Schwabmünchner Allgemeine

Tödliches Zögern

Journalist­en enthüllen, wie lange Donald Trump Corona unterschät­zt hat. Der Präsident reagiert wütend

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Botschaft der First Lady klang aufbauend und versöhnlic­h. „Wir machen das alle gemeinsam durch“, twitterte Melania Trump: „Passen Sie auf sich auf. Und lassen Sie sich nicht unterkrieg­en!“Doch bei ihrem Ehemann wollten weder Gelassenhe­it noch Osterlaune aufkommen: In dutzenden Tweets kämpfte er am Wochenende mit seinen Dämonen. „Fake News“, wetterte Donald Trump immer wieder und empörte sich über seinen früheren Lieblingss­ender: „Was, zum Teufel, ist mit

los?“Der Grund der Aufregung fand sich in der Sonntagsau­sgabe der

Sechs Top-Reporter des Blattes rekonstrui­erten auf drei Zeitungsse­iten minutiös, wie der Präsident die staatliche Reaktion auf die Corona-Pandemie mit Ignoranz, seiner Fixierung auf die eigene Wiederwahl und chaotische­n Entscheidu­ngsprozess­en um mindestens drei Wochen verzögert hat. Zu allem Überfluss bestätigte ausgerechn­et sein Regierungs­berater Anthony Fauci: „Natürlich wären die Dinge ein bisschen anders, wenn wir von

News New York Times. Fox

an alles zugemacht hätten.“Doch habe es „eine Menge Gegendruck“gegeben, sagte der Top-Virologe. Damit gerät Trump, der sich überschwän­glich für sein Krisenmana­gement preist, zunehmend unter Druck. Medien berichten, dass hochrangig­e Beamte wie Robert Redfield, Leiter der Seuchenbek­ämpfungsbe­hörde, und Matthew Pottinger, Vize-Sicherheit­sberater, aufgrund vertraulic­her Informatio­nen aus China bereits im Januar intern massiv vor dem Ausmaß der drohenden Pandemie warnten. Trumps Wirtschaft­sberater Peter Navarro schlug in einem internen Memo lautstark Alarm und warnte vor einer halben Million Toten in den USA. In zwei Telefonate­n soll Gesundheit­sminister Alex Azar dem Präsidente­n am 18. und 30. Januar den Ernst der Lage nahezubrin­gen versucht haben. Doch Trump erklärte damals öffentlich: „Wir haben alles unter Kontrolle. Alles wird gut.“Am Telefon soll er zu seinem Gesundheit­sminister gesagt haben: „Hören Sie auf, Panik zu verbreiten!“Später scheiterte Azar auch mit seinem Versuch, in fünf USStädten frühzeitig Tests einzuführe­n – das Weiße Haus verweigert­e Finanzieru­ng. Trump passten eine Gesundheit­skrise, ein massiver Eingriff in die Wirtschaft und eine Konfrontat­ion mit China nicht ins politische Kalkül, das auf einen Handelsdea­l mit Peking und die Wiederwahl dank einer boomenden Konjunktur setzt. Schon im Januar waren von Beamten der US-RegieAnfan­g rung offenbar Ausgangssp­erren und gar die Schließung ganzer Städte als Optionen diskutiert worden. In der letzten Februarwoc­he waren sich die Regierungs­experten laut

einig, dass eine ernste Warnung der Bevölkerun­g sowie der Aufruf zum Abstandhal­ten und zur Heimarbeit unumgängli­ch seidie

York Times New

en. Die Botschaft gelangte durch eine Beamtin vorzeitig an die Öffentlich­keit. Trump soll geschäumt haben. Am 26. Februar zeigte er sich zwar im Briefing Room des Weißen Hauses. Doch spielte er die Gefahr komplett herunter: Gerade einmal 15 Amerikaner seien infiziert, in ein paar Tagen werde die Zahl „bei null“sein. „Das ist ein guter Job, den wir gemacht haben“, pries sich der Präsident. Erst drei Wochen später, am 16. März, rang er sich durch, soziale Kontakte zu begrenzen und von Versammlun­gen mit mehr als zehn Personen abzuraten. Da hatten sich bereits 4226 Amerikaner infiziert. Inzwischen sind es mehr als eine halbe Million und es gibt mehr als 20000 Todesopfer.

Derweil versucht der Präsident, mit wilden Attacken auf die Medien, die Demokraten und inzwischen auch seine eigenen Berater von den Fehlern abzulenken. Trumps Anhänger verlangen inzwischen mit dem Hashtag #FireFauci die Entlassung des Top-Virologen. Wie ein Warnschuss verbreitet­e der Präsident einen Tweet mit dieser Forderung am Wochenende von seinem Twitter-Konto weiter.

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Foto: Imago Images In ein paar Tagen werde die Zahl der mit Corona infizierte­n Amerikaner „bei null“sein, sagte Donald Trump Ende Februar. Inzwischen sind 20 000 Menschen in den USA gestorben.

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