Corona-Krise setzt Pflegeheimen zu
Stationäre Einrichtungen und ambulante Dienste fühlen sich in der aktuellen Lage von der Politik im Stich gelassen. Größtes Problem ist die fehlende Schutzkleidung. Dabei ist das Virus längst in den Häusern angekommen
Zeitungen und Fernsehen zeigen täglich Bilder von erschöpften Pflegekräften in den Krankenhäusern. Die Corona-Krise setzt aber auch den Mitarbeitern in den Altenheimen und ambulanten Pflegediensten mächtig zu. Fritz Graßmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in Augsburg (Arge) und DiakonieChef, spricht von einem „enormen Druck“auf die Einrichtungen. „Ständig wird man mit Veränderungen und Anweisungen konfrontiert, die nicht zu Ende gedacht sind und die sich teilweise widersprechen.“Die Folge: „Die Mitarbeiter bekommen zunehmend Angst. Wenn die uns wegbrechen, haben wir wirklich ein Problem.“
Rund 7000 Pflegekräfte sind in Augsburg in Heimen und ambulanten Einrichtungen für etwa 8500 Kranke, Senioren und Menschen mit Behinderung im Einsatz. Sie alle sind in unterschiedlichem Ausmaß von der Pandemie betroffen, wie sich am Montag bei einer Pressekonferenz mit sieben Vertretern der Arge zeigte. Egal ob Stadt, Wohlfahrtsverband oder privater Pflegedienst – die Nöte und Sorgen vereinen alle Träger.
An erster Stelle steht hier die eigentlich vorgeschriebene, aber oft gar nicht zu beschaffende Schutzkleidung – vor allem die speziellen FFP-Masken. Die Träger versuchen dennoch auf allen möglichen Wegen, die Ausrüstung zu bekommen. Bei der CAB Caritas etwa ist eine Mitarbeiterin nur damit beschäftigt, die Seriosität der Anbieter zu prüfen. Aufs Geld dürfen die Pflegeeinrichtungen ohnehin nicht mehr schauen. „Kostete eine Maske bisher zwei Euro, so bezahlen wir jetzt zwischen zehn und 18 Euro pro Stück“, sagt CAB-Geschäftsführerin Brigitta Hofmann.
Auch wenn allerorten die Hygienemaßnahmen verstärkt und Besuchsverbote ausgesprochen wurden, ist das Coronavirus in den Pflegeeinrichtungen nicht mehr nur eine abstrakte Gefahr. Neben der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Göggingen (wir berichteten) meldet auch das Caritas-Heim St. Verena in der Innenstadt zwei positiv getestete hochbetagte Bewohnerinnen. Deren Zustand sei aktuell stabil. Hinzu kommen laut Hofmann zehn weitere Bewohner mit Symptomen, deren Testergebnisse am Montag noch nicht vorlagen. Auch im Bereich der ambulanten Pflegedienste gibt es mittlerweile Verdachtsfälle bei Patienten wie Fachkräften.
Eckard Rasehorn, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, fordert deshalb unbürokratische Testverfahren: „Wir wollen, dass bei einem Verdacht alle Kontaktpersonen getestet werden, und nicht nur, wenn sie Symptome zeigen.“Wünschenswert wäre aus Sicht der Fachleute ohnehin, dass sowohl bei Mitarbeitern als auch Bewohnern alle paar Tage ein Abstrich gemacht würde, um Infektionen möglichst früh auf die Spur zu kommen.
Denn die Angst vor einer Ansteckung mit dem Covid-19-Virus und einem schweren Krankheitsverlauf prägt den Alltag in der stationären wie ambulanten Pflege. Christine Deschler, Chefin des größten privaten Pflegediensts in Augsburg, hat neben allen organisatorischen Problemen auch mit sinkenden Einnahmen zu kämpfen: „Wir haben durch Corona 80 Dauerabsagen von Patienten beziehungsweise ihren Angehörigen“, sagt sie. Von Gesprächen mit Kollegen weiß sie, dass gerade die kleineren privaten Pflegedienste teilweise schon ums Überleben kämpfen.
Auch die Pflegeheime werden die Auswirkungen des am Wochenende in ganz Bayern verhängten Aufnahmestopps zu spüren bekommen. Einerseits sei es durch freie Plätze besser möglich, bei Bedarf Isolierstationen einzurichten, andererseits fehle dann das Geld, heißt es. Das St. Afra-Heim im Domviertel hat derzeit nur 50 von 89 Plätzen belegt, sagt Martina Kobriger vom Träger Sozialdienst katholischer Frauen. Große Sorgen plagen sie. „Ich kann es mir nicht leisten, bei den Pflegekräften mit zwei Mannschaften zu fahren, die sich nicht begegnen“, schildert sie eines ihrer Probleme.
Mit einem weiteren Handicap haben derzeit sowohl die stationären als auch die ambulanten Angebote zu kämpfen: die Versorgung durch die Hausärzte. Übereinstimmend berichten die Arge-Vertreter, dass es oft nicht mehr möglich sei, die Mediziner überhaupt noch zu erreichen. „Manche Praxen verweisen auf ihrem Anrufbeantworter gleich auf die Nummer 116117, weil sie nichts mehr mit ihren Patienten zu tun haben wollen“, sagt Deschler. Um die medizinische Versorgung der Pflegebedürftigen zu sichern, fordert AWO-Chef Rasehorn Unterstützung von der Kassenärztlichen Vereinigung. Dies könnte etwa durch eine verpflichtende Zuordnung von Ärzten an die einzelnen Einrichtungen geschehen.
Überhaupt ist Rasehorn auf die Verantwortlichen in den Gremien – gerade in der Politik – gar nicht gut zu sprechen. „Bei Corona fehlt es am Krisenmanagement von ganz oben.“