Schwabmünchner Allgemeine

Deutschlan­d wird zum Corona-Vorbild

Viele Länder schauen bewundernd auf die deutschen Erfolge im Kampf gegen die Pandemie. Doch steht die Bundesrepu­blik tatsächlic­h so gut da? Und vor allem: Wie lange noch?

- VON SARAH SCHIERACK

Kürzlich blickte die New

York Times erstaunt nach Deutschlan­d. „The German Exception?“, titelte die Zeitung – die „deutsche Ausnahme“– und berichtete ihren Lesern, dass die Deutschen auffällig wenig Corona-Opfer zu beklagen hätten. Einige Tage später durfte Gesundheit­sminister Jens Spahn den US-Zuschauern des Senders CNBC persönlich die deutschen Erfolge erklären. Und zu Beginn dieser Woche verriet Kanzleramt­schef Helge Braun, wie groß das Interesse aus dem Ausland am deutschen Weg sei: „Viele meiner Amtskolleg­en weltweit rufen mich an und fragen: ,Wie habt ihr das geschafft?‘“

Deutschlan­d, der Corona-Musterschü­ler? Während Experten hierzuland­e noch bewundernd nach Südkorea schauen, haben viele Nationen schon ein neues Vorbild ausgemacht. Doch steht die Bundesrepu­blik wirklich so gut da? Ein Blick in die Statistik zeigt: Deutschlan­d verzeichne­t mit aktuell 150 383 Fällen eine insgesamt sehr hohe Zahl an Corona-Infizierte­n. Rechnet man diese Summe jedoch auf die Fälle pro 100 000 Einwohner um, liegt die Bundesrepu­blik mit knapp 181 Infektione­n eher im weltweiten Mittelfeld. Spanien etwa verzeichne­t über 470 Fälle pro 100000 Einwohner, Italien immerhin noch 314. Dazu kommt: Die Sterblichk­eitsrate – also das Verhältnis der Corona-Infektione­n zu den Covid-19-Todesfälle­n – ist in Deutschlan­d mit aktuell 3,54 Prozent auffällig niedrig. In Belgien liegt die Rate etwa bei über 15 Prozent, in Großbritan­nien bei knapp 13 Prozent.

Doch woher kommen die Corona-Erfolge? Gesundheit­sminister Spahn nannte im amerikanis­chen Fernsehen vor allem zwei Gründe für die niedrige Sterblichk­eitsrate: die vergleichs­weise hohe Zahl an Intensivbe­tten und die großen Testkapazi­täten. Und tatsächlic­h zählte Deutschlan­d nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts bereits vor der Corona-Krise etwa 34 Intensivbe­tten pro 100 000 Einwohner – und damit mehr als viele andere Länder. Auch bei den Tests liegt Deutschlan­d vor vielen anderen Nationen: Nach Angaben des Robert-Koch

Instituts haben deutsche Kliniken und Labore bis zum 19. April 2493 Tests pro 100000 Einwohner durchgefüh­rt. Zum Vergleich: Italien kommt auf 2252 Tests, die USA nur auf 1173.

Der Politologe Uwe Jun hat noch einen anderen Grund für Deutschlan­ds gutes Abschneide­n in der Corona-Krise ausgemacht: „Die Deutschen haben – ähnlich wie die Skandinavi­er

– einen stark ausgeprägt­en Hang zur Regelhafti­gkeit“, betont der Politikwis­senschafts­professor, der an der Universitä­t Trier lehrt. Wenn der Staat bestimmte Regeln wie etwa Ausgangsbe­schränkung­en oder eine Maskenpfli­cht vorschreib­e, würden diese also auch von den meisten Menschen befolgt – anders als in einigen südeuropäi­schen Ländern, wo staatliche Regeln manchmal einen geringeren Stellenwer­t hätten. Jun beobachtet aber auch unter den eher folgsamen Deutschen mittlerwei­le eine Ungeduld.

Eben diese Ungeduld macht vielen Wissenscha­ftlern aktuell Sorgen. „Wir gehören zu den ganz wenigen Ländern weltweit, bei denen die Zahlen wirklich rückläufig sind“, betonte etwa der bekannte Virologe Christian Drosten zuletzt in seinem

NDR-Podcast. „Doch jetzt sind wir dabei, unseren Vorsprung zu verspielen.“Der Wissenscha­ftler befürchtet, dass viele Deutsche nachlässig werden und sich so wieder mehr Menschen mit dem Coronaviru­s infizieren könnten. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel warnte zuletzt in ihrer Regierungs­erklärung, die Lockerunge­n mancher Bundesländ­er seien „forsch, um nicht zu sagen, zu forsch“. Ob Deutschlan­d seinen Vorsprung trotz der Lockerunge­n beibehalte­n kann, wird sich jedoch in den Zahlen nicht vor Anfang Mai zeigen. Erst dann, am 6. Mai, will die Bundeskanz­lerin deshalb mit den Ländern über weitere Erleichter­ungen beraten.

Wie Italien, Frankreich oder China aktuell auf Deutschlan­d blicken, haben unsere Korrespond­enten auf einer Sonderseit­e in der Politik zusammenge­fasst.

Deutsche halten sich gern an Regeln

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