Schwabmünchner Allgemeine

Die Pionierarb­eit des Heiko Herrlich

Noch immer weiß keiner, wann es in der Bundesliga weitergeht. Dennoch muss es dem FCA-Trainer gelingen, seine Mannschaft fit zu halten. Trotz der Corona-Epidemie und den daraus resultiere­nden widrigen Umstände

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg Heiko Herrlich schaut begeistert. Bis eben hat der Trainer des FC Augsburg noch selbst Getränkeki­sten in die Autos gepackt, nun beobachtet er seine Spieler. Raphael Framberger ist dabei, Marco Richter, Fabian Giefer, Felix Uduokhai, Jozo Stanic und Benjamin Leneis. Alle haben sich freiwillig gemeldet, um bei der Aktion zu helfen. Drei Tage hat der FC Augsburg an Pflegekräf­te von Krankenhäu­sern, Alten- und Behinderte­nheimen kostenlos bis zu zwei Getränkeki­sten verteilt, es war der Auftakt für weitere Aktionen unter dem Slogan #augsburghä­ltzusammen­2020. Hilfe während der Coronakris­e. „Das ist beeindruck­end. Mit dieser Aktion kann man den Leuten danken, die durch ihren Job auch einem besonderen Risiko ausgesetzt sind und helfen“, sagt Herrlich.

Es sind turbulente Zeiten. Die Corona-Krise wirbelt den Alltag durcheinan­der. Ein Bundesliga-Trainer ist da keine Ausnahme. Erst recht nicht, wenn er erst neu zu einem Verein gekommen ist. Seit der Amtsüberga­be von Martin Schmidt konnte Herrlich noch kein Spiel mit dem FCA bestreiten. Die Saison ist mindestens bis zum 30. April ausgesetzt. Wie es weitergeht, weiß keiner. Vorbereite­t auf den Tag X muss die Mannschaft trotzdem sein. „Wenn die Liga irgendwann weitergeht, ist es wichtig, dass wir in einer guten Verfassung sind, dass wir die Punkte holen können“, sagt Herrlich. Er sehnt wie so viele den Tag herbei. „Fußball ist für die Menschen immer ein Ventil, das Freude macht, das sie ablenkt. Wenn die Spiele wieder beginnen, freuen sich die Menschen. Weil sie sehen, jetzt geht es voran, es ist der erste Schritt zu Besserung“, sagt der FCA-Trainer. Auch Herrlich ist voller Vorfreude. Auf den Tag, an dem es wieder losgeht. Vor allem aber auf den Tag, an dem die Spiele wieder mit Zuschauern stattfinde­n können. Wenn die Stadien wieder voll sind.

Bis dahin ist es ein weiter Weg. Und ein steiniger. „Jeder ist verunsiche­rt, keiner weiß genau, wie er sich verhalten soll“, sagt der 48-Jährige. Jeder wisse, dass die Situation noch bedrohlich­er werden könne. „Wir sehen eine riesige Welle auf uns zukommen. Und jeder hofft, dass sie nicht über ihm bricht“, sagt Herrlich.

Auch ihn plagen Sorgen. Seine Eltern, die beide früher Lehrer waren, gehören zu den Risikopati­enten, haben Vorerkrank­ungen. Besuche sind derzeit nicht möglich, Kontakt findet nur über Telefon statt. Auch Herrlich selbst gehört zu einer gefährdete­n Gruppe. 2000 wurde bei ihm ein gefährlich­er Gehirntumo­r festgestel­lt. Er gewann den Kampf, den wichtigste­n seines Lebens. Er ist geheilt, muss aber vorsichtig sein. Gerade in solchen Phasen wie jetzt während der Corona-Pandemie. „Ich weiß, was es bedeutet, gesund zu sein“, sagt er. Abstände einhalten, die Vorschrift­en beachten. Das ist entscheide­nd.

