Der Hackathon wird zum Marathon
Der Ideen-Wettbewerb„Wir vs. Virus“löste Ende März eine digitale Euphorie-Welle aus. In die Praxis umgesetzt wurde bislang kaum eines der entstandenen Projekte. Ein Grund: Das Geld fehlt. Auch vom Bund
Augsburg Udo macht einen freundlichen Eindruck. Er pflegt eine persönliche Ansprache, duzt sein Gegenüber und formuliert kurze, einfache Sätze. Auch seine Fragen sind präzise. Beantwortet werden sie von Unternehmen, die Kurzarbeit beantragen wollen. Udo nimmt die Angaben und füllt damit ein Formular aus, das dann an die Arbeitsagentur weitergeleitet werden kann. All das läuft voll automatisch ab. Denn Udo ist kein Mensch, sondern ein Chatbot. Ein digitaler Assistent. Er hilft vielen Firmen, die Corona-Krise zu überstehen – obwohl es ihn erst seit wenigen Wochen gibt. Seine Geburtsstunde: der digitale Ideenwettbewerb „Wir vs. Virus“.
An einem März-Wochenende fand unter diesem Motto der größte Hackathon aller Zeiten statt. Bei solchen Design- und Programmierwettbewerben versuchen die Teilnehmer, in kurzer Zeit Aufgaben zu lösen. Der Hackathon „Wir vs. Virus“hatte sich nun also zum Ziel gesetzt, möglichst viele, effektive und umsetzbare Lösungsansätze für coronabedingte Probleme zu finden. Knapp 30000 Menschen, einander meist unbekannt, machten mit und erarbeiteten unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung 1500 Projekte. Eine Euphorie-Welle schwappte durch soziale Medien: Wir schaffen das, und zwar digital. Nur: Von der Idee zur Umsetzung ist es ein großer Schritt. Und so ist außer Chatbot Udo bis heute kaum ein Projekt des Hackathons in die Praxis umgesetzt worden. Der Hackathon ist ein Marathon geworden.
„Die Geschwindigkeit von diesem Wochenende kann niemand durchziehen“, sagt Mia-Malaika Lange, die im Projekt-Team von Chatbot Udo mitarbeitet und in engem Austausch zu vielen anderen „Wir vs. Virus“-Initiativen steht. „Udo war schnell fertig, weil in unserem Team viel Expertise steckt und die Lösung vergleichsweise einfach war. Nicht immer passen diese beiden Faktoren so gut zusammen“, sagt Lange. Insgesamt 130 ehrenamtliche Projekte werden im Nachgang des Hackathons mit einem sechsmonatigen Umsetzungsprogramm gefördert. Bei vielen von ihnen fehlen laut Lange aber Personalstärke, Fachwissen – oder Geld.
„Die Betriebskosten spielen eine große Rolle“, bestätigt Hanna Böck. Die Augsburgerin hat zusammen mit einem Projekt-Team die digitale Plattform „Colivery“ins Leben gerufen. Menschen, die Probleme damit haben, sich mit dem Nötigsten zu versorgen, können dort ihre Einkaufsliste eintragen. Helfer machen sich dann an den Einkauf und liefern die Besorgung möglichst kontaktlos bis vor die Haustür. Damit können vor allem Risikogruppen unterstützt werden. Oder besser: könnten. Bisher ist „Colivery“nicht live. Die Plattform ist noch ein Prototyp, der finanzielle Aufwand deshalb überschaubar. Aber: „Für eine bundesweite Veröffentlichung braucht es Fördermittel oder weiteres Guthaben“, sagt Böck. Kosten würden vor allem benötigte Server oder eine geplante Telefonhotline verursachen.
Damit aussichtsreiche Projekte nicht an den Finanzen scheitern, hatte das Bundeskanzleramt im Zuge seiner Schirmherrschaft Fördermittel zugesagt. Nach Angaben eines Regierungssprechers unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aber nur Projekte in seinem Zuständigkeitsbereich. Das seien nach einer ersten Prüfung 15 bis 30 Projekte, die für drei bis sechs Monate gefördert werden könnten. Man werde diese Projekte mit einer fünfstelligen Summe unterstützen, sagt der Sprecher auf Nachfrage unserer Redaktion. Konkretere Angaben könne er noch nicht machen. Auch wann das Geld fließe, sei offen. „Wir drücken hier aufs Tempo“, erklärt der Sprecher. „Wir streben an, die finanzielle Förderung Anfang Mai starten zu können.“
Auch ohne Unterstützung des Bundes haben die Organisatoren des Hackathons namhafte Förderpartner für das Umsetzungsprogramm gefunden, darunter die Vodafone Stiftung, die BMW Foundation oder Google. Die Organisationen unterstützen das Programm finanziell und bieten den Teams gleichzeitig inhaltliche und infrastrukturelle Expertise an. Ziel bleibt, die Projekte noch während der Krise umzusetzen. Waren all die Bemühungen umsonst, wenn das nicht klappt? „Jedes Team ist angehalten, in seiner Idee flexibel zu bleiben und sie an Bedarfe anzupassen, die auch nach der Krise da sind“, sagt Hackathon-Mitorganisatorin Anna Hupperth. „Die Lösungen sollten dann noch relevant sein.“So wie etwa die NachbarschaftshilfeApp „Colivery“oder Chatbot Udo – Unternehmen werden auch nach Corona Kurzarbeit beantragen müssen.
Auch wenn die Umsetzung vieler Projekte noch stockt: „Wir vs. Virus“war als Sammelbecken kreativer, digitaler Lösungsansätze in der Corona-Krise ein Erfolg – und damit Vorbild. Nach einem weltweiten Hackathon vor zwei Wochen mit 18 000 Teilnehmern veranstaltet die EU-Kommission an diesem Wochenende einen weiteren. Der nächste Marathon beginnt.