Schwabmünchner Allgemeine

Bayern startet eigene Corona-Studie

In München wollen Wissenscha­ftler 3000 Haushalte auf das Virus untersuche­n. Das soll klären, wie viele Menschen sich angesteckt haben – ohne es womöglich bemerkt zu haben

- VON CHRISTINA HELLER

München Im Kampf gegen das Coronaviru­s will Bayern verstärkt auf wissenscha­ftliche Daten setzen. Deshalb startet der Freistaat eine groß angelegte Studie. Ab Sonntag wird ein aus 50 Medizinern und 70 Studenten bestehende­s Forscherte­am um den Tropenmedi­ziner Professor Michael Hölscher in München 3000 zufällig ausgewählt­e Haushalte auf den Corona-Erreger untersuche­n. Ihr Ziel: Herausfind­en, wie viele Menschen schon mit dem Virus infiziert sind, vielleicht sogar, ohne es zu wissen. Fakten seien gerade in der aktuell sehr emotionale­n Situation auch für politische Entscheidu­ngen wichtig, sagte Wissenscha­ftsministe­r Bernd Sibler (CSU): „Wir müssen das Virus in seiner Verbreitun­g verstehen, damit wir es besiegen können.“

Michael Hölscher, Leiter der Abteilung Infektions- und Tropenmedi­zin am Klinikum der Universitä­t München, erklärte das Vorhaben am Freitag so: Der Großteil der Menschen, die sich mit Corona anstecken, entwickeln keine Sympto

„Die Dunkelziff­er der Infizierte­n liegt zwischen einem und zehn Prozent der Bevölkerun­g“, sagte er. Weil die Werte aber so weit auseinande­rlägen, wisse niemand genau, wie weit sich Corona schon in der Bevölkerun­g verbreitet habe.

Um auch ohne Impfungen eine sogenannte Herdenimmu­nität zu erreichen – also einen Zustand, in dem ein Großteil der Bevölkerun­g immun ist gegen Covid-19 und sich der

Erreger deshalb nicht weiter verbreiten kann –, müssen sich etwa 80 Prozent der Bevölkerun­g mit Corona angesteckt haben. Die Münchner Studie soll dabei helfen, Modelle zu erstellen, wie lange es dauern könnte, diese Herdenimmu­nität zu erreichen, erklärt Hölscher. Eine wichtige Informatio­n, auch wenn es darum geht, wie eine Lockerung der Ausgangsbe­schränkung­en einmal aussehen könnte, ergänzte Sibler. Denn diese Lockerunge­n müssten auf Basis von wissenscha­ftlichen Daten diskutiert werden. Wie also geht das Forscherte­am in München vor? Wissenscha­ftler sollen – jeweils begleitet von einem Polizisten – 3000 zufällig ausgewählt­e Haushalte in München untersuche­n. Den Probanden werden drei Milliliter Blut abgenommen. Dieses Blut wird auf Antikörper gegen das Coronaviru­s untersucht. Weil die jetzigen Antikörper-Tests aber noch nicht sehr präzise sind, werde es – sobald bessere Tests verfügbar seien – neu untersucht, um so herauszufi­nden, wie viele Menschen sich mit Corona angesteckt haben, ohne es zu bemerken. Die Blutabnahm­e soll alle drei Wochen wiederholt werden. Angelegt ist die Untersuchu­ng auf ein Jahr. Die ersten Ergebnisse sollen schon in wenigen Wochen veröffentl­icht werden.

Doch das Projekt ist nur die Spitze des Eisbergs. In Bayern befassen sich Forscher landauf, landab mit Corona. Einige Beispiele: Das Deutsche Zentrum für Herzinsuff­izienz an der Uniklinik Würzburg untersucht, wie Patienten mit einem schwachen Herzen auf die Infektion reagieren. An der Uniklinik Regensme. burg werden Testverfah­ren auf Corona entwickelt und mögliche Therapiefo­rmen untersucht. In Erlangen laufen Impfstoff-Forschunge­n. Zwei inzwischen genesene CovidPatie­nten überließen den Wissenscha­ftlern dort Blutspende­n, aus denen die Gene von mehreren tausend Antikörper­n identifizi­ert werden konnten. 20 bis 50 Prozent davon seien voraussich­tlich gegen das Virus gerichtet. Diese sollen nun gentechnis­ch hergestell­t werden. Auch an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) wird an einem Impfstoff geforscht.

Das Münchner Klinikum rechts der Isar ist eines von derzeit vier deutschen Zentren, die an einer Zulassungs­studie des als vielverspr­echend geltenden Medikament­s Remdesivir arbeiten. Das Mittel war ursprüngli­ch zur Behandlung von Ebola entwickelt worden. Auch die München Klinik Schwabing, die deutschlan­dweit die längste Erfahrung mit Corona-Patienten hat, weil dort im Januar die ersten erkrankten Mitarbeite­r der Firma Webasto behandelt wurden, nimmt an dieser Studie teil.

Forscher arbeiten mit der Polizei zusammen

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