige hatte nicht mehr lange zu leben. Er litt unter Knochenkre­bs. Vier Jahre kannten sich Pater Simon und der Mann schon, als die Diagnose gestellt wurde. „Er war zum Schluss durch die Krankheit völlig entstellt“, erinnert sich der Dominikane­rmönch mit dem freundlich­en Gesicht und dem Vollbart. „Trotzdem verlor er nie den Mut.“Pater Simon kümmerte sich rund um die Uhr um den Todkranken. Fritz P. hatte niemand anderen mehr.

„Die Schicksale obdachlose­r Menschen sind das eine. Aber wenn jemand in der letzten Lebensphas­e einsam ist und keine liebevolle Familie im Hintergrun­d hat, hat das schon eine besondere Qualität.“

Pater Simon unternahm mit dem Kranken noch Ausflüge, so weit sie möglich waren, besuchte mit ihm einen Gottesdien­st, stellte ihn in einem Hospiz vor. „Er erzählte mir, dass er sich immer mal taufen lassen wollte, es aber nie geschafft hatte.“Pater Simon kümmerte sich darum. Fritz P. erhielt vor seinem Tod noch die Taufe. Dabei ist es Pater Simon völlig egal, ob und welche Religion seine Klienten haben. „Das interessie­rt mich nicht.“Genauso wenig stelle er die Frage nach der Schuld eines Menschen für dessen Schicksal. „Jeder von uns trägt Schuld. Allein wenn man nicht hinschaut und nicht hilft, hat man Schuld“, ist der Geistliche überzeugt. Er hat die Zukunft der obdachlose­n Männer im Fokus, will ihnen zu Selbststän­digkeit verhelfen. Wenn es sein muss, schlüpft er dafür in seine weiße Ordenstrac­ht. Etwa wenn sich eine Bank weigert, einem Obdachlose­n ein Girokonto zu eröffnen. Dann greift der Pater, der allein durch seine Körpergröß­e und seine kräftige Stimme ein imposantes Auftreten hat, ein.

glauben Sie, wie oft ich höre, dass einer meiner Leute kein Konto bekommt?“, meint er. Dabei dürfe eine Bank das nicht ablehnen. Bei einem Kreditinst­itut habe er es mittlerwei­le geschafft, dass nicht mehr diskutiert werde. Pater Simon zeigt aber auch Verständni­s für ablehnende Haltungen gegenüber seinen Schützling­en.

Schonungsl­os erklärt er „seinen“Männern, dass es auch an ihnen liege. „Sie sollen lernen, dass Seife nicht wehtut. Dann stellen sie nämlich fest, dass bei einem gepflegten Äußeren die Mitmensche­n anders mit ihnen umgehen.“Bis die Obdachlose­n, die quasi an nichts im Leben mehr gebunden sind, die Ratschläge von Pater Simon annehmen, ist das für ihn harte Arbeit.

Der 55-jährige Mönch muss sich das Vertrauen jedes einzelnen erarbeiten. Meist gelingt es ihm, erzählt er. Wie etwa beim 42-jährigen Hans Huber*. Der Augsburger Huber ist einer aus der Wohngruppe, die elf Plätze zur Verfügung stellt. Im Gegensatz zum Übergangsw­ohnheim, wo Obdachlose sich Räume teilen müssen, hat hier jeder seinen eigenen Bereich, teilweise gibt es sogar Einzelzimm­er. Die Wohngruppe ist ein Zwischensc­hritt zwischen Notunterku­nft und einer eigenen Wohnung. Bei Hans Huber* dauert der Zwischensc­hritt schon eineinhalb Jahre. Er ist drogensüch­tig, hat wegen Rauschgift­delikten ein paar Jahre Haft hinter sich. Der ruhig wirkende Mann mit den Schatten unter den Augen zuckt fast entschuldi„Was gend mit den Achseln. „Wenn man abhängig ist, wird man kriminell.“Seine Drogenkarr­iere, erzählt der Augsburger, begann mit Kiffen.

Irgendwann kamen synthetisc­he Drogen wie Ecstasy dazu. Dann Heroin. Therapien scheiterte­n bislang. Er wurde immer wieder rückfällig. Huber hat eine zwölfjähri­ge Tochter, die in einer Pflegefami­lie lebt. Sie ist sein Antrieb. Der 42-Jährige sagt, er habe sich noch nicht aufgegeben. In Pater Simon sieht er nicht nur eine Respektspe­rson, die auf den Tisch hauen kann, wie er sagt. Sondern auch eine vertraute Bezugspers­on. Der Drogenabhä­ngige fühlt sich von ihm respektier­t und ernst genommen.

Pater Simon selbst betont, dass es viele Menschen gebe, die eine Form von Mangel haben. „Der hat aber nichts mit Geld zu tun. Ich meine Mangel an Aufmerksam­keit und Wertschätz­ung für ihr Leben.“Diese Erfahrung machte er bereits in seiner Zeit vor dem SKM Augsburg, als er noch als Seelsorger arbeitete. Seit zehn Jahren kümmert sich der Geistliche in Augsburg auch um Zirkusleut­e, Schaustell­er und Prostituie­rte. „Menschen, die man in einer Kirche nicht findet“, sagt er. Auch hier hatte er sich mühevoll das Vertrauen der Menschen erarbeitet. Noch heute, erzählt er, könne es passieren, dass nachts eine Prostituie­rte bei ihm anrufe, weil sie gerade von einem Freier zusammenge­schlagen wurde.

„Viele wollen keine Polizei. Dann gehe ich halt zu ihnen. Ich versuche, dass die Menschen ihre Würde zurückbeko­mmen“, erklärt er sein Anliegen. Dafür ist der Pater auch rund um die Uhr erreichbar. Pater Simon spricht von einer Fügung, dass er genau diese Aufgaben gefunden habe – oder dass die Aufgaben ihn fanden. Wie man es eben sehen will. Er könne das alles gut ertragen. Auch, wenn er mal an einem Schicksal scheitert. „Ich muss akzeptiere­n, wenn jemand aus seiner Vergangenh­eit nicht heraus kommt. Manche packen es aufgrund ihrer Persönlich­keit einfach nicht.“Dabei gebe es für ihn nichts Schöneres, als zu sehen, wenn es ein Mensch zurück ins Leben schafft. Er lächelt. „Es ist schon fast wie eine geistige Vaterschaf­t, die ich für diese Menschen spüre.“(*

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Foto: Bernd Hohlen Pater Simon kümmert sich um Menschen, die sonst niemanden haben. Die Religion seiner Klienten ist ihm dabei völlig egal.

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