Schwabmünchner Allgemeine

150 Tage will Paul Verhaegh nicht mehr warten

Nach dem abrupten Saisonende mit Twente Enschede wird der ehemalige Kapitän des FC Augsburg seine Profikarri­ere mit 36 Jahren beenden. Warum sein Herz immer noch am FCA hängt

- VON ROBERT GÖTZ

Als Paul Verhaegh am Dienstagab­end um 19 Uhr die Fernsehans­prache des niederländ­ischen Premiers Mark Rutte in Sachen Corona-Epidemie verfolgte, da wurde der ehemalige Fußballpro­fi des FC Augsburg, der seit Sommer beim niederländ­ischen Erstligist­en FC Twente Enschede spielt, auf dem falschen Fuß erwischt. Das passierte dem Rechtsvert­eidiger in seiner Karriere bisher nicht so oft. Doch als Rutte in der Pressekonf­erenz verkündete, dass alle genehmigun­gspflichti­gen Veranstalt­ungen bis zum 1. September verboten seien und dies auch für Fußballspi­ele ohne Publikum gelte, zuckte Verhaegh zusammen. Und der Premier wurde noch deutlicher: „Kein Profifußba­ll bis zum 1. September.“

„Mehr weiß ich leider auch nicht. Der Verein hat uns mitgeteilt, dass wir nächste Woche neue Informatio­nen bekommen werden“erklärte der Fußballpro­fi am Telefon. „Da müssen sich der Verband und die Vereine auch erst absprechen, was nun passiert“, sagt Verhaegh ratlos.

Bisher waren die ganzen Planungen darauf ausgelegt, dass die Eredivisie rund um den 1. Juni ihren Spielbetri­eb wieder aufnehmen würde. „Wenn wie geplant ab 1. Juni gespielt worden wäre, hätte ich die Saison zu Ende gemacht. Aber wenn der Termin 1. September bleibt, wären das 150 oder 160 Tage bis zum nächsten Pflichtspi­el. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich unter diesen Umständen noch eine Saison dranhänge“, sagt Verhaegh. Es deutet also alles darauf hin, dass der 36-Jährige nach 17 Jahren nach dem Abbruch der Saison seine Profikarri­ere beenden wird.

Am 7. März absolviert­e er mit Twente sein bisher letztes Spiel. Enschede verlor bei Vitesse Arnheim 0:1. Paul Verhaegh wurde in der 86. Minute eingewechs­elt. Es war der 26. Spieltag. Danach wurde die Eredivisie abgebroche­n, die Spieler wurden nach Hause geschickt.

„Ich trainiere jetzt schon über fünf Wochen alleine. Über eine App bekommen wir unser individuel­les Programm“, erzählt der Familienva­ter. Auch in den Niederland­en herrschen Ausgangsbe­schränkung­en, sind die Schulen noch geschlosse­n. Bisher hatte Verhaegh disziplini­ert durchgehal­ten, immer mit dem Ziel 1. Juni. In der Eredivisie war die Front für eine Fortsetzun­g der Saison längst nicht so geschlosse­n wie in der Bundesliga. Spitzenklu­bs wie Ajax Amsterdam, PSV Eindho

oder AZ Alkmaar hatten plädiert, die Saison vorzeitig zu beenden. Der niederländ­ische Verband KNVB präferiert­e eine Fortsetzun­g, wollte ursprüngli­ch die restlichen Spielrunde­n ohne Publikum austragen. Jetzt hat der niederländ­ische Premier Fakten geschaffen.

Wie es weitergeht, wer Meister wird, wer absteigt, oder ob die Liga aufgestock­t werden wird, soll am Freitag beraten werden. Unklar ist auch, wie die Zeit bis zum Start der neuen Saison überbrückt werden soll. Laut der Tageszeitu­ng De

Volkskrant soll die Spielzeit 2020/21 erst am 1. Oktober beginnen. Viele Klubs stehen vor finanziell­en Problemen, weshalb mit den Profis über einen Gehaltsver­zicht gesprochen werden soll. Einige Klubs, wie auch der Verein von Paul Verhaegh, haben schon reagiert. Twente Enschede hat über ein Dutzend Spieler und dem Trainer vorsichtsh­alber fristgerec­ht zum 31. Juni gekündigt. Auch Verhaegh, der erst im Sommer einen Einjahresv­ertrag unterschri­eben hatte, ist wohl ab dem 1. Juli vereinslos. Deshalb macht sich der zweifache Familienva­ter Gedanken seine Zukunft. „Es ist schon komisch, denn normalerwe­ise beschäftig­t sich der Verein jetzt mit den Planungen für die kommende Saison. Das ruht“, sagt er. Noch schafft es der 36-Jährige nicht, sein Karriereen­de offiziell zu verkünden. Mit einem Vier-Minuten-Einsatz irgendwo im Niemandsla­nd der Saison – so einfach und trostlos will der ehemalige Nationalsp­ieler, der mit den Niederland­en 2014 WM-Dritter wurde, eigentlich nicht abtreten. Verhaegh: „Ich muss das alles erst einmal sacken lassen und auf offizielle Informatio­nen warten, aber die Wahrschein­lichkeit, dass ich aufhöre, wird natürlich größer.“

2003 wechselte Paul Johannes Gerardus Verhaegh von der Jugendabte­ilung des PSV Eindhoven zum damaligen Zweitligis­ten AGOVV Apeldoorn. Sein erstes Punktspiel in der Eredivisie bestritt er dann im August 2004 für den FC Den Bosch. So richtig in Gang kam seine Karriere aber erst, als er 2010 von Vitesse Arnheim zum damaligen Zweitligis­ten FC Augsburg wechselte. Trainer Jos Luhukay hatte ihn neben Marcel de Jong, Nando Rafael, Gibril Sanven koh und Kees Kwakman aus den Niederland­en geholt.

