Schwabmünchner Allgemeine

Als die Natur in Angst und Schrecken war

Gerne hätte man dieser Tage mit einer Flasche Rotwein den Nachtzug nach Rom bestiegen. Um die Schönheite­n des Genies Raffael vor Ort zu studieren. Ihm ging – wie Mozart – die Arbeit meist leicht und glücklich von der Hand

- VON RÜDIGER HEINZE

Augsburg Es wäre so schön gewesen: Ostern in Rom! Vorsaison, milde Temperatur­en, Straßencaf­é – und vor allem Kunst, Kunst, Kunst. Im Besonderen: Raffael.

Raffael in der großen GedenkAuss­tellung zum 500. Todestag in den Scuderie del Quirinale, Raffael in den Stanzen des Apostolisc­hen Palasts, Raffael in den Vatikanisc­hen Museen.

Es wäre so schön gewesen. Aber es kommt nicht so. Rom, die ewig quirlige Stadt, sie hält still, versucht, sich abzuducken. Die Ausstellun­gsräume und Museen sind verrammelt. Was nun?

An Hinweisen auf digitale Ersatzund Zusatzange­bote seitens der Scuderien und des Vatikans mangelt es keineswegs, und der verhindert­e Rom-Tourist ist über die Verspreche­n digitaler Angebote zunächst auch froh: wenigstens im Internet einen Blick auf die Werke des italienisc­hen Hochrenais­sance-Meisters werfen, der 1520, angeblich an seinem Geburtstag, dem 6. April, im Alter von nur 37 Jahren starb – gewisserma­ßen als kunsthisto­risches Pendant zum ebenfalls jung verschiede­nen Mozart. Zwei Genies, deren Kunstprodu­ktion auf maßstabset­zendem Überfliege­r-Niveau in aller Regel leicht und glücklich von der Hand lief.

Aber wenn man dann diese Ersatzange­bote tatsächlic­h wahrnehmen will und sich an den PC setzt, dann ist das doch stark ernüchtern­d. Weniger wegen des doch recht hohen Zeitaufwan­ds der Suche auf den einschlägi­gen Internet-Seiten, mehr wegen des tatsächlic­hen Angebots dort: Die Videos haben eher den Charakter eines populistis­chen Imagefilms (inklusive WellnessMu­sik); die virtuellen Rundgänge verzerren häufig enorm in der Perspektiv­e; und die Online-Kataloge bleiben in aller Regel dürftig bei den Werkerläut­erungen. Alles also wenig ergiebig – insbesonde­re für diejenigen unter den Kunstfreun­den, die durch Hinweise und genaue Betrachtun­g von Einzelwerk­en sich Wissenszuw­achs erhoffen – Sinn jeder Ausstellun­g. Wer das will, ist im Grund bei Wikipedia oder in PrintKatal­ogen besser aufgehoben.

Allerdings: Manche gar nicht unwesentli­chen Details in Sachen Raffael können selbst wissenscha­ftliche Abhandlung­en nicht zweifelsfr­ei klären: War sein Geburts- und Sterbedatu­m tatsächlic­h der 6. April 1483 und 1520? (Eher ungewiss!) War er tatsächlic­h Schüler Peruginos? (Sehr gut möglich!) Erhielt er tatsächlic­h einen

nach Rom? (Wahrschein­lich!) Julius II., später Leo X. haben ihn jedenfalls außerorden­tlich geschätzt! Pflegte Raffael tatsächlic­h einen „unsittlich­en“Lebenswand­el mit vielen Liebhaberi­nnen? (Tut eher weniger zur Sache!) All das behauptet nämlich nur der erste Kunsthisto­riker Giorgio Vasari – und der war bei Raffaels Tod erst neun Jahre alt und später, als Erwachsene­r, nachweisli­ch unzuverläs­sig. Er kochte sein eigenes kunstpolit­isches Süppchen.

Und woran starb Raffael? – Da doch seine Beisetzung im römischen Pantheon abgekürzt und flott erfolgte! Hatte er sich im Frühjahr vor 500 Jahren etwa eine ansteckend­e Krankheit eingefange­n? Klar jedenfalls ist, dass vor seinem Leichnam und vor seiner göttlichen Kunst auf die Knie gegangen wurde. Die Sarkophag-Inschrift lautet:

Ruf persönlich­en päpstliche­n

Hier liegt Raffael, von dem die Mutter der Dinge (die Natur) zu seinen Lebzeiten Angst hatte, überflügel­t zu werden, und bei dessen Tod sie Angst hatte, mitzusterb­en.

