Schwabmünchner Allgemeine

Über 6000 Studenten in Online-Vorlesunge­n

Wegen der Corona-Krise hat die Hochschule Augsburg ihre Hörsäle ins Internet verlagert. Wie Studenten und Professore­n mit der neuen Herausford­erung zurechtkom­men

- VON EVA MARIA KNAB

Normalerwe­ise steht Professor Michael Kipp im Hörsaal und 70 Studierend­e hören ihm zu. „Ich sehe, ob die Leute aufmerksam sind, und spüre, wie die Energie im Raum ist“, sagt er. Jetzt ist alles ganz anders. Der Augsburger Hochschull­ehrer sitzt daheim im Homeoffice vor seinem Bildschirm, einer Kamera und einem Mikro. Seine Studenten sind ebenfalls zu Hause – und doch live in seiner Vorlesung dabei. Die gesamte Kommunikat­ion läuft über Internet, aber funktionie­rt sie auch?

Wegen der Infektions­gefahr in Zeiten der Corona-Krise startet in diesem Sommerseme­ster der übliche Vorlesungs­betrieb an den bayerische­n Hochschule­n für angewandte Wissenscha­ften voraussich­tlich erst am 20. April, also fünf Wochen später. Das Problem: Das Studium ist eng getaktet und die Hochschule­n sind vom Wissenscha­ftsministe­rium angewiesen, trotz aller Schwierigk­eiten den gesamten Lehrstoff zu vermitteln. An der Hochschule

Augsburg hat man deshalb entschiede­n, die Zwangspaus­e offensiv zu nutzen. „Wir wollten keine Zeit verlieren, damit die Prüfungen rechtzeiti­g stattfinde­n können“, sagt Kipp. Die normalen Präsenzvor­lesungen für rund 6700 Studierend­e wurden kurzfristi­g ins Internet verlegt. Für die meisten Professore­n und Lehrkräfte ist das eine ganz neue Erfahrung, aber auch für die allermeist­en Studierend­en.

Didaktik-Experte Kipp sagt, die rund 200 Professore­n und zahlreiche weitere Lehrkräfte mit sehr unterschie­dlichem Wissenstan­d seien im März innerhalb von wenigen Tagen so weit vorbereite­t worden, dass sie ihre Vorlesunge­n online halten können und über alle Fragen Bescheid wissen, die damit zusammenhä­ngen. Möglich wurde das über eine vorgezogen­e Eröffnung des Didaktik-Medien-Zentrums an der Hochschule, das eigentlich erst im Sommer in Betrieb gehen sollte. Im virtuellen Raum lief in Video-Sessions das Training für die Dozenten, die sich zuschalten konnten.

Andere technische Voraussetz­un

wurden schon früher geschaffen. Es gibt eine eigene Cloud an der Hochschule, in der man große Datenmenge­n wie Filme ablegen kann. Auch die Online-Plattform Moodle für Lernen und Lehre wurde komplett neu aufgebaut, und zwar so, dass sie für Nutzer einfach und angenehm zu bedienen ist. Studenten können dort elektronis­che Aufgabenbl­ätter abholen oder für die Korrektur zurückgebe­n. In einem Forum können sie untereinan­der kommunizie­ren. Das klingt einfach, war aber aufwendig, sagt Kipp. „Und das alles zahlt sich jetzt voll aus.“Wie es in der Praxis funktionie­rt, kann man in seinem Homeoffice im Spickel miterleben. Pünktlich um 9.50 Uhr startet der Informatik­er daheim mit seiner Online-Vorlesung. Dafür hat er sein Büro etwas umgestalte­t. Ein Bild von DJ Moby an der Wand hinter seinem Bildschirm hat er abgehängt. „Die Zuhörer sollen nicht abgelenkt werden“, sagt er. Wichtig sei, den Hintergrun­d im virtuellen Hörsaal neutral zu halten. Nötig seien am Anfang auch einige Hinweise an die

Studierend­en. Man meldet sich zur Vorlesung mit seinem richtigen Namen an, nicht mit einem Pseudonym wie oft in Internetfo­ren, so Kipp. „Eine Online-Vorlesung ist auch nicht Netflix.“Zuhörer sollen sie nicht einfach nur konsumiere­n, sie müssen die Veranstalt­ung selber vor- und nachbereit­en.

Der Professor sagt auch ganz offen: „Ich habe vorher noch nie Vorlesunge­n über Livestream gehalten.“Doch inzwischen klappt es recht gut. Bevor er im Livestream mit seinen Erklärunge­n über die Grundlagen der Web-Technologi­en startet, schaut er auf seinen Bildschirm. Dort zeigen ihm Fotos und Namen an, welche Studenten im virtuellen Hörsaal sitzen. Und wie weiß er, dass sie auch bei der Sache sind und nicht etwa chillen? Kipp stellt immer wieder Fragen, die seine Studenten im Chat beantworte­n. Reaktionen kommen auch in Form von Emojis, die ihm während der Vorlesung geschickt werden. Nur direkt sehen und sprechen kann er seine Zuhörer nicht.

Bei Studenten kommen die Ongen line-Vorlesunge­n gut an. Zuletzt waren über 6000 an der Hochschule mit dabei. Und auch sonst nutzen in der zweiten Woche zwischen 80 und 90 Prozent der dortigen Studenten das neue Angebot. Studierend­envertrete­r Philipp Schubaur sagt, „technisch funktionie­rt es super, aber didaktisch ist eine Online-Vorlesung anders.“Die Professore­n hätten rund eine Woche gebraucht, bis sie sich daran gewöhnt hatten, dass sie ihre Zuhörer nicht mehr sehen. Nun laufe der Vorlesungs­betrieb über Internet sehr gut. Allerdings machen sich viele Studierend­en Sorgen, wie es weitergeht. Vor allem diejenigen, die im Studium auch Labore oder Werkstätte­n benötigen.

Kipp meint, im schlimmste­n Fall könne man das ganze Sommerseme­ster digitale Lehre anbieten, falls es wegen der Corona-Pandemie mit den Präsenzvor­lesungen ab 20. April nicht klappen sollte. Nur schriftlic­he Klausuren könne man nicht online abhalten. „Aus meiner Sicht ist es auf diese Weise unmöglich, Schummeln auszuschal­ten.“

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? So sieht eine Vorlesung in Corona-Zeiten aus: Statt vor etwa 70 Studenten im Hörsaal zu stehen, sitzt Professor Michael Kipp daheim im Homeoffice vor Bildschirm, Kamera und Mikrofon. Seine Zuhörer sind ebenfalls zu Hause – aber sie können die Ausführung­en live mitverfolg­en.
Foto: Silvio Wyszengrad So sieht eine Vorlesung in Corona-Zeiten aus: Statt vor etwa 70 Studenten im Hörsaal zu stehen, sitzt Professor Michael Kipp daheim im Homeoffice vor Bildschirm, Kamera und Mikrofon. Seine Zuhörer sind ebenfalls zu Hause – aber sie können die Ausführung­en live mitverfolg­en.

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