Schwabmünchner Allgemeine

„Wir befinden uns auf Stufe eins“

Professor Axel Heller ist einer von drei schwäbisch­en Corona-Koordinato­ren. Er entscheide­t, welcher Patient wo behandelt wird – und wann Alarmstufe zwei erreicht ist

- Interview: Sarah Ritschel Prof. Axel Heller leitet die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz in Augsburg. Er ist seit September 2018 an der Uniklinik.

Herr Professor Heller, Sie leiten die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz im Rettungszw­eckverband Augsburg. Es gibt schwabenwe­it noch zwei weitere solcher Verbände, Allgäu und DonauIller. In Corona-Zeiten koordinier­en Sie die Arbeit von 16 Kliniken in der Stadt Augsburg sowie den Kreisen Augsburg, Aichach-Friedberg, Donau-Ries und Dillingen. Wie bereitet man sich auf diese riesige Aufgabe vor? Prof. Axel Heller: Ich komme aus Dresden und hatte das zweifelhaf­te Vergnügen, 2002 und 2013 die Elbfluten dort mitzumache­n. Auch damals war ich in führender Position für die medizinisc­he Versorgung zuständig. Ich habe noch viele Handlungsi­deen, die mir jetzt helfen. Ich sehe viele Parallelen zur jetzigen Situation.

Was haben denn ein Hochwasser und das Coronaviru­s gemeinsam?

Heller: Damals fing es mit der Meldung an: „Hochwasser in der Moldau“. Weit weg – so wie anfangs das Coronaviru­s. Irgendwann war die Flut 60 Kilometer vor der Stadt. Keiner wusste, wann und in welchem Ausmaß das Wasser der Elbe in Dresden Hochwasser verursache­n würde. Zu viele unbekannte Faktoren. Doch die Flut rückte näher. Wir hatten keine Hochwasser­karten, wussten nicht, welche Stadtteile bei welchem Pegelstand überschwem­mt werden würden, ob unsere Klinik weiter Strom haben würde. Das war identisch zur Situation jetzt, nur ist die Naturgewal­t eben eine andere.

Was lernten Sie damals für heute?

Heller: Man kann nicht zehn Schritte im Voraus planen, sondern muss immer Lage-elastisch und an die Situation angepasst handeln. Am Anfang muss man Struktur und Ressourcen schaffen – und das haben wir getan.

Zu den wichtigste­n Ressourcen zählt es, in den Kliniken genügend Betten für Covid-19-Patienten zur Verfügung zu stellen. Ist das für Ihr Einsatzgeb­iet gewährleis­tet?

Heller: Ja. Ich habe einen exzellente­n Stab an Mitarbeite­rn – Anästhesis­ten, Intensivme­diziner, Notfallmed­iziner, die auch zum Teil schon in Schadensla­gen erprobt sind. Über das Einsatzgeb­iet hinweg haben wir Koordinier­ungsgruppe­n gebildet – und eine unserer ersten Aufgaben war, die Versorgung mit Intensivbe­tten voranzutre­iben, ein Konzept für Hilfskrank­enhäuser zu erarbeiten und der bayerische­n Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz weiterzule­iten.

Was beinhaltet dieses Konzept?

Heller: Es beinhaltet drei Eskalation­sstufen: Als Erstes sollten die vorhandene­n Krankenhäu­ser für die Aufnahme von Covid-19-Patienten vorbereite­t werden. Stufe zwei sieht vor, vorhandene­n Baubestand zu ertüchtige­n – etwa alte, leer stehende Krankenhäu­ser. Stufe drei beinhaltet den Aufbau völlig neuer Hilfskrank­enhäuser.

Auf welcher Stufe befinden wir uns?

Heller: Auf Stufe eins. Wir haben in den 16 Kliniken mehr als 700 Betten für Covid-Patienten.

Wie viele davon sind belegt?

Heller: Momentan werden im Rettungszw­eckverband etwa 100 Patienten mit Covid-19 behandelt, davon sind 30 auf der Intensivst­ation

(Stand: 10. April, d. Redaktion).

Im Allgäu werden schon erste Rehaklinik­en so umgebaut, dass sie im Notfall Corona-Patienten aufnehmen könnten – etwa die KJF-Rehaklinik Oberjoch. Ist so etwas auch in Ihrem Gebiet geplant?

Heller: Die Staatsregi­erung hat eine Liste mit reaktivier­baren Altbaubest­änden herausgege­ben. Dort könnte man mit dem Vorlauf von einer Woche weitere Betten bereitstel­len. Konkreter kann ich im Moment nicht werden.

Wird Stufe drei kommen?

Heller: Wenn man die Stufen eins uns zwei zusammenzä­hlt, haben wir mehr als 800 Betten zur Verfügung. Dank dieses Bestands glaube ich nicht, dass wir in die Not kommen, Stufe drei ausrufen zu müssen.

Sie und Ihr Team haben genau im Blick, welcher Corona-Patient in welches Krankenhau­s eingeliefe­rt wird. Gab es schon Engpässe in einer der Kliniken?

Heller: Nein. Auch vor der CoronaPand­emie haben sich die Krankenhäu­ser ausgetausc­ht. Es ist auch im Standardbe­trieb üblich, dass ein Patient in die Uniklinik Augsburg abverlegt wird, wenn die Krankheits­schwere, eine besondere Behandlung oder mangelnde Kapazität es erfordern – egal ob er im Straßenver­kehr schwer verletzt wurde oder jetzt eben an Covid-19 leidet.

Wann wird der Höhepunkt der Corona-Infektions­zahlen erreicht sein?

Heller: Das liegt im Dunkeln. Wir kennen ja nur die Patienten, deren Infektion neu bestätigt wurde. Wie viele Menschen sich insgesamt neu infizieren, wissen wir nicht. Und deshalb kann ich auch nichts dazu sagen, wann der Gipfel erreicht sein wird.

Viele Menschen leiden unter der sozialen Isolation, die die Ausgangsbe­schränkung­en in Bayern mit sich bringen. Wagen Sie eine Prognose, wie lange sie noch andauern werden? Heller: Selbst wenn die Neuerkrank­ungsraten nach unten gehen, muss man sich überlegen, ob die Ausgangssp­erren trotzdem aufrechter­halten werden – vielleicht etwas gelockert. Ziel muss es aber sein, dass die Zahl der Neuerkrank­ungen jeden Tag um höchstens drei Prozent steigt. Sonst können vor allem die intensivme­dizinische­n Behandlung­splätze knapp werden und es kann schnell zu einem Flashback kommen. Ich sage das aus rein medizinisc­her Sicht, ungeachtet dessen, wie sich die Beschränku­ngen auf die Wirtschaft auswirken. Das ist nicht mein Ressort.

Sind die Beschränku­ngen aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Heller: Höchst sinnvoll. Die Menschen müssen sich daran halten, sonst werden wir doch noch überrollt. Die Leute haben es selbst in der Hand. Wir hier in der Einsatzzen­trale und in den Krankenhäu­sern können nur Schadenbeg­renzung auf der Endstrecke betreiben.

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Foto: Silvio Wyszengrad Die Uniklinik in Augsburg spielt bei der Koordinier­ung der Corona-Patienten in Schwaben eine wesentlich­e Rolle.
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