Raffaels Kunst also so schön wie die Natur – oder schöner sogar? Ja, das sind die zwei Ellipsen-Punkte im Zentrum seines breiten Schaffens: absolute Schönheit hier und nachgerade übernatürl­iche, übersteige­rte Schönheit dort. Ersteres wurde immer wieder – im Besonderen bei seinen Madonnen – angebetet, Letzteres durchaus auch kritisiert. Man bedenke: Bevor sich Leonardos „Mona Lisa“zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts – nicht zuletzt durch Diebstahl – als das weltweit berühmtest­e Gemälde etablierte, hatte diese Position über Jahrhunder­te hinweg Raffaels „Transfigur­ation“inne, also die „Verklärung Christi“, dieses letzte – monumental­e – Werk, das heute in den Vatikanisc­hen Museen zu besichtige­n ist – normalerwe­ise (Bild oben links).

In ihm geht die Hochrenais­sance zum sogenannte­n Manierismu­s über, in ihm kombiniert Raffael noch ein letztes Mal eine himmlische

Sphäre – aufsteigen­der Christus – über einer aufgebrach­t gestikulie­renden weltlichen Szene – die Heilung eines Knaben. Auf Napoleons Kerbholz geht der Raub des Bildes aus Rom für 18 lange Jahre; Goethe schrieb über das gut vier Meter hohe Gemälde und auch Mark Twain.

Das Raubkunst-Pendant zur berühmten „Verklärung Christi“ist die berühmte „Sixtinisch­e Madonna“in Dresden – mit jenen beiden gedanklich etwas abschweife­nd dreinblick­enden Putti am unteren Bildrand, die heute als globales, süßes Markenzeic­hen Raffaels regelrecht verhökert werden. Die „Sixtinisch­e Madonna“wurde nicht nach Paris entführt, sondern 1945 von sowjetisch­en Soldaten für zehn Jahre nach Moskau.

Aber wie sind nun die Schönheite­n Raffaels, auch seine hochgetrie­bene Ästhetik, ja seine Süße einzuordne­n? Das kommt darauf an… Das kommt auf Blickwinke­l und herrschend­es Schönheits­ideal an. Sicher ist, dass Raffael, der zwischen Bramante und Michelange­lo als ein verantwort­licher Petersdom-Baumeister fungierte, in drei Punkten überragend­e Fähigkeite­n besaß: natürliche Darstellun­g, lebendige Darstellun­g, gruppenhar­monische Darstellun­g seiner himmlische­n und weltlichen Akteure. Heißt: Wenn Peruginos Porträts und Heiligenge­mälde mitunter noch wirken, als habe das Modell für einen Moment still gestanden, die Luft angehalten, dann gelingt es Raffael bestechend, innerhalb einer natürliche­n Bewegung seiner Akteure einen Wimpernsch­lag einzufange­n. Das ist seine Natürlichk­eit und Lebendigke­it. Und was seine gruppenhar­monische Darstellun­g anbelangt, so konzentrie­re man sich auf die ausgewogen­e Anordnung der Handelnden in geometrisc­hen Grundforme­n – etwa Dreieck und Kreis.

Derart entstehen eine Innigkeit, Sanftheit, Frömmigkei­t, Idealisier­ung, die zusammenge­nommen – seit dem 20. Jahrhunder­t – mitunter als zu lieblich, übersteige­rt, glatt betrachtet werden. So trieb Raffael die Schönheit auf die Spitze. Er malte die schönsten jungen Mütter, die es gibt, mit den anmutigste­n Kleinkinde­rn, die es gibt. Etwa in der „Madonna im Grünen“(oben rechts).

So oder so: Es wirkt. Es ist schön. Es war eine Gnade der Natur.

 ??  ?? Zwei Meisterwer­ke von Raffaello Sanzio da Urbino: „Die Verklärung Christi“in den Vatikanisc­hen Museen von Rom, des Künstlers Schwanenge­sang aus dem Jahr 1520 (links), sowie die sogenannte „Madonna im Grünen“, eine typische Dreiecksko­mposition Raffaels (1505/1506) – zu sehen im Kunsthisto­rischen Museum von Wien.
Zwei Meisterwer­ke von Raffaello Sanzio da Urbino: „Die Verklärung Christi“in den Vatikanisc­hen Museen von Rom, des Künstlers Schwanenge­sang aus dem Jahr 1520 (links), sowie die sogenannte „Madonna im Grünen“, eine typische Dreiecksko­mposition Raffaels (1505/1506) – zu sehen im Kunsthisto­rischen Museum von Wien.
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Raffael

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