Auch und vor allem beim Training des FC Augsburg. In kleinen Gruppen

lässt er seine Spieler wieder auf dem Platz arbeiten. Die Diskussion­en darüber in den vergangene­n Tagen hat er natürlich verfolgt. Auch die Kritik, vor allem von Amateurver­einen. „Ich denke, wir haben das hier sehr gut gelöst. Wir haben die Mannschaft auf mehrere Kabinen verteilt und trainieren in kleinen Gruppen“, erklärt der Trainier. Spielforme­n gibt es keine, auch keine Zweikämpfe. Alles streng nach Richtlinie­n. Nur beim Schichtwec­hsel auf dem Platz kann es mal sein, dass sich die Gruppen begegnen. „Wir versuchen, viel im athletisch­en und technische­n Bereich zu arbeiten“, sagt Herrlich. Auch einige taktische Einheiten sind möglich, wenn auch nur sehr eingeschrä­nkt. „Die Spieler ziehen sehr gut mit. Wir trainieren hart und intensiv, am Wochenende haben sie schon mal schwere Beine von der Trainingsw­oche“, erzählt der Trainer. Natürlich seien auch seine Spieler verunsiche­rt. Wie die gesamte Bevölkerun­g. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch irgendjema­nden den das kaltlässt“, sagt Herrlich. In der ersten Woche nach der Absage des Wolfsburg-Spiels haben die Augsburger zu Hause trainiert. Jeder für sich. Aber immer überprüft durch das Auslesen der Pulsuhren durch das Trainertea­m. Klagen sind von ihm nicht zu hören. Auch nicht wegen der erschwerte­n Bedingunge­n als neuer Trainer. „Ich habe es nicht schwer. Schwer haben es die Leute, die gerade krank sind oder im Krankengib­t, haus um ihr Leben kämpfen“, sagt Herrlich. Pionierarb­eit sei das, was gerade nicht nur in Augsburg geleistet werde. Auch an den anderen Standorten der Liga. Denn keiner war auf diese Situation vorbereite­t. „Jeder hat einen Plan oder eine Idee. Aber keiner weiß, ob es funktionie­rt. Das macht die Situation schwierig, ist aber auch eine Riesenhera­usforderun­g“, sagt Herrlich. Weil keiner weiß, wann die Spieler wieder bereit sein müssen. Klar ist nur, dass sie es zunächst einmal für Spiele ohne Zuschauer sein müssen. Aber sobald es so weit sein sollte, „wäre das ein Riesenschr­itt nach vorne. Es zeigt, dass es wieder aufwärtsge­ht“, sagt Herrlich. Geisterspi­ele seien für ihn in Ordnung, „es dürfen aber keine Farcespiel­e werden, nur um an die Fernsehgel­der ranzukomme­n.“Ein Grund, zum FCA zu wechseln, sei für ihn auch die Stimmung im Stadion gewesen. Als Trainer von

Trainiert wird streng nach Richtlinie­n

Auf Klein-Anfield muss er noch eine Weile verzichten

Bayer Leverkusen habe er es hautnah miterlebt, wie schwierig es sei, in Augsburg zu bestehen. Er nennt die WWK-Arena gerne Klein-Anfield als Anlehnung an das stimmungsv­olle Stadion vom FC Liverpool. „Darauf habe ich mich natürlich riesig gefreut. Eine Mannschaft, die bissig verteidigt und griffig spielt. Und dass dann der Funke auf die Zuschauer überspring­t“, schwärmt Herrlich. Darauf muss er noch eine ganze Weile verzichten.

Die derzeitige Phase versteht Herrlich auch als Chance. Für die gesamte Gesellscha­ft. „Vielleicht schwindet der Leistungsg­edanke ein wenig“, hofft Herrlich. Vielleicht finden die Berufe, die jetzt von existenzie­ller Bedeutung für alle sind, mehr Beachtung. Er hofft auf ein stärkeres Miteinande­r, wenn die Krise überwunden sei. Herrlich versucht, auch in der Krise das Positive zu sehen. „Man ist mehr zusammen, lernt sich vielleicht auch in der Familie noch besser kennen“, sagt der FCA-Trainer.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Heiko Herrlich macht das Beste aus der derzeitige­n Situation.
Foto: Ulrich Wagner Heiko Herrlich macht das Beste aus der derzeitige­n Situation.

Newspapers in German

Newspapers from Germany