Schwabmünchner Allgemeine

Der Hass auf Corona-Patienten

In Südafrika will ein Vermieter eine infizierte Frau aus der Wohnung werfen. In Kenia vergreift sich der Präsident im Ton. Unterwegs mit Krankenpfl­egern, die gegen ein Stigma kämpfen

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Paarl Die Bewohner des Hauses weigern sich, vor die Tür zu treten. Über Lautsprech­er, die auf dem Dach eines Polizeiwag­ens befestigt sind, hat man sie darum gebeten. Es gehe nur darum, über Covid-19 zu informiere­n, lautete die Durchsage in dem südafrikan­ischen Township Mbekweni in der Stadt Paarl. Und ein paar Fragen zu beantworte­n.

Nach einigem Zögern tritt die Mutter der Familie dann doch heraus. Krankenpfl­egerin Wandisa Sopapaza redet ruhig auf sie ein. Es geht darum, Vorbehalte abzubauen. Denn die Tochter der Frau hat ein Video auf ihr Handy weitergele­itet bekommen. Ein Mann behauptet darin, die Teststäbch­en für Covid-19 seien mit dem Virus kontaminie­rt. Man müsse sie meiden. Am gleichen Tag wird der Verfasser wegen Verbreitun­g von Fake News verhaftet, er verbringt die Nacht in der Zelle und wird schließlic­h mit einer Ermahnung laufengela­ssen. Der Schaden derartiger Nachrichte­n ist in Mbekweni offensicht­lich.

Es dauert eine Weile, bis Sopapaza ihre Fragen stellen kann. Besteht Husten, Atemnot, Halsschmer­zen? Gibt es oder gab es zuletzt Fieber? Oder einen Kontakt zu einem Infizierte­n? Internatio­nale Reisen? 2173 registrier­te Erkrankung­en mit Covid-19 gibt es in Südafrika, die meisten in Afrika, wo bislang knapp 15000 Infizierte gemeldet wurden. Ende März verhängte die Regierung einen der strengsten Lockdowns weltweit, zu einem vergleichs­weise frühen Zeitpunkt der Ausbreitun­g. Das Gesundheit­ssystem gilt als das beste des Kontinents, aber auch am Kap ist es ein Kampf gegen die Zeit. Und gegen das Stigma.

Von kleineren Anfeindung­en berichten Patienten in vielen Ländern, auch in Industrien­ationen. Doch besonders in struktursc­hwächeren Staaten gibt es auch eklatante Beispiele. In Indien erhängte sich ein Mann, nachdem er trotz eines negativen Tests einen „sozialen Boykott“erlebt hatte. In Kenia sprach Präsident Uhuru Kenyatta mehrfach von „Corona-Verdächtig­en“und vergrößert­e so das Stigma, das womöglich zum Tod eines Mannes in der Stadt Kwale beigetrage­n hat. Medien berichten, er sei von Jugendlich­en als Covid-19-Infizierte­r beschimpft und getötet worden, nachdem er geniest hatte.

Das sind extreme Ausnahmefä­lle, keine Frage. Im Mbekweni-Town

kooperiert die Mehrheit. Doch wabern vor allem in sozialen Medien die Gerüchte und es droht Gewalt. „Die Leute haben Angst“, sagt Wandisa Sopapaza, „die Stigmatisi­erung ist ein großes Problem und es wird dauern, bis wir das in den Griff bekommen werden.“

Das Armenviert­el gehört zu den ersten in Südafrika, in denen seit Anfang April Krankenpfl­eger wie sie von Tür zu Tür gehen, weil es hier einen Infizierte­n gab. Der Mann wurde umgehend in einem Krankenhau­s isoliert. Dennoch gab es kurz darauf einen Anruf in der Klinik, berichtet Sopapaza; eine Gruppe hatte vor, das Haus des Patienten niederzubr­ennen. Die Polizei musste eingreifen.

In Mbekweni ist nun auch Nomafrench Mbombo angekommen, an der Jacke der Gesundheit­sministeri­n des Westkaps baumelt ein Fläschchen Desinfekti­onsspray, das sie an einem Knopf befestigt hat. Die Politikeri­n will sich ein Bild von dem „Screening-Programm“machen, mit dem landesweit 10 000 Gemeindear­beiter und Krankenpfl­eger beauftragt sind. Sie weiß, wie wichtig jetzt derartige Informatio­nsmaßnahme­n sind.

Die Medizineri­n fühlt sich ein wenig an die 1990er Jahre erinnert, als sie als Ärztin die Stigmatisi­erung von HIV-Patienten erlebte. „Damals zwangen viele Leute Infizierte dazu, die Nachbarsch­aft zu verlassen“, sagt Mbombo, „es gab die Ansicht, HIV sei Resultat von sündigem Verhalten und müsse bestraft werden.“Bei dem Programm in diesen Straßen gehe es nicht nur um das Finden von Bürgern mit Corona-typischen Symptomen. Aufklärung sei genauso wichtig: „Covid-19 kann jeden treffen.“

Im Township Khayelitsh­a in Kapstadt berichtet ein Verwandter der ersten Infizierte­n, dass ihr Vermieter die Patientin rauswerfen wolle, obwohl auch sie isoliert in einer Klinik behandelt wird. Selbst zwei infizierte Ärztinnen, die sich nach ersten Symptomen sofort isoliert hatten, mussten sich von der Gesundheit­sministeri­n ihrer Proship vinz den Vorwurf anhören, sie hätten „das Virus in meine Provinz gebracht, um meine Leute auf dem Land zu infizieren“, berichtet die Nachrichte­nseite Daily Maverick.

Noch gibt es die Kapazitäte­n in Südafrika, Patienten wie die aus Mbekweni oder Khayelitsh­a in Krankenhäu­sern aufzunehme­n, selbst wenn sie keine schweren Symptome aufweisen, aber eine Isolierung zu Hause angesichts der prekären Lebensumst­ände unmöglich ist. Vieles hängt aber nun von den kommenden zwei bis drei Wochen ab. Die Sorge ist groß, dass das ohnehin von der hohen Zahl an HIVund Tuberkulos­e-Patienten strapazier­te Gesundheit­ssystem überlastet werden könnte.

Auf der Straße in Mbekweni ziehen die Gemeinde-Mitarbeite­r weiter, verteilen Flugblätte­r, diskutiere­n. Etwa 30 000 Menschen wohnen in dem Township. „Es wird über einen Monat dauern, bis wir in allen Straßen waren“, glaubt Sopapaza.

Die Frage ist, ob so viel Zeit bleibt.

 ?? Foto: Shiraaz/XinHua, dpa ?? In Ländern wie Südafrika kämpfen Ärzte und Pfleger gegen das Coronaviru­s und gegen viele Vorurteile. In den Armenviert­eln fühlt sich so mancher an die Reaktion auf HIV-Infizierte in den 90er Jahren erinnert.
Foto: Shiraaz/XinHua, dpa In Ländern wie Südafrika kämpfen Ärzte und Pfleger gegen das Coronaviru­s und gegen viele Vorurteile. In den Armenviert­eln fühlt sich so mancher an die Reaktion auf HIV-Infizierte in den 90er Jahren erinnert.

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