„Die Tat hat nichts mit der Unterkunft zu tun“
Nachdem ein 15-Jähriger in einer Asyl-Einrichtung getötet wurde, sorgen sich nicht nur Bürger, sondern auch Bewohner. Staatsanwaltschaft und Verantwortliche betonen, dass die Tat im privaten Umfeld zu sehen ist
Der gewaltsame Tod eines 15-Jährigen in der Asyleinrichtung in Göggingen sorgt nicht nur bei den Bewohnern vor Ort für Entsetzen. Auch bei der Stadt Augsburg und der Caritas, die die Unterkunft betreiben, herrscht tiefe Betroffenheit. Jetzt gelte es, die traumatisierte Familie des getöteten Jungen zu stabilisieren, sagt Walter Semsch. Dem Caritas-Geschäftsführer bereitet noch etwas Kummer.
Die Wohnung, die am Samstag Schauplatz der tödlichen Attacke wurde, ist weiterhin gesperrt. Laut Semsch müsse sie erst renoviert werden. Es sei alles voller Blut. Der 29 Jahre alte mutmaßliche Täter muss schlimm gewütet haben. Bei dem Afghanen, der nicht in der Region Augsburg lebt, handelt es sich um den Ehemann einer 24-Jährigen. Sie hatte sich offenbar von ihm getrennt. Die Frau selbst wohnt nicht in der Gögginger Einrichtung, aber ihre Eltern und ihre drei Geschwister. Sie leben seit drei Jahren dort – so lange, wie die Einrichtung bereits existiert: der Vater (41), die Mutter (37), zwei Töchter (16 und 20 Jahre alt) sowie der 15 Jahre alte Sohn.
Der Tatverdächtige hatte die af
Familie am Samstagnachmittag aufgesucht. Seine von ihm getrennt lebende Frau war zu dem Zeitpunkt laut Polizei nicht vor Ort.
Bei der Polizei war am Samstag ein Notruf eingegangen, dass es in der Asyl-Einrichtung einen massiven Streit in einer Familie gebe. Als die ersten Polizeistreifen eintrafen, war der 15 Jahre alte Junge bereits tot – er kam vermutlich durch ein Messer ums Leben. Der 29-Jährige muss auch die anderen Familienmitglieder attackiert haben. Sie waren alle verletzt. Aufgrund schwerer Stichverletzungen musste die Mutter notoperiert werden. Eine Schwester erlitt durch Stiche Verletzungen am Rücken.
Der 29-Jährige sitzt in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat Haftbefehl wegen Mordes und vierfachen versuchten Mordes jeweils zusammentreffend mit gefährlicher Körperverletzung, beantragt. Die Ermittler halten sich zum genauen Ablauf der Tat weiterhin bedeckt. Noch würden Zeugen vernommen.
Fest steht laut Oberstaatsanwalt Matthias Nickolai jedoch, dass „die Tat in der Beendigung der Beziehung zu sehen ist“. Der 29-Jährige die Trennung wohl nicht akzeptieren und rastete aus. Auch Sozialbürgermeister Stefan Kiefer (SPD) ist es wichtig, diesen Umstand zu betonen.
„Die Tat hat nichts mit der Unterkunft, den Familien, die dort leben, und der Betreuung vor Ort zu tun“, unterstreicht er. Die Flüchtlingsunterkunft Noah sei eine gute Einrichtung, in der hervorragend gearbeitet werden. Dies stehe nicht in Zusammenhang mit einer privaten Beziehungstat. „Es ist ein schrecklicher Vorgang, der uns alle mitnimmt“, meint Kiefer. Seine Grundsorge sei nun, dass aus der Tat falsche Schlüsse gezogen werden. Die Sorge des Sozialreferenten ist nicht unbegründet.
Denn wie Caritas-Geschäftsführer Walter Semsch am Montag berichtet, gebe es bereits Bürger, die sich aus Angst meldeten. Offenbar gibt es Überlegungen, eine Unterschriftenaktion gegen die Unterkunft zu starten. Schon vor Jahren, als die Einrichtung noch in Planung war, war sie bei manchen Bürgern auf Ablehnung gestoßen. Laut Stefan Kiefer hat sich die Unterkunft mit ihrer Integrationsarbeit jedoch längst bewährt. Man schätze die Einrichtung und die Arbeit der Caghanische ritas sowie das Engagement des Bistums. Die Betreuung der Geflüchteten vor Ort sei sehr gut. Unter anderem stehen sogenannte „Kümmerer“den Bewohner und auch Bürgern als Ansprechpartner zur Verfügung. Man habe auch Ehrenamtliche und einen Seelsorger, die sich der Bewohner annehmen, berichtet Caritas-Geschäftsführer Walter Semsch. Die Unterkunft zähle zu den am besten geführten Einrichtungen, habe Stefan Kiefer ihm gesagt.
Rund 80 Menschen aus Afghanistan, Syrien, Nigeria und Uganda sind in den Häusern in der Friedrich-Ebert-Straße untergebracht. Es handelt sich um elf Familien und alleinerziehende Mütter mit Kindern. Die meisten von ihnen sind bereits anerkannt, so Kiefer. Die Bewohner leben seit dem Tötungsdelikt in Sorge, erzählt Semsch. „Sie haben Angst, dass sie nun von der Bevölkerung angegangen werden. Sie haben sich sehr in ihre Wohnungen zurückgezogen“, beobachtet er. In Gesprächen wolle man den Familien nun die Angst nehmen. Im Fokus der Betreuer steht aber freilich die Opfer-Familie.
„Für die Familie ist das eine Tragödie. Sie wird ihr Leben lang dawollte runter leiden.“Die beiden Töchter seien nun vorerst in einer anderen städtischen Unterkunft untergebracht. Ihrer habe sich eine befreundete Familie vorübergehend angenommen, bis sich die Eltern von den Verletzungen so weit erholt haben. Die Mutter befindet sich noch im Krankenhaus. „Unser Hauptaugenmerk liegt jetzt darin, die Familie zu stabilisieren.“Nach Göggingen werde sie jedenfalls nicht mehr zurückkehren. Das wolle man ihr nicht zumuten.