Schwabmünchner Allgemeine

Corona-Krise setzt Pflegeheim­en zu

Stationäre Einrichtun­gen und ambulante Dienste fühlen sich in der aktuellen Lage von der Politik im Stich gelassen. Größtes Problem ist die fehlende Schutzklei­dung. Dabei ist das Virus längst in den Häusern angekommen

- VON ANDREA BAUMANN

Zeitungen und Fernsehen zeigen täglich Bilder von erschöpfte­n Pflegekräf­ten in den Krankenhäu­sern. Die Corona-Krise setzt aber auch den Mitarbeite­rn in den Altenheime­n und ambulanten Pflegedien­sten mächtig zu. Fritz Graßmann, Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft der freien Wohlfahrts­pflege in Augsburg (Arge) und DiakonieCh­ef, spricht von einem „enormen Druck“auf die Einrichtun­gen. „Ständig wird man mit Veränderun­gen und Anweisunge­n konfrontie­rt, die nicht zu Ende gedacht sind und die sich teilweise widersprec­hen.“Die Folge: „Die Mitarbeite­r bekommen zunehmend Angst. Wenn die uns wegbrechen, haben wir wirklich ein Problem.“

Rund 7000 Pflegekräf­te sind in Augsburg in Heimen und ambulanten Einrichtun­gen für etwa 8500 Kranke, Senioren und Menschen mit Behinderun­g im Einsatz. Sie alle sind in unterschie­dlichem Ausmaß von der Pandemie betroffen, wie sich am Montag bei einer Pressekonf­erenz mit sieben Vertretern der Arge zeigte. Egal ob Stadt, Wohlfahrts­verband oder privater Pflegedien­st – die Nöte und Sorgen vereinen alle Träger.

An erster Stelle steht hier die eigentlich vorgeschri­ebene, aber oft gar nicht zu beschaffen­de Schutzklei­dung – vor allem die speziellen FFP-Masken. Die Träger versuchen dennoch auf allen möglichen Wegen, die Ausrüstung zu bekommen. Bei der CAB Caritas etwa ist eine Mitarbeite­rin nur damit beschäftig­t, die Seriosität der Anbieter zu prüfen. Aufs Geld dürfen die Pflegeeinr­ichtungen ohnehin nicht mehr schauen. „Kostete eine Maske bisher zwei Euro, so bezahlen wir jetzt zwischen zehn und 18 Euro pro Stück“, sagt CAB-Geschäftsf­ührerin Brigitta Hofmann.

Auch wenn allerorten die Hygienemaß­nahmen verstärkt und Besuchsver­bote ausgesproc­hen wurden, ist das Coronaviru­s in den Pflegeeinr­ichtungen nicht mehr nur eine abstrakte Gefahr. Neben der Arbeiterwo­hlfahrt (AWO) in Göggingen (wir berichtete­n) meldet auch das Caritas-Heim St. Verena in der Innenstadt zwei positiv getestete hochbetagt­e Bewohnerin­nen. Deren Zustand sei aktuell stabil. Hinzu kommen laut Hofmann zehn weitere Bewohner mit Symptomen, deren Testergebn­isse am Montag noch nicht vorlagen. Auch im Bereich der ambulanten Pflegedien­ste gibt es mittlerwei­le Verdachtsf­älle bei Patienten wie Fachkräfte­n.

Eckard Rasehorn, Geschäftsf­ührer der Arbeiterwo­hlfahrt, fordert deshalb unbürokrat­ische Testverfah­ren: „Wir wollen, dass bei einem Verdacht alle Kontaktper­sonen getestet werden, und nicht nur, wenn sie Symptome zeigen.“Wünschensw­ert wäre aus Sicht der Fachleute ohnehin, dass sowohl bei Mitarbeite­rn als auch Bewohnern alle paar Tage ein Abstrich gemacht würde, um Infektione­n möglichst früh auf die Spur zu kommen.

Denn die Angst vor einer Ansteckung mit dem Covid-19-Virus und einem schweren Krankheits­verlauf prägt den Alltag in der stationäre­n wie ambulanten Pflege. Christine Deschler, Chefin des größten privaten Pflegedien­sts in Augsburg, hat neben allen organisato­rischen Problemen auch mit sinkenden Einnahmen zu kämpfen: „Wir haben durch Corona 80 Dauerabsag­en von Patienten beziehungs­weise ihren Angehörige­n“, sagt sie. Von Gesprächen mit Kollegen weiß sie, dass gerade die kleineren privaten Pflegedien­ste teilweise schon ums Überleben kämpfen.

Auch die Pflegeheim­e werden die Auswirkung­en des am Wochenende in ganz Bayern verhängten Aufnahmest­opps zu spüren bekommen. Einerseits sei es durch freie Plätze besser möglich, bei Bedarf Isoliersta­tionen einzuricht­en, anderersei­ts fehle dann das Geld, heißt es. Das St. Afra-Heim im Domviertel hat derzeit nur 50 von 89 Plätzen belegt, sagt Martina Kobriger vom Träger Sozialdien­st katholisch­er Frauen. Große Sorgen plagen sie. „Ich kann es mir nicht leisten, bei den Pflegekräf­ten mit zwei Mannschaft­en zu fahren, die sich nicht begegnen“, schildert sie eines ihrer Probleme.

Mit einem weiteren Handicap haben derzeit sowohl die stationäre­n als auch die ambulanten Angebote zu kämpfen: die Versorgung durch die Hausärzte. Übereinsti­mmend berichten die Arge-Vertreter, dass es oft nicht mehr möglich sei, die Mediziner überhaupt noch zu erreichen. „Manche Praxen verweisen auf ihrem Anrufbeant­worter gleich auf die Nummer 116117, weil sie nichts mehr mit ihren Patienten zu tun haben wollen“, sagt Deschler. Um die medizinisc­he Versorgung der Pflegebedü­rftigen zu sichern, fordert AWO-Chef Rasehorn Unterstütz­ung von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g. Dies könnte etwa durch eine verpflicht­ende Zuordnung von Ärzten an die einzelnen Einrichtun­gen geschehen.

Überhaupt ist Rasehorn auf die Verantwort­lichen in den Gremien – gerade in der Politik – gar nicht gut zu sprechen. „Bei Corona fehlt es am Krisenmana­gement von ganz oben.“

 ?? Foto: Brigitte Mellert ?? Die Senioren in den Pflegeheim­en sind gehalten, die Einrichtun­gen nicht zu verlassen. Anderersei­ts dürfen sie wegen Corona auch keine Besucher mehr empfangen. Die Pflegekräf­te sind ihre einzigen Bezugspers­onen geworden – und stehen gewaltig unter Druck.
Foto: Brigitte Mellert Die Senioren in den Pflegeheim­en sind gehalten, die Einrichtun­gen nicht zu verlassen. Anderersei­ts dürfen sie wegen Corona auch keine Besucher mehr empfangen. Die Pflegekräf­te sind ihre einzigen Bezugspers­onen geworden – und stehen gewaltig unter Druck.

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