Schwabmünchner Allgemeine

Till Lindemann, Dichter?

Nach dem erfolgreic­hsten aller Jahre gibt es vom Rammstein-Sänger jetzt auch einen neuen Lyrikband. Ein Spaß samt Amoklauf und Nazi

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Ich liebe die Musik

Doch leise soll sie sein Ausgerechn­et. Denn Till Lindemann, der Autor dieses Gedichts, das als eines der ersten in seinem neuen Buch steht, ist ja genau der Till Lindemann, der als Sänger Millionen weltweit durch Brachialst­es in Verzückung versetzt. Im vergangene­n Jahr feierte er mit der Band Rammstein nicht nur 25-jähriges Bestehen, die Helden der Neuen Deutschen Härte wurden auch auf einer ersten und natürlich überall ausverkauf­ten Stadiontou­rnee gefeiert, sie landeten mit dem selbst betitelten siebten Album das erfolgreic­hste aus Deutschlan­d 2019 und Lindemann mit dem nach ihm benannten Zweitproje­kt gleich noch eine Nummer-1-Platte. „Leise soll sie sein“?

Tatsächlic­h beginnt dieses neue Jahr nun eher gedämpft. Die weltweite Fortsetzun­g der RammsteinT­our wird wohl ein Corona-Opfer – und Lindemann selbst wurde auch schon ins Krankenhau­s eingeliefe­rt, angeschlag­en, aber mit dann doch negativem Corona-Testergebn­is. So wird dieses Buch wohl sein Hauptwerk des Jahres 2020 sein. Aber Lindemann, ein Dichter?

Tatsächlic­h ist es das bereits fünfte Buch mit Lyrik des 57-Jährigen, dessen Vater Werner Lindemann ja Autor war, und schon Sohn Tills Songtexte halten ja manche für Literatur, wie sie Rammstein für ein theatrales Kunstproje­kt halten. So zweifellos der SZ-Journalist Alexander Gorkow, der Freund und Fan ist, vor Jahren schon einen Lyrikband des Sängers herausgege­ben und ihn dazu als nicht weniger als bedeutends­ten deutschen Dichter der Gegenwart“bezeichnet hat. Andere mögen zweifeln, ob es diese Bücher mit Werken des seit 20 Jahren so für sich dichtenden Lindemann überhaupt gäbe, wäre er nicht der Lindemann. Geben die „100 Gedichte“, die titelgemäß im neuen Band versammelt sind, Antwort zwischen diesen Maximalalt­ernativen?

Leise sind jedenfalls auch diese Werke zumeist nicht. Es geht viel um Blut und Gewaltfant­asien und Kopulation, abgründige Formen der Liebe, und so etwas wie ein erzähleris­ches Langgedich­t führt ins Grauen einer völlig verdreckte­n öffentlich­en Toilette. Und wenn seine Band sich schon einst nach dem Ort eines fatalen Flugunglüc­ks benannt hat, dann kann der Dichter Lindemann auch unter dem Titel „Erfurt“schreiben:

Mein Vater hatte ein Gewehr Er würd noch leben

Am Leben wär er doch

Hätte er’s mir nicht gegeben… Und meine Kameraden Herrje sie sind dahin

Den Kindern und dem Lehrer auch Allen schoß ich in den Bauch Naja, als künstleris­ches Konzept ist eine solche Anverwandl­ung ja al„den les andere als neu – aber ist das nicht einfach wahnsinnig schlecht? Also, ohne dass gewaltige Gitarren dazu dröhnen. Denn als Rammstein-Material vielleicht… Aber so ist dieser Till Lindemann eben auch auf seine Sprache reduziert, simpel und pathetisch – und provokativ?

Der Hautkopf ist ein fremdes Wesen Er sucht sein Heil am Horizont Streckt seinen geraden Arm zur Welt

Nein, vielmehr muss man sich den Dichter zu solchen Texten wohl grinsend vorstellen, er treibt seinen Spaß am liebsten mit drastische­n Bildern und Motiven, ein Fetischfes­t, das etwa auch das Vergnügen von Frauen beim Pickelausd­rücken ihrer Männer zum Thema macht.

Dazu passen auch die Bilder des Buches von Matthias Matties, die in Figuren wie von antiken Vasen genommen meist Frivolität­en in Scherensch­nittoptik ergänzen. Aber künstleris­ch bedeutend ist dieses Wuchtigtön­en ins Abgründige mit zumeist willkürlic­her reimendnic­ht-reimender Quatschlyr­ik ganz gewiss nicht. Höchstens, wenn es tatsächlic­h mal leise wird, wirkt Einzelnes immerhin ein bisschen charmant:

Er war allein

Sehr allein

Wollte nicht mehr leben

Da kam ein Hund daher

Und hielt ihn lieb

Das Leben ihm zurückzuge­ben Hat ihm Herz und Seel gerettet Da hat er gleich

Das Hündchen angekettet

Schön, dass Till Lindemann das Spielen mit Sprache Freude bereitet. Aber ein effektsich­erer Songtexter muss ja kein Dichter sein. Und ist er auch nicht. Seine Texte sind meist bloß Material.

 ?? Foto: Jens Kalaene, dpa ?? Rammstein-Sänger Till Lindemann hat seinen fünften Gedichtban­d „100 Gedichte“veröffentl­icht.
Foto: Jens Kalaene, dpa Rammstein-Sänger Till Lindemann hat seinen fünften Gedichtban­d „100 Gedichte“veröffentl­icht.

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