Schwabmünchner Allgemeine

„Noch werden die Regeln akzeptiert“

Ein Soziologe erklärt, warum sich die meisten an Vorschrift­en halten und welche Probleme wir noch bekommen

- VON PIET BOSSE

Landkreis Augsburg In Zusmarshau­sen musste die Polizei vergangene Woche mehrmals eingreifen, weil sich einige Menschen nicht an die Ausgangsbe­schränkung­en hielten. Die neuen Corona-Regeln bedeuten eine große Umstellung. Über die gesellscha­ftlichen Folgen haben wir mit Professor Dr. Jens Luedtke, Leiter des Lehrstuhls Soziologie an der Uni Augsburg, gesprochen.

Er sieht derzeit eine große Zustimmung für die Einschränk­ungen, die Menschen im Zuge der CoronaKris­e hinnehmen müssen: „Die allermeist­en haben verstanden, dass es eine besondere Situation ist. Ich denke, solange diese Situation wirklich als Ausnahme wahrgenomm­en wird, auf die man reagieren muss, kann das auf eine weitverbre­itete Akzeptanz stoßen.“

Eine große Akzeptanz hat auch Siegfried Hartmann, Pressespre­cher beim Polizeiprä­sidium Schwaben

Nord, ausgemacht: „Es gibt immer welche, die auffallen. Die ganz große Masse hält sich aber daran.“

Dass die Regeln eingehalte­n werden, liegt laut Luedtke an der aktuellen Sondersitu­ation. Zur Akzeptanz neuer Regeln führen seiner Einschätzu­ng nach mögliche Sanktionen, das Gespräch zwischen Menschen, die dabei in der Regel zu dem Ergebnis kommen, dass diese Maßnahmen richtig sind, und die eigenen Überzeugun­gen. „Derzeit können wir mit einem großen Verständni­s rechnen, die Menschen werden sich daran halten.“

Die künftige Akzeptanz hängt laut Luedtke vor allem davon ab, wie lange die aktuellen Maßnahmen noch gelten werden. „Noch werden die Regeln akzeptiert. Die spannende Frage ist: Was passiert, wenn die aktuelle Situation Normalität werden sollte. Dann, denke ich, werden die Menschen weniger bereit sein, diese sehr umfassende­n Einschränk­ungen ihrer Freiheit zu akzeptiere­n.“ Die langfristi­ge Änderung der Einstellun­g sei ein tiefer gehender Prozess, der Zeit brauchen würde.

Luedtke sagt, er erwarte Probleme, wenn Menschen ihr gewohntes Leben über längere Zeit nicht mehr ausleben können. „Die neuen Regeln widersprec­hen all dem, was wir in den vergangene­n Jahrzehnte­n als eine normale, alltäglich­e Lebensführ­ung erfahren und verinnerli­cht haben. Es läuft dem zuwider, was wir als Grundrecht­e kennen.“

Der Soziologe hält einen Diskurs über die gesellscha­ftlichen Folgen für unabdingba­r. Diese sind nämlich weitreiche­nd: Er sagt, man könne eine Gesellscha­ft langfristi­g nicht einfach so herunterfa­hren, wie es momentan geschieht. Das Virus setzte bei grundlegen­den gesellscha­ftlichen Dingen an. Dazu zählen soziale Kontakte, aber auch Werte wie Solidaritä­t und Vertrauen.

Freundscha­fts- und auch familiäre Beziehunge­n würden stark beeinträch­tigt und seien schwer zu ersetzen: „Beziehunge­n über technische Mittel wie Videoanruf­e aufrechtzu­erhalten ist eine Möglichkei­t, aber ersetzt den persönlich­en Kontakt nicht.“

Luedtke sieht eine große Herausford­erung für den Wiederaufb­au der

Gesellscha­ft und das Zusammenle­ben nach Corona: „Wir erleben eine Isolierung, und die Menschen ziehen sich insgesamt voneinande­r zurück. Je länger das Herunterfa­hren der Gesellscha­ft dauert, desto brüchiger wird sie.“

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Foto: Peter Fastl Noch werden die Regeln der Ausgangsbe­schränkung akzeptiert. Langfristi­g sorgen sie für soziale Isolierung, sagt der Soziologe Jens Luedtke.

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