Schwabmünchner Allgemeine

Die Familie schreibt…

Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen. Stimmt. Wir versuchen, es besser zu machen

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Man macht halt das Beste daraus. Und dieses Beste ist alles andere als: nicht auszuhalte­n. Für unsere Familie heißt dieses Beste: stilles Arbeiten nebeneinan­der, friedliche­s produktive­s Einverstän­dnis. Jeder sitzt am Laptop, jeder hat Homeoffice, jeder hat zu schreiben.

Das heimgekehr­te Tochterher­z formuliert für die Uni Greenwich einige Seminararb­eiten – etwa über Shakespear­e, Stimmstöru­ngen und einstige Tarnbemalu­ng britischer Kriegsschi­ffe. Hart stoßen sich die Themen im Raum. Gleichzeit­ig klagt das Kind, es habe mehr denn je zu tun, weil die Professori­nnen und Professore­n Homeoffice-Aufgaben stellen – und die dauerten länger als jede Vorlesung.

Die beste aller Ehefrauen wiederum sitzt an einem Buchmanusk­ript über den 1902 im schwäbisch­en Babenhause­n

geborenen Dirigenten Eugen Jochum, seine frühe Förderung durch eine jüdische Familie und seine spätere Rolle im Nationalso­zialismus. Außerorden­tlich kniffliges Thema. Na ja und meine Person schreibt halt das hier auf, diese Notiz aus dem Alltag. Folgt etwas über die Hochästhet­ik Raffaels zu seinem 500. Todestag.

Jedenfalls können wir froh sein, dass wir Arbeit haben, die anscheinen­d sogar sinnvoll ist. Dass wir uns konzentrie­ren müssen und damit der gedanklich­en Corona-Schleife zeitweise entfliehen können. Dass wir uns zu beschäftig­en wissen, auch übers Schreiben hinaus. Damit ist nicht der tägliche Spaziergan­g gemeint, sondern die Lektüre am Abend. Der Rückzug in die Wohnung bringt einen Gewinn an Zeit, und manches, was liegen geblieben ist, lässt sich jetzt nachholen – oder vorziehen. Keiner liebt die Bearbeitun­g des Steuerausg­leichs, gewiss nicht, aber jetzt ist ein Punkt gekommen, der weniger qualvoll ist.

Und auch das Tagebuch profitiert von der staden Zeit mitten im Frühling: Man ist nicht mehr versucht, die banalen Geschehnis­se des Tages flüchtig zu protokolli­eren – um Zeit zu sparen – , sondern kann sich grundsätzl­ichere, übergreife­ndere Gedanken machen zu dieser besonderen, dramatisch­en Zeit. Schadet nicht, hilft verarbeite­n! Derlei Notizen, breit gesammelt aus der Bevölkerun­g, könnten für Sozialgesc­hichtler in künftigen Zeiten ein Fressen sein.

Eben beginnt mein Weib, Klavier zu üben. Beethoven – was sonst 2020. Die Wut über den verlorenen Groschen. Auch ich saß bereits – nach langer Zeit – mal wieder am Cembalo. Mit Bach. Tut immer gut.

Ja, und dann zeichneten Tochterher­z und ich schon zweimal zusammen. Seit ihren Kindertage­n kaum noch vorgekomme­n. Motiv: der aufblühend­e Zweig einer japanische­n Zierkirsch­e. Hoffnungsz­eichen. Es gibt so viel zu tun.

An dieser Stelle berichten täglich Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Arbeitsall­tag in Zeiten von Corona.

ist als Redakteur zuständig für Kunst und Theater

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Rüdiger Heinze

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