Der Hass auf Corona-Patienten
In Südafrika will ein Vermieter eine infizierte Frau aus der Wohnung werfen. In Kenia vergreift sich der Präsident im Ton. Unterwegs mit Krankenpflegern, die gegen ein Stigma kämpfen
Paarl Die Bewohner des Hauses weigern sich, vor die Tür zu treten. Über Lautsprecher, die auf dem Dach eines Polizeiwagens befestigt sind, hat man sie darum gebeten. Es gehe nur darum, über Covid-19 zu informieren, lautete die Durchsage in dem südafrikanischen Township Mbekweni in der Stadt Paarl. Und ein paar Fragen zu beantworten.
Nach einigem Zögern tritt die Mutter der Familie dann doch heraus. Krankenpflegerin Wandisa Sopapaza redet ruhig auf sie ein. Es geht darum, Vorbehalte abzubauen. Denn die Tochter der Frau hat ein Video auf ihr Handy weitergeleitet bekommen. Ein Mann behauptet darin, die Teststäbchen für Covid-19 seien mit dem Virus kontaminiert. Man müsse sie meiden. Am gleichen Tag wird der Verfasser wegen Verbreitung von Fake News verhaftet, er verbringt die Nacht in der Zelle und wird schließlich mit einer Ermahnung laufengelassen. Der Schaden derartiger Nachrichten ist in Mbekweni offensichtlich.
Es dauert eine Weile, bis Sopapaza ihre Fragen stellen kann. Besteht Husten, Atemnot, Halsschmerzen? Gibt es oder gab es zuletzt Fieber? Oder einen Kontakt zu einem Infizierten? Internationale Reisen? 2173 registrierte Erkrankungen mit Covid-19 gibt es in Südafrika, die meisten in Afrika, wo bislang knapp 15000 Infizierte gemeldet wurden. Ende März verhängte die Regierung einen der strengsten Lockdowns weltweit, zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt der Ausbreitung. Das Gesundheitssystem gilt als das beste des Kontinents, aber auch am Kap ist es ein Kampf gegen die Zeit. Und gegen das Stigma.
Von kleineren Anfeindungen berichten Patienten in vielen Ländern, auch in Industrienationen. Doch besonders in strukturschwächeren Staaten gibt es auch eklatante Beispiele. In Indien erhängte sich ein Mann, nachdem er trotz eines negativen Tests einen „sozialen Boykott“erlebt hatte. In Kenia sprach Präsident Uhuru Kenyatta mehrfach von „Corona-Verdächtigen“und vergrößerte so das Stigma, das womöglich zum Tod eines Mannes in der Stadt Kwale beigetragen hat. Medien berichten, er sei von Jugendlichen als Covid-19-Infizierter beschimpft und getötet worden, nachdem er geniest hatte.
Das sind extreme Ausnahmefälle, keine Frage. Im Mbekweni-Town
kooperiert die Mehrheit. Doch wabern vor allem in sozialen Medien die Gerüchte und es droht Gewalt. „Die Leute haben Angst“, sagt Wandisa Sopapaza, „die Stigmatisierung ist ein großes Problem und es wird dauern, bis wir das in den Griff bekommen werden.“
Das Armenviertel gehört zu den ersten in Südafrika, in denen seit Anfang April Krankenpfleger wie sie von Tür zu Tür gehen, weil es hier einen Infizierten gab. Der Mann wurde umgehend in einem Krankenhaus isoliert. Dennoch gab es kurz darauf einen Anruf in der Klinik, berichtet Sopapaza; eine Gruppe hatte vor, das Haus des Patienten niederzubrennen. Die Polizei musste eingreifen.
In Mbekweni ist nun auch Nomafrench Mbombo angekommen, an der Jacke der Gesundheitsministerin des Westkaps baumelt ein Fläschchen Desinfektionsspray, das sie an einem Knopf befestigt hat. Die Politikerin will sich ein Bild von dem „Screening-Programm“machen, mit dem landesweit 10 000 Gemeindearbeiter und Krankenpfleger beauftragt sind. Sie weiß, wie wichtig jetzt derartige Informationsmaßnahmen sind.
Die Medizinerin fühlt sich ein wenig an die 1990er Jahre erinnert, als sie als Ärztin die Stigmatisierung von HIV-Patienten erlebte. „Damals zwangen viele Leute Infizierte dazu, die Nachbarschaft zu verlassen“, sagt Mbombo, „es gab die Ansicht, HIV sei Resultat von sündigem Verhalten und müsse bestraft werden.“Bei dem Programm in diesen Straßen gehe es nicht nur um das Finden von Bürgern mit Corona-typischen Symptomen. Aufklärung sei genauso wichtig: „Covid-19 kann jeden treffen.“
Im Township Khayelitsha in Kapstadt berichtet ein Verwandter der ersten Infizierten, dass ihr Vermieter die Patientin rauswerfen wolle, obwohl auch sie isoliert in einer Klinik behandelt wird. Selbst zwei infizierte Ärztinnen, die sich nach ersten Symptomen sofort isoliert hatten, mussten sich von der Gesundheitsministerin ihrer Proship vinz den Vorwurf anhören, sie hätten „das Virus in meine Provinz gebracht, um meine Leute auf dem Land zu infizieren“, berichtet die Nachrichtenseite Daily Maverick.
Noch gibt es die Kapazitäten in Südafrika, Patienten wie die aus Mbekweni oder Khayelitsha in Krankenhäusern aufzunehmen, selbst wenn sie keine schweren Symptome aufweisen, aber eine Isolierung zu Hause angesichts der prekären Lebensumstände unmöglich ist. Vieles hängt aber nun von den kommenden zwei bis drei Wochen ab. Die Sorge ist groß, dass das ohnehin von der hohen Zahl an HIVund Tuberkulose-Patienten strapazierte Gesundheitssystem überlastet werden könnte.
Auf der Straße in Mbekweni ziehen die Gemeinde-Mitarbeiter weiter, verteilen Flugblätter, diskutieren. Etwa 30 000 Menschen wohnen in dem Township. „Es wird über einen Monat dauern, bis wir in allen Straßen waren“, glaubt Sopapaza.
Die Frage ist, ob so viel Zeit bleibt.