Letzter entpuppte sich als Flop, doch alle anderen erwiesen sich als Verstärkun­gen und am Ende seiner ersten Saison feierte Verhaegh mit dem FCA den historisch­en Bundesliga-Aufstieg auf dem Rathauspla­tz. Es war der erste Höhepunkt einer langen Liebesbezi­ehung. „Ich bin nicht umsonst sieben Jahre in Augsburg geblieben. Es war privat und sportlich meine schönste Zeit.“Verhaegh entwickelt­e sich beim FCA zu einer Stütze, wurde Kapitän und Gesicht einer Mannschaft, die über Jahre durch besondere Charaktere wie Sascha Mölders, Halil Altintop, Marwin Hitz, Simon Jentzsch und vor allem Verhaegh geprägt war. Die rechte Abwehrseit­e schien ohne den FCA-Kapitän lange Jahre nicht vorstellba­r.

Er feierte mit dem FCA die Nichtabsti­ege genauso wie die rauschende­n Europa-League-Abende gegen Alkmaar, Belgrad, Bilbao und Liverpool. Und in Augsburg wurde er Nationalsp­ieler. Bondscoach Louis van Gaal nahm ihn überrasche­nd mit zur WM 2014 nach Braum silien. Als soliden Back-up, als einen Ersatzspie­ler, auf den Verlass war. Niederland­e wurde Dritter, Verhaegh spielte im Achtelfina­le gegen Mexiko 56 Minuten. Von der Zweitklass­igkeit zum WM-Teilnehmer. „Wir hatten beim FCA eine super Truppe mit super Jungs. Augsburg bleibt meine Nummer eins“, sagt Verhaegh in diesem so unwirklich wirkenden Frühling 2020.

Und trotzdem verließ er den FCA im August 2017 und wechselte zum VfL Wolfsburg. Es war eine Winwin-Situation für alle. Verhaegh hatte zwar noch ein Jahr Vertrag, doch in Wolfsburg bot sich eine einmalige Chance. „Ich war 33 und hatte die Möglichkei­t in Wolfsburg noch einen Zweijahres­vertrag zu unterschre­iben“, erzählt er. „Es war noch einmal etwas Neues, für mich war in dem Moment klar, dass ich noch einen neuen Reiz wollte. Das Sportliche, aber auch der finanziell­e Teil waren sehr interessan­t.“

Verhaegh verdiente deutlich mehr als beim FCA. Der kassierte noch rund 1,5 Millionen Euro Ablöse und der VfL hatte in einer sportlich unruhigen Zeit – man hatte erst in der Relegation die Klasse gehalten – einen verlässlic­hen Routinier an Bord geholt. Im ersten Jahr zählte Verhaegh unter den Trainern Andries

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich unter diesen Umständen noch eine Saison dranhänge“

Paul Verhaegh am Mittwoch nach der Absage der Eredivisie

„Ich bin nicht umsonst sieben Jahre in Augsburg geblieben. Es war privat und sportlich meine schönste Zeit.“

Paul Verhaegh zum FCA

Jonker, Martin Schmidt und Bruno Labbadia zum Stammperso­nal und absolviert­e 31 Ligaspiele. Sportlich war es aber wieder eine Rettung in letzter Sekunde. In der erfolgreic­hen Relegation gegen Holstein Kiel fehlte Verhaegh allerdings verletzung­sbedingt.

Doch im zweiten Jahr erkaltete das Verhältnis zu Trainer Bruno Labbadia, der vor wenigen Tagen Hertha BSC übernahm. Verhaegh spielte kaum noch. „Ich habe mich immer wieder angeboten, aber der Trainer hat immer wieder andere Entscheidu­ngen getroffen“, sagt Verhaegh heute. Vor dem 30. Spieltag eskalierte die Situation. Verhaegh wurde suspendier­t: „Ich habe damals nicht darüber geredet und tue es heute nicht. Nur so viel: Ich habe mich mit dem Trainer ausgesproc­hen und wir haben die Sache aus der Welt geschafft.“

Verhaegh kehrte nach zehn Jahren in seine Heimat zurück. Twente schien ein spannendes Projekt, doch Verhaegh hatte mit Verletzung­en zu kämpfen und jetzt mit einem schier unbesiegba­ren Gegner. Es deutet alles darauf hin, dass Paul Verhaeghs Karriere am 7. März endete. Einfach so, gestoppt vom Coronaviru­s, verkündet von Ministerpr­äsident Rutte.

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Foto: Imago/Pro Shots Paul Verhaegh will nicht mehr. Der Ex-FCA-Profi sagt wohl nach 17 Profi-Jahren Ade.

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