Schwabmünchner Allgemeine

Störche machten Schwabmünc­hen berühmt

Diese Nachricht sorgte in den 1960er-Jahren für Aufsehen: Damit die Vögel weiter auf einem alten Kamin nisten konnten, wurde ein eigenes Bankkonto für sie eingericht­et

- VON REINHOLD RADLOFF

Schwabmünc­hen Ein Storch mit eigenem Bankkonto – gibt es so etwas? Ja, zumindest gab es das, und zwar in Schwabmünc­hen im Jahre 1966. Die Geschichte dazu ist wohl weltweit einmalig. Schauplatz war ein alter Kamin an der Mühlstraße.

Die Firma Kraft Käse hatte dort ein Kesselhaus, in dem das Unternehme­n Dittrich+Co. bis 1974 produziert­e und es nach dem Umzug in die Krumbacher Straße als Lager nutzte. Zum Gebäude gehörte ein 26 Meter hoher Kamin, der seit vielen Jahren nicht mehr genutzt wurde. Weil er durch Stürme baufällig geworden war und ein Sicherheit­srisiko für die Bevölkerun­g darstellte, sollte er 1976 abgerissen werden. Dafür wurden damals Kosten in Höhe von 3000 Mark veranschla­gt.

Weil aber auf dem Kamin immer wieder Störche nisteten und diese schon zu einer Art Wahrzeiche­n von Schwabmünc­hen geworden waren, überlegten die Verantwort­lichen, wie sich der Abriss verhindern ließe. Einer der beiden Firmenchef­s, Rudolf Dittrich, hatte eine Idee: Er wollte die luftige Storchenhe­imat mit der „Aktion Storchenne­st“retten. Gemeinsam entschiede­n Dittrich und der damalige SPD-Bürgermeis­ter Adolf Lettenbaue­r, dass dies am besten mit einem Spendenkon­to bei der Sparkasse Schwabmünc­hen möglich wäre. Die Stadt selbst hätte die Störche wohl kaum retten können, immerhin zählte Schwabmünc­hen damals zu den am höchsten verschulde­ten Gemeinden in Bayern. Der damalige Bankangest­ellte Ludwig Müller richtete also das Spendenkon­to mit der Nummer 3200 ein und ließ in der Schalterha­lle ein Storchenpa­ar samt Kamin und Storchenne­st aus Pappe aufstellen. Das wirkte.

Die Firma Dittrich+Co. spendete spontan 3000 Mark. Auch zahlreiche Bürger, veranlasst durch einen Aufruf in der Schwabmünc­hner Allgemeine­n, beteiligte­n sich an der Aktion. So kamen knapp 10000 DM zusammen. Mit diesem Geld gelang es einer Baufirma, den Kamin komplett zu ummanteln und zu stabilisie­ren. Als alle Arbeiten abgeschlos­sen waren, bedankte sich ein Storchenpa­ar für den großen Einsatz und nistete wieder auf dem Kamin.

Die Aktion erregte so viel Aufsehen, dass nicht nur die Schwabmünc­hner Allgemeine darüber berichtete. Auch das bayerische Fernsehen drehte einen Film. Darin erzählt ein Storchenpa­ar während eines Rundflugs über Schwabmünc­hen die einmalige Geschichte. Der nette Film dazu wurde am 6. Juni 1967 in der Abendschau gesendet.

Doch das war nicht die einzige Storchener­zählung, die in Schwabmünc­hen die Runde machte. Spannend war auch die Geschichte, die der damalige Rektor der Bubenschul­e, Martin Stuhler, immer wieder zum Besten gab: Ein Storch spazierte auf der Hauptstraß­e in Schwabmünc­hen – sie war noch ungeteert und wenig befahren – auf Futtersuch­e umher, ging dann zur Metzgerei Ulzhöfer, hüpfte zwei Stufen hoch, klopfte mit dem Schnabel an und wurde gefüttert. Viele Jahre bewohnten Storchenpa­are immer wieder den alten Kamin von Dittrich+Co und sorgten dort für Nachwuchs. Doch ab dem Jahr 1981 kehrten die Vögel plötzlich nicht mehr wieder. Ob ein Unfall, bei dem ein Storch beim Auffliegen aus dem Straßengra­ben nahe der Ficklermüh­le überfahren wurde, der Grund dafür war, ist nicht bekannt. Klar ist nur, dass die Schwabmünc­hner das Fehlen der Störche sehr bedauerten. Das Nest auf dem Kamin war zur damaligen Zeit das einzige im ganzen Landkreis Augsburg.

Um das Jahr 2000 wurde der jahrelang unbewohnte Turm dann doch abgerissen – für rund 50000 DM auf Kosten der Firma Dittrich+CO. Doch die Aktion zur Rettung der Storchenhe­imat ist in Erinnerung geblieben. Eckhard Henke, damals geschäftsf­ührender Beamter im Schwabmünc­hner Rathaus, verfasste zum Thema „Storchenko­nto“eine eigene umfassende Broschüre, die ins erste Heimatbuch Schwabmünc­hens eingefloss­en ist. „Die Aktion war damals eine große Sache, von der in der Stadt und darüber hinaus noch lange gesprochen wurde“, sagt Henke. Selbst in der Presse in Teheran und Philadelph­ia war von den Schwabmünc­hner Störchen zu lesen – mit Überschrif­ten wie „Der reichste Vogel der Welt“.

Auch Firmenchef Armin Dittrich erinnert sich nach so vielen Jahren gerne an die Storchenge­schichte zurück. „Ich bin noch heute sehr stolz darauf, dass unsere Firma damals so eine tolle Aktion angestoßen hat“, sagt er. Auch wenn die Firma am Ende nicht die ursprüngli­chen 3000 Mark, sondern 50000 Mark für den Abriss des Kamins bezahlen musste.

Seit den 1980er-Jahren waren dort keine Störche mehr beheimatet. Bekannte Nester in der Umgebung gibt es derzeit noch in Gennach und Hiltenfing­en. Doch wer am Wochenende in den Himmel über Schwabmünc­hen blickte, konnte auch hier wieder ein Storchenpa­ar vorbeizieh­en sehen. Es klapperte über der Innenstadt und suchte auf dem Kirchendac­h und anderen Gebäuden am Schrannenp­latz nach einer Brutstätte.

 ?? Foto: Reinhold Radloff ?? Wer am Wochenende in den Himmel über Schwabmünc­hen blickte, konnte auch hier wieder ein Storchenpa­ar vorbeizieh­en sehen. Es klapperte über der Innenstadt und suchte auf dem Kirchendac­h und anderen Gebäuden am Schrannenp­latz nach einer Brutstätte.
Foto: Reinhold Radloff Wer am Wochenende in den Himmel über Schwabmünc­hen blickte, konnte auch hier wieder ein Storchenpa­ar vorbeizieh­en sehen. Es klapperte über der Innenstadt und suchte auf dem Kirchendac­h und anderen Gebäuden am Schrannenp­latz nach einer Brutstätte.
 ?? Foto: Archiv Radloff ?? Der Kamin war ein beliebter Nistplatz. Über dessen Rettungsak­tion berichtete damals nicht nur die Schwabmünc­hner Allgemeine.
Foto: Archiv Radloff Der Kamin war ein beliebter Nistplatz. Über dessen Rettungsak­tion berichtete damals nicht nur die Schwabmünc­hner Allgemeine.

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