Der Frieden wird brüchig
Bundeskanzlerin Merkel nutzt ihre Regierungserklärung für klare Warnungen. Doch im Parlament wird der Widerspruch immer lauter. Profitiert davon Armin Laschet?
Berlin Die Kanzlerin hat wegen der langen Sitzung des Koalitionsausschusses nur wenig Schlaf bekommen. Als die CDU-Politikerin am Donnerstag um kurz nach neun ans frisch desinfizierte Rednerpult des Bundestags-Plenarsaals tritt, wirkt sie müde und vom Corona-Kampfgeist der vergangenen Tage ist nicht viel zu spüren. Für eine Ruck-Rede fehlt Merkel die Kraft, was nur zum geringsten Teil an der hinter ihr liegenden Nachtsitzung lag. Die Kanzlerin verspürt nach der anfänglichen Euphorie über eine zunächst erfolgreiche Strategie gegen die Epidemie nun immer heftigeren Druck von Kritikern, die eine Lockerung der strikten Regeln fordern. Der Ton im Parlament hat sich spürbar verändert.
Bereits am Mittwoch vor der Sitzung des Koalitionsausschusses schwirrten die Alarm-SMS herum. Besorgte Abgeordnete berichteten dem Kanzleramt von Anrufen verängstigter Wähler, die sich durch die Corona-Maßnahmen zunehmend ins Abseits gedrängt fühlen. Besonders Gastronomie und Tourismuswirtschaft treten ihren Parlamentariern gerade heftig auf die Füße, unterstützt werden sie von den Bürgermeistern und Landräten vor Ort. Existenzen stehen auf dem Spiel, Saisonkräfte auf der Straße. Kaum jemand hat Verständnis dafür, dass Restaurants und Kneipen noch wochenlang geschlossen bleiben müssen, während andere Branchen bereits wieder Kasse machen.
Der Druck auf Merkel ist auch deshalb groß, weil sich die Abgeordneten auf die Kandidatenaufstellung zubewegen, die etwa ein Jahr vor der Bundestagswahl beginnt. Über die Nominierung entscheidet die Basis vor Ort, nicht die Parteispitze. Und in den Wahlkreisen sei Merkels Vorgehen immer schwerer vermittelbar, erzählen Parlamentarier, bei denen sich zur Sorge um Corona nun die Furcht vor einem schlechten Listenplatz gesellt.
Mit der Sitzung des Koalitionsausschusses am Mittwochabend hatten viele Abgeordnete die Hoffnung verbunden, dass es mehr Licht am Ende des Corona-Tunnels geben würde. Doch statt eines Fahrplans sei „wieder die Geld-Gießkanne“herausgeholt worden, lästerte ein Unionspolitiker. In der Tat schafften es die Koalitionäre nicht, sich auf Lockerungen etwa für Wirte oder Hoteliers zu verständigen. Die auf ein Jahr befristete Senkung der Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie auf sieben Prozent war der kleinste gemeinsame Nenner.
Eine Exit-Strategie liefert Merkel auch in ihrer Regierungserklärung nicht. Ja, die Zahlen seien rückläufig, erklärt die CDU-Politikerin. Gerade weil das Hoffnungen wecke, trete sie als Mahnerin auf. „Wir werden noch lange mit diesem Virus leben müssen“, sagt Merkel und fordert weiter Disziplin ein: „Bleiben wir alle klug und vorsichtig.“
Der Kanzlerin wird schnell die alte Regel vor Augen geführt, dass ein politisches Vakuum sofort von jemand anderem besetzt wird. Den Part des Hoffnungsmachers übernimmt zum einen ausgerechnet AfD-Fraktionschef Alexander Gauland. Er kritisiert eine Bevormundung der Bürger und mahnt plakativ, die Folgen der Maßnahmen gegen Corona dürften nicht schlimmer sein als das Virus selbst. Gauland befeuert damit die Furcht bei den anderen Parteien, dass Populisten die Pandemie für ihre Zwecke ausnutzen könnten.
FDP-Chef Christian Lindner kündigt gar den Stillhaltepakt der letzten Wochen auf. Heute ende die „große Einmütigkeit in der Frage des Krisenmanagements“, lautet die Kampfansage des Fraktionsvorsitzenden, der mit Merkel hart ins Gericht geht. Vier Wochen zuvor hatte seine Fraktion Rettungspaketen und Neuverschuldung noch zugestimmt. Nun muss sich die Kanzlerin kopfschüttelnd den Vorwurf anhören, sie erwecke den Eindruck, dass jeder fahrlässig handele, der sich nicht an ihre Empfehlungen halte. Den Bürgern könne wieder mehr Freiheit zurückgegeben werden, findet Lindner. Quarantäne und Isolation seien „Mittel des Mittelalters“. Wo blieben moderne Apps? Man müsse im Parlament jetzt darüber sprechen, „wie wir Gesundheit und Freiheit besser vereinbaren als in den letzten Wochen. Es ist möglich“, sagt Lindner, dessen Äußerungen in der Union insgeheim auf Beifall stoßen dürften.
Doch auch zwischen den GroKoPartnern werden Haarrisse sichtbar. So regt sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich darüber auf, dass in dieser Woche im Plenum nicht auch über die Grundrente debattiert werde. Und er ärgert sich über „manche altmodische Diskussion“über Steuersenkungen. „Die Menschen stellen sich zurzeit überhaupt nicht die Frage, können sie vielleicht mit einer kleineren Einkommensteuer besser über die Runden kommen. Sondern die fragen: Habe ich noch Arbeit, um überhaupt noch Einkommensteuer zahlen zu können.“
Und auch in der CDU wächst angesichts des strikten Kurses der Kanzlerin die Fangemeinde von Armin Laschet. Dessen Aussage, er vertraue am Ende immer noch seinem politischen Sachverstand und nicht den Aussagen von Wissenschaftlern, hat Begeisterung ausgelöst. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident wächst zum Anführer einer Bewegung heran, die sich für mehr Lockerungen starkmacht. Eine Schar, die nach Merkels erneuter Kritik an den Ländern weiter gewachsen sein dürfte.