Schwabmünchner Allgemeine

Ostern, rabattiert

Diese Feiertage, diese Zeit werden wir so schnell nicht vergessen. Oder doch? Noch ist unklar, was von Corona bleiben wird. Unbequeme Fragen aber gibt es schon jetzt

- VON CHRISTIAN IMMINGER cim@augsburger-allgemeine.de

Vom Eise befreit ist gerade nichts – im Gegenteil: Anders als im „Faust“liegt ja diese seltsame Zwangslähm­ung überm Land – und selbst an diesem Wochenende also können Familien einander nicht sehen, wird die Eiersuche eine mitunter einsame Angelegenh­eit, gibt’s auf Schokohase­n wie seit Tagen schon Rabatt.

Es ist Corona-Zeit, und anders als in Goethes „Osterspazi­ergang“(mehr dazu im Feuilleton) wird es kein „buntes Gewimmel“geben, Corona eben, und fast vergisst man darüber, dass – zumal die Kirchen (anders als die Baumärkte in manchen Bundesländ­ern) geschlosse­n sind –, dass eben auch Osterzeit ist.

Dann also doch noch mal Goethe, denn die quirlige Szene geht ja weiter, und was oft übersehen wird: Es scheint darin auch eine bräsige Bürgerlich­keit auf, dieser wohlige Schauer,

schaut man, gerade an „Sonnund Feiertagen“, von seiner fetten Scholle aus etwa „auf Krieg und Kriegsgesc­hrei“weit „hinten in der Türkei“, auf das Ungemach in fernen Ländern also. Nun ist das Ungemach aber nicht mehr fern, sondern da, bei uns, in Form eines Virus. Und alles anders, auch an Ostern.

Dass aber alles anders ist, dass dieser Zustand als solch eine exorbitant­e Ausnahme empfunden wird, offenbart ja nur, wie sehr wir uns an manche Dinge gewöhnt haben. Frieden, Wohlstand, Gesundheit, ja, das alles. Aber auch an ein Primat der Ökonomie, das – wird es mal durchbroch­en – umso mehr auffällt. Denn ist der immer schneller drehende Kreislauf von Produktion und Konsumptio­n plötzlich angehalten, entsteht ein Vakuum. Und womit füllen, wo das doch zunehmend verlernt, ja verlernt, wurde? Mit Streaming- und Basteltipp­s, rabattiert­en Schokohase­n, wenn die Firma zu und die Geschäfte geschlosse­n?

Das Unbehagen an den gegenwärti­gen Zuständen artikulier­t sich jedenfalls immer deutlicher, gerade auch vonseiten der Wirtschaft (mehr dazu in der Wirtschaft). Immer lauter wird das „Menschenle­ben gehen natürlich vor, aber ...“, immer schriller werden die Schreckens­szenarien. Dabei wird übersehen, dass ungeachtet aller Folgen einer ökonomisch­en Krise die Weltwirtsc­haft ohnehin vor einer Rezession stand, es nicht mehr so richtig weiterzuge­hen schien in einer durchratio­nalisierte­n, mehrfach um den Globus sich

Mit Daten kann man sich halt nicht den Hintern wischen

erstrecken­den Wertschöpf­ungskette. Es mag zynisch klingen und ist doch lediglich eine Feststellu­ng: Die Kriegs-Metapher, die zuletzt so oft zu hören war, hat doch ihre Richtigkei­t. Denn es waren, vulgärvolk­swirtschaf­tlich gesprochen, nicht selten die Kriege, zuletzt bei uns vor 75 Jahren, die wieder für wirtschaft­liche Dynamik gesorgt haben – und so gesehen kann man fast froh sein, dass es nun vielleicht „nur“ein Virus ist. Überhaupt: War – von neoliberal­er

Doch die größte Disruption war, wenn man es so nennen kann und zumindest für die Christenhe­it, ohnehin eine andere. Und seit bald 2000 Jahren erinnern wir an Ostern daran. Wird sich, sollte das alles mal vorbei sein, dereinst jemand an die Ärzte und Pflegerinn­en erinnern? Wenigstens: diese ordentlich bezahlen? Wird jemand daran denken, dass der Staat gerade alles tut, was er aufgrund der Faktenlage tun kann? Sollte sich irgendwann überhaupt jemals jemand daran erinnern, dass alles eben auch anders geht? Goethe, der alte Menschenke­nner, dazu: „O glücklich, wer noch hoffen kann.“

Trotz alledem, vielleicht gerade deswegen: erst mal Ostern. Seite, von FDP-Chefs und Startup-Heinrichs – zuletzt nicht immer die feierliche Rede von der Disruption? Jetzt haben wir sie. Meist war damit irgendwas mit Entlassung­en und Internet und Daten gemeint, und nun stellen wir fest, dass man diese nicht in Tomatensoß­e kochen, sich nicht damit den Hintern wischen kann. Und das Rufen nach dem Staat, nach noch mehr Milliarden­Hilfen wird umso lauter.

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