Wer hat das 15-jährige Mädchen getötet?
Es hätte für die Polizei eine Ermittlungssensation werden können: Nach 40 Jahren finden Kriminalisten Hinweise für die Aufklärung eines Verbrechens. Doch die Indizienkette riss
Aschaffenburg Seit 40 Jahren rätselt die Familie von Christiane J., wer das damals 15 Jahre alte Mädchen umgebracht haben könnte. An einem kalten Dezembermorgen im Jahr 1979 hatte ein Parkwächter die Leiche der Jugendlichen im Aschaffenburger Schlosspark am Mainufer gefunden. Wer sie dort über eine Brüstung geworfen hat, der bereits Toten noch einmal Schläge mit einem Kantholz versetzt hat, wer sie teilweise entkleidet und ihr eine Bisswunde in der Brust zugefügt hat – all das bleibt auch nach einem monatelangen Prozess ungeklärt, der am Donnerstag vor dem Landgericht Aschaffenburg zu Ende ging.
Der Angeklagte, ein damals 17 Jahre alter Junge aus der Nachbarschaft des Opfers, wurde von der Jugendkammer des Landgerichts vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. „Nach der durchgeführten äußerst umfangreichen Beweisaufnahme ist auch nicht ansatzweise bewiesen, dass der Angeklagte am 18.12.1979 Christiane J. ermordet hat“, sagte der Vorsitzende der Kammer, Karsten Krebs, in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Dabei sah noch vor einem Jahr alles nach einer polizeilichen Sensationsleistung aus: Eine Gruppe von auf Altfälle spezialisierter Ermittler der Aschaffenburger Kripo hatte sich hinter den jahrzehntelang ungelösten Fall geklemmt. Tatsächlich fanden die Kriminaler auf alten Bildern die scheinbar entscheidende Spur. Eine Bisswunde an der Leiche, der unmittelbar nach dem Verbrechen offenbar nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet worden war. Ein zahnmedizinisches Gutachten gab den Polizisten recht: Das besondere Gebiss des Angeklagten – schon in den Wochen nach der Tat zum engeren Kreis der Verdächtigen gezählt – passe exakt zu der Bissspur.
Im Prozess sollte die Gutachterin sogar von einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“für eine Übereinstimmung sprechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein anderer war, gehe gegen null, hatte die Gutachterin erklärt. Doch am 6. Februar platzte die Bombe. Das Gutachten der Münchner Professorin Gabriele Lindemaier erwies sich als so fehlerhaft, dass es für das Gericht
völlig wertlos war. Die Gutachterin war unter anderem von einem angeblich genetisch nicht angelegten Zahn ausgegangen, der aber auf später aufgenommenen Röntgenbildern zu sehen ist.
Damit nicht genug: Die von der Polizei zur Verfügung gestellten Röntgenaufnahmen negierte sie „mangels Relevanz“. Das Gericht bekam Zweifel, untersuchte das Gutachten und stufte es als wertlos ein. Der Angeklagte wurde aus seiner monatelangen Untersuchungshaft entlassen, ein zweiter Gutachter musste her. Dieser kam zu einem völlig anderen Ergebnis. Auch wenn nichts auszuschließen sei: Es gebe keine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte wirklich der Verursacher der Bisswunde sei. Der Prozess war gelaufen. Die Bisswunde habe nicht das gezeigt, was sie hätte zeigen sollen, sagte Staatsanwalt Marco Schmitt in seinem Plädoyer.