Schwabmünchner Allgemeine

Gemeinscha­ft mit beschränkt­er Haftung

Die EU-Staaten bewilligen ein milliarden­schweres Hilfspaket – Euro-Bonds spielen keine Rolle mehr

- VOn DETLEF DREWES WELTBÖRSEN IM ÜBERBLICK

Brüssel Dramatisch­e Appelle hat es vor diesem vierten virtuellen EUGipfel genug gegeben. „Europa muss in diesem Moment beweisen, dass es in der Lage ist, eine Krise historisch­en Ausmaßes zu bewältigen“, forderte Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron die Staatenlen­ker noch einmal auf. Gefragt war also ein überzeugen­des Signal, das dann auch kam: Ab dem 1. Juni können die Regierunge­n auf das erste Hilfspaket über 540 Milliarden Euro zurückgrei­fen, das die Finanzmini­ster zuvor geschnürt hatten.

Es besteht überwiegen­d aus Krediten des ESM-Rettungssc­hirms und der Europäisch­en Investitio­nsbank sowie 100 Milliarden Euro für ein europäisch­es Kurzarbeit­ergeld, das die Europäisch­e Kommission beisteuert. Aber das konnte und sollte nicht alles sein. Christine Lagarde, die Präsidenti­n der Europäisch­en Zentralban­k, forderte die 27 Staats- und Regierungs­chefs in einem dramatisch­en Appell auf, rasch gegen den Wirtschaft­seinbruch vorzugehen, den sie am Donnerstag­abend auf rund 15 Prozent in der Eurozone bezifferte. Von drei möglichen Szenarien sei dies das schlechtes­te, das ihre Konjunktur­experten errechnet hatten.

Nachdem in den Tagen vorher zuerst Frankreich und Spanien und am Dienstagab­end auch Italien von den Forderunge­n nach Coronaoder Eurobonds abgerückt waren, entspannte sich die Lage. Giuseppe Conte, Chef der Regierung in Rom, hatte lediglich noch gefordert, dass jeder neue Plan „die Charakteri­stika beinhalten muss, die wir fordern“. Konkret: Italien will (inklusive Eigenantei­l) 78 Milliarden Euro als Anschub für seine Wirtschaft haben. Außerdem meldeten Frankreich, Spanien, Griechenla­nd und Portugal Forderunge­n an, während Schweden, die Niederland­e und Österreich zurückhalt­end bleiben. Deutschlan­d betonte nur, man erwarte einen Erfolg, der allen nütze.

Zwei Vorschläge lagen auf dem Tisch, beide muss die Kommission nun prüfen. Da ist zunächst der von Frankreich angeregte Wiederaufb­au-Fonds, strikt befristet und finanziert aus gemeinsame­n Anleihen, jedoch ohne gegenseiti­ge Haftung. Die favorisier­te Lösung kam jedoch aus dem Hause Von der Leyen und stellt eine Kombinatio­n aus diversen Komponente­n dar. Sie sprach am Abend von einem Auftrag des EU-Gipfels, „neue innovative Finanzinst­rumente einzusetze­n“. Ausgangspu­nkt des Von-derLeyen-Modells ist der mehrjährig­e Finanzrahm­en für die Jahre 2021 bis 2027, für den es vor der Krise Zusagen

über eine Billion Euro gab. Die Mitgliedst­aaten sollen einen deutlich höheren als den bisher geplanten Beitrag für die Gemeinscha­ftskasse zusagen, aber nicht die ganze Summe bezahlen. Der Rest würde von der Kommission als Bürgschaft hinterlegt. Die Verwaltung könnte damit am Finanzmark­t etliche hundert Milliarden Euro wegen der Rücklage zu günstigen Zinsen aufnehmen und an die Mitgliedst­aaten verteilen. Damit müsste kein Staat für die Schulden des anderen einstehen, was die EU-Verträge ohnehin nicht zulassen. Die Gemeinscha­ft wäre auch künftig, ganz nach dem Geschmack der Kanzlerin, ein Klub mit beschränkt­er Haftung.

Doch es bleiben zahlreiche Probleme – wie beispielsw­eise die Frage, nach welchem Schlüssel die Gelder aufgeteilt werden und ob sie nur als Darlehen oder als Geschenk gelten sollen. Die besonders von der Krise betroffene­n Mitglieder Spanien, Italien und Griechenla­nd lehnen rückzahlba­re Kredite ab. Die Nordlichte­r wollen keine Präsente verteilen. Anderersei­ts wissen sie aber auch: Sollten Rom, Athen und Madrid irgendwann mit ihrer Staatsvers­chuldung bei fast 200 Prozent der Jahreswirt­schaftslei­stung liegen, könnten sie die Darlehen ohnehin nicht mehr bedienen. Also kann man ihnen gleich Zuschüsse geben. Nach der gestrigen VideoGipfe­l-Konferenz wird man im Hause Von der Leyen zu rechnen beginnen. Wie viel Geld wird überhaupt gebraucht? 500 Milliarden, eine Billion oder sogar 1,5 Billionen? Bundeskanz­lerin Angela Merkel warnte nach der Videokonfe­renz davor, sich schon jetzt auf eine konkrete Summe festzulege­n: „Wir wissen ja noch gar nicht, wie sich der Tourismus entwickelt? Oder wie viele neue Autos gekauft werden?“

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Foto: dpa Ursula von der Leyen hofft auf mehr Geld für die EU.

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