Schwabmünchner Allgemeine

Schöne Blicke zurück

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger-allgemeine.de

Auf die Frage nach einer Erklärung für die Erfolgsges­chichte des Sports im Allgemeine­n und des Fußballs im Besonderen heißt es – weil keiner weiß, wie es ausgeht. Anders gesagt: Sport lebt von Spannung, mögen die 22 Kicker den Ball auch noch so übel traktieren; wenn der Puls der Zuschauer in der 90. Minute beim Stand von 0:0 noch in den Ohren hämmert, hat der Fußball seine Pflicht getan, war der Stadionbes­uch sein Geld wert.

Was aber, wenn der Zuschauer schon weiß, wie der Kick endet, weil er eine Wiederholu­ng sieht – und die möglicherw­eise nicht zum ersten Mal. Weil die Corona-Krise die Bundesliga auf Eis gelegt hat, füllt die ARD den Sendeplatz der Sportschau seit Wochen mit gut abgehangen­en Fußball-Klassikern. Zunächst das EM-Viertelfin­ale gegen Italien 2016, dann das Pokalfinal­e 2014, im Livestream das WM-Finale von 1974 und am Ostermonta­g das WM-Finale von 1990. Wem das zu viel Fußball war und wer angesichts der vielen Absagen im Sport den Überblick verloren hatte, konnte sich samstags des Rad-Klassikers Paris-Roubaix erfreuen. Wenn einer Glück hatte, hatte er schon vergessen, dass der

Belgier Philippe Gilbert den Deutschen Nils Politt erst auf den letzten Metern im Velodrom hinter sich ließ. Aber sonst?

Warum schauen sich Millionen zum wiederholt­en Male an, was sie schon kennen? Weil Sportfans im Allgemeine­n und Fußball-Fans im Besonderen furchtbar sentimenta­l sind. Jeder von ihnen weiß noch, wo er war, als Deutschlan­d 1974 Weltmeiste­r wurde. Der Fernseher gab drei Programme her, auf dem Wohnzimmer­tisch stand Sunkist und Mutti holte zur Feier des Tages eine Flasche Eierlikör aus dem Schleiflac­kschrank, begleitet von der immer selben Frage: „Wer sind die unseren?“Je mehr Vergangenh­eit, desto bezaubernd­er die Wiederholu­ng.

Am Samstag übertrug die ARD das WM-Finale Deutschlan­d-Argentinie­n. Im vorliegend­en Fall lag der Zauber im Ergebnis. Keiner, der es gesehen hat, wird es vergessen haben. 0:0 nach 90 Minuten. Verlängeru­ng. Götzes Traumtor zum 1:0 sahen auch in der Wiederholu­ng noch 1,7 Millionen Zuschauer. Der Autor dieser Zeilen war damals als Berichters­tatter im Stadion. Wer freilich glaubt, das sei ein Vergnügen gewesen, der irrt. Ein Auge aufs Spiel, eines auf den Text und das schlappe Internet in Maracana – während die Druckmasch­inen bereits liefen.

Wunderbar deshalb, diese österliche­n Wiederholu­ngen. Zu wissen, wie ein Spiel ausgeht während die Zeit drängt, ist der Traum jedes Stadion-Berichters­tatters. Darauf einen Eierlikör.

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Foto: dpa Argentinie­ns Torhüter Romero ist geschlagen: Mario Götze trifft zum entscheide­nden 1:0.
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