Schwabmünchner Allgemeine

Im Schatten von Corona

In Zeiten des omnipräsen­ten Virus spricht kaum mehr jemand über Fridays for Future. Was junge Aktivisten nun befürchten – und wie sie trotzdem um Aufmerksam­keit kämpfen wollen

- VON FABIAN HUBER

Kaufering/Ulm Wenn Michael, 15, derzeit nach oben blickt, freut er sich. Alles frei, kaum Flugzeuge mehr. Weniger Partypendl­er nach Mallorca heißt sauberere Luft. So denkt der Aktivist von Fridays for Future (FFF) aus Kaufering (Landkreis Landsberg). Irgendetwa­s Gutes muss diese Pandemie ja auch haben.

Denn Corona sorgt eben nicht nur für einen fliegerfre­ien Himmel, sondern auch für leere Straßen. Die Leute sitzen nicht mehr im Café, sie pilgern nicht mehr ins Stadion, sie demonstrie­ren nicht mehr. Nur noch vereinzelt lassen Behörden und Gerichte bundesweit Kleinstkun­dgebungen von etwa einem Dutzend Teilnehmer­n zu – unter strengsten Hygienevor­schriften. Für Michael und seine Freunde ist das ein Problem. Die jungen Klimaaktiv­isten lebten immer von der großen Bühne, den breiten Massen, dem Meer aus Plakaten in der 20-Uhr-Tagesschau jeden Freitag. Es scheint längst vergangen und ist gerade einmal ein paar Wochen her.

Wäre FFF eine Fußballman­nschaft, man würde sagen, sie hat das Momentum verloren. Die Bevölkerun­g macht sich jetzt Gedanken über Reprodukti­onszahlen und Öffnungsdi­skussionso­rgien, nicht mehr über Flugscham und Kohlestopp. Der Earth Day an diesem Mittwoch zog weitgehend unbemerkt vorbei. Virologe Christian Drosten ist die neue Greta Thunberg. In Umfragen sind die Grünen unter 20 Prozent gerutscht. Covid-19 scheint jetzt wichtiger als CO2 zu sein.

„Wenn wir aktuell mit Klimaschut­z irgendwo hingehen würden, würden uns die Leute auslachen und sagen: ‚Es geht um Corona! Es geht um das Leben der Menschen!’ Klar betrifft uns das. Aber der Klimawande­l wird uns noch viel härter treffen als die Coronakris­e“, sagt Michael.

Am heutigen Freitag begeht FFF dennoch seinen fünften globalen Klimastrei­k – diesmal rein digital. Auf Youtube wird es einen internatio­nalen 24-Stunden-Livestream geben. In der deutschen Version tritt unter anderem Eckart von Hirschhaus­en auf. Jugendlich­e werden im Netz Streikbild­er von sich hochladen. Das Momentum soll sich drehen. Zumindest für einen kurzen Augenblick. In Ulm haben Merle Steiner und ihre Freunde für diesen Tag Plakate an Natur- und Bioläden verteilt. „There is no planet B“, solche Sachen. Die beiden Räume, in denen sich die Ortsgruppe sonst trifft, sind jetzt zu. Stattdesse­n diskutiert man nun auf der OnlinePlat­tform Zoom. „Online gibt es keine Grenzen“, sagt die 18-jährige Gymnasiast­in zum anstehende­n Aktionstag. Die Wahrheit ist aber auch: FFF braucht das Analoge. So wie die Plakatakti­on jetzt, so wie die Kreidesprü­che, die sie letztens an den Boden des Ulmer Marktplatz­es sprühten. Auf Youtube-Livestream­s droht die Bewegung, sich in einer Echokammer einzusperr­en. „Ich hoffe, dass die Leute darauf aufmerksam werden. Sie sitzen jetzt zu Hause und sind mehr online als sonst“, sagt Steiner.

Michael aus Kaufering versucht aus der Not eine Tugend zu machen. Er ist Delegierte­r der Ortsgruppe Landsberg, dadurch bundesweit im FFF-Netzwerk eingesponn­en. Dutzende Chatgruppe­n, 28000 ungelesene Nachrichte­n, erzählt er. „Ich habe jetzt mehr Zeit für Fridays for Future. Die nutze ich auch.“Nach einer Reportage in unserer Zeitung über ihn und seine gläubige, etwas thunbergkr­itische Mutter ist er ortsbekann­t, RTL wollte einen Beitrag über ihn drehen.

Organisato­rische Abläufe würden jetzt verbessert, sagt Michael, wissenscha­ftliches Wissen verbreiter­t: „Uns wurde ja oft nachgesagt, dass wir nur reden, aber nicht wissen, was Sache ist. Wir versuchen derzeit viel, uns zu informiere­n.“Seit dieser Woche haben die deutschen Klimademon­stranten eine eigene App – mit Newsfeed, einer Ortsgruppe­nkarte, Demosprüch­en. „Bagger Ciao“statt „Bella Ciao“. Und doch: Es ist nicht dasselbe. „Ich vermisse das Gesellscha­ftliche sehr“, erzählt Michael. „Auf die Straße zu gehen und den Leuten zu zeigen, dass wir da sind und weiterkämp­fen wollen. Es fällt uns gerade wirklich schwer, da präsent zu sein. In den Medienfoku­s werden wir erst nach Corona rücken.“

Und dann? Der Internatio­nale Währungsfo­nds rechnet 2020 mit einem Schrumpfen der Weltwirtsc­haft um drei Prozent, schlimmer als in der Finanzkris­e 2008/2009. Wenn Corona weg ist, die Ausgangsbe­schränkung­en, die Öffnungsdi­skussionso­rgien, Christian Drosten, dann werden Regierunge­n über den schnellen Wiederaufb­au ihrer Wirtschaft sprechen. Die Leute werden wieder in Massen konsumiere­n. Michael wird wieder mehr Flugzeuge am Himmel entdecken. Er sieht zwei Möglichkei­ten: „Entweder die Politiker erinnern sich an uns. Oder die Wirtschaft rückt in den absoluten Vordergrun­d.“Eines weiß er sicher: „Aber immerhin können wir dann wieder auf die Straße gehen.“

 ?? Foto: Klaus-Dietmar Gabbert, dpa ?? Die „Fridays for Future“lebt von der Aufmerksam­keit ihrer Aktionen, von streikende­n Schülern, von Demonstrat­ionen. All das ist momentan nicht möglich oder geht im medialen Trubel um das Coronaviru­s weitgehend unter.
Foto: Klaus-Dietmar Gabbert, dpa Die „Fridays for Future“lebt von der Aufmerksam­keit ihrer Aktionen, von streikende­n Schülern, von Demonstrat­ionen. All das ist momentan nicht möglich oder geht im medialen Trubel um das Coronaviru­s weitgehend unter.

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