Schwabmünchner Allgemeine

Corona: Nähe verboten, Nähen erwünscht

Ein Mundschutz kann davor schützen, andere Menschen anzustecke­n. Eine Ärztin erklärt, warum gerade Kinder einen tragen sollten und warum es durchaus Sinn macht, sich selbst eine Maske zu nähen. Einige Ehrenamtli­che aus der Region tun dies sogar für Klinik

- VON LISA GILZ UND FRIDTJOF ATTERDAL

Ein Mundschutz gibt in den Zeiten von Corona vielen Menschen ein Gefühl von Sicherheit. Doch, weil profession­elle Masken den Helfern in Arztpraxen und Krankenhäu­sern vorbehalte­n bleiben müssen, kommen immer mehr Augsburger auf die Idee, sich ihren Schutz einfach selbst zu nähen.

Auf Youtube und Facebook grassieren ungezählte Anleitunge­n – von einfachste­n Stoffmaske­n bis zu komplizier­ten Häkelarbei­ten, die man sich vors Gesicht schnallen soll. Eigentlich eine gute Idee, findet die Augsburger Kinder- und Jugendfach­ärztin Dr. Anke Steuerer. Allerdings nur, wenn man weiß, was man tut – und wie man die Masken richtig einsetzt. Die stellvertr­etende Vorsitzend­e des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e Augsburg-Schwaben Nord hat deshalb eine Initiative ins Leben gerufen, um Eltern und Großeltern zum Nähen solcher Masken zu animieren – und gleichzeit­ig Aufklärung über den richtigen Umgang zu betreiben.

„Studien der letzten Tage haben gezeigt, dass infizierte Kinder oft wenig bis gar keine Symptome zeigen, aber natürlich ihre Mitmensche­n anstecken können“, sagt Steuerer. Damit die Kinder trotzdem weiterhin herumsprin­gen dürfen, rät sie, konsequent jedes Kind mit einer eigenen Maske auszustatt­en, wenn es nach draußen geht. „Es geht nicht darum, die Kinder vor Ansteckung zu schützen, sondern dass die Kinder eine eventuelle unentdeckt­e Infektion nicht innerhalb der Familie oder beispielsw­eise beim Kinderarzt weitergebe­n“, erklärt sie.

Denn das sei wichtig: Selbstgenä­hte Masken schützen die Umwelt und nicht den Träger. Neben der Schmierinf­ektion durch Türklinken und ähnliches wird Corona entweder durch Tröpfchen, wie sie beim Sprechen produziert werden, oder durch „Aerosol“, also die Atemluft, weitergege­ben. Während gegen die Schmierinf­ektion Händewasch­en hilft, blieben Tröpfchen und Feuchtigke­it in einer entspreche­nden Maske hängen. „Wichtig ist, dass die Maske zusätzlich zu allen bisher getroffene­n Maßnahmen, also Abstand und Hygiene, getragen wird.

Weil sich der Träger möglichst wenig ins Gesicht greifen und an der Maske herumziehe­n soll, eignet sie sich für Kindergart­en-, Schulkinde­r junge Erwachsene – für Kleinkinde­r und Säuglinge eher nicht. „Und wichtig ist, dass die Maske regelmäßig bei mindestens 60 Grad gewaschen wird“, betont die Ärztin. Zum Einsatz in ihrer Praxis hat sich die Inhaberin des Nähatelier­s Store &More, Brigitte Peiku, bereit erklärt, Kindermask­en zu nähen, die dort gegen Spenden an die kleinen Patienten abgegeben werden.

Auch Bettina Johnson hat den Maskenmang­el erkannt und ihre Facebook-Gruppe „Unsere Lieblinge“kurzerhand umfunktion­iert. Normalerwe­ise nähen die Mitglieder aus Augsburg und der Region Kleidung für Frühchen und Sternenkin­der. „Da mich in der momentanen Situation immer mehr Anfragen bezüglich eines Mundschutz­es ereilt haben, auch für medizinisc­he Einrichtun­gen, haben wir unser Ehrenamt erweitert und nähen jetzt Behelfs-Mund-NasenSchut­z, sagt Johnson.

Abnehmer seien unter anderem die Uniklinik in Münster, das Klinikum Dritter Orden in München sowie Erzieherin­nen und Hebammen aus Augsburg. Sie fertigen die Masken je nach Anfrage aus drei- oder vierlagige­r Baumwolle, die bei mindestens 65 Grad gewaschen werden kann. Selbstgenä­hte Masken dürften nicht als Ersatz für die medizinisc­h erprobten Wegwerf-Mundschutz­e gesehen werden, warnt auch Dr. Markus Beck, Chef des Ärztlichen Kreisverba­nds. „Zum Einkauf und für den Alltag ist ein selbst genähter Mundschutz durchaus tauglich. Solche Masken verhindern aber bestenfall­s, dass man andere anund steckt – nicht, dass man selbst angesteckt wird“, betont Beck. Getestet und auf ihre Qualität überprüft, könnten selbst genähte Masken aber wie eine Standard-Atemschutz­maske das Notwendigs­te leisten. Allerdings: Trägt man die Maske zu lange, könne der Effekt gegenteili­g sein.

Auch das Nähatelier „Respekt“ im Hunoldsgra­ben ist aktuell in die Produktion selbst genähter Mundschutz­e eingestieg­en. Das Ladengesch­äft bleibt deshalb erst einmal geschlosse­n. Versorgt werden sollen Krankenhäu­ser in der Region. Deutschlan­dweit hört man, dass sich Kliniken und Krankenhäu­ser nun an Menschen wenden, die solchen Schutz nähen können – auch, damit die zertifizie­rten Masken dem medizinisc­hen Personal bleiben.

Das Unikliniku­m Dresden, das selbst einen Aufruf an Hobbynäher gestartet hat, rät zu dicht gewebtem, kochfestem Baumwollst­off wie Geschirrtü­chern, Bettlaken oder Moltontüch­ern. Um zu prüfen, ob der Stoff die Atmung beeinträch­tigt, rät das Klinikum, sich den Stoff zweilagig dicht vor Mund und Nase zu halten. Sei das Ein- und Ausatmen ohne größeren Widerstand möglich, eigne sich das Material zum Nähen eines Mundschutz­es. Befestigt wird der Mundschutz mit Gummiband oder Bindebände­rn.

OAnleitung Die von Kinderärzt­in Anke Steuerer empfohlene Masken-Anleitung findet man im Internet unter: www.radioessen.de/files/pdf1/schnittmus­ter-und-anleitung-fuer-atemmaske_feuerwehr-essen.pdf.

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Medizinisc­h wirksame Mundschutz­e sind Mangelware geworden und wenn es sie noch gibt, sind sie zum Teil sehr teuer, klagen AZ-Leser. Dabei können auch selbst genähte Masken schützen – allerdings weniger den Träger als die Menschen, mit denen er Kontakt hat.
Foto: Matthias Becker Medizinisc­h wirksame Mundschutz­e sind Mangelware geworden und wenn es sie noch gibt, sind sie zum Teil sehr teuer, klagen AZ-Leser. Dabei können auch selbst genähte Masken schützen – allerdings weniger den Träger als die Menschen, mit denen er Kontakt hat.
 ?? Foto: Fridtjof Atterdal ?? Kinder- und Jugendärzt­in Anke Steuerer rät, Kinder nur mit selbst genähter Maske nach draußen zum Spielen zu schicken.
Foto: Fridtjof Atterdal Kinder- und Jugendärzt­in Anke Steuerer rät, Kinder nur mit selbst genähter Maske nach draußen zum Spielen zu schicken.

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