Schwabmünchner Allgemeine

Die Eintracht bröckelt

Bislang halten die Parteien unter dem Druck der Corona-Epidemie zusammen. Doch es gärt unter der Oberfläche und es könnte noch schlimmer werden

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Kanzlerin Angela Merkel musste gebeten werden. Ihre Regierungs­erklärung kam erst auf Druck der CDU/ CSU-Fraktion zustande, wird berichtet. Schließlic­h ist es die eine Sache, wenn die Abgeordnet­en unter sich tagen. Viel bedeutsame­r wird die Angelegenh­eit, wenn die Chefin im Bundestag spricht. In Corona-Zeiten sollte so das Signal nach außen gesendet werden, dass das Parlament arbeitsfäh­ig ist. Vielen Abgeordnet­en war das sehr wichtig, denn sie fühlen sich gerade zu Recht vom Kanzleramt übergangen. Bisher hat die Bedrohung durch das Corona-Virus der Bundespoli­tik eine Art Stillhalte­abkommen aufgezwung­en. Doch die Eintracht bekommt immer mehr Risse und bröckelt.

Mit jedem Tag, mit dem der Infektions­verlauf weniger schrecklic­h erscheint als befürchtet, steigt im Parlament das Bedürfnis nach Debatte und Mitsprache­recht. Alle Entscheidu­ngen im Zusammenha­ng mit der Corona-Epidemie wurden zunächst von Merkel und ihrem Kabinett getroffen. Erst anschließe­nd wurden die Parlamenta­rier um Zustimmung gebeten. Die Abgeordnet­en nahmen das hin, doch der Zweck heiligt die Mittel nicht ewig.

Dabei geht es noch nicht einmal vorrangig um die Corona-Maßnahmen an sich. Abgeordnet­e wie FDP-Chef Christian Lindner stören sich vielmehr und sehr zu Recht daran, dass von der Regierungs­linie abweichend­e Meinungen sofort als falsch gebrandmar­kt und zur Seite gewischt werden. Eine Debatte, wie sie die Verfassung ausdrückli­ch fordert, wird so bereits im Ansatz abgewürgt. Dabei betont Merkel jeden Tag selbst, dass es für die Krise keine Blaupause gibt. Umso wichtiger wäre es, auf den Rat der anderen Parteien zu hören anstatt nur auf die Virologen, die sich offenbar untereinan­der auch nicht einig sind.

Die Unzufriede­nheit macht vor Schwarz-Rot nicht halt. Union und SPD beobachten jeweils argwöhnisc­h, mit welchen Vorschläge­n die andere Seite im Anti-Corona-Kampf nun schon wieder kommt. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass das Virus auch Vorwand ist, um lang gehegte Wünsche durchzuset­zen, die es schon vor Corona gab. Ein Beispiel ist die Senkung

der Mehrwertst­euer auf Speisen. Dafür trommelt der Deutsche Hotel- und Gaststätte­nverband schon seit vielen Jahren und hat nun im Schatten der Krise sein Ansinnen erst einmal durchgeset­zt. Während das aufs Konto der CSU ging, konnte die SPD die Stärkung des Kurzarbeit­ergeldes für sich verbuchen.

Gleichzeit­ig ist Roten wie Schwarzen klar, dass die Republik nicht ewig neue Kredite aufnehmen kann, um die Corona-Schäden auszugleic­hen. In die aktuelle Debatte müssten deshalb schon jetzt Überlegung­en gehören, wie viel Geld man noch in die Hand nehmen will und wer es bekommen soll.

Dass Merkel, sekundiert von ihren Ministern, diese Debatte abwürgt, hat bislang noch keinen offenen Streit nach sich gezogen. Aber die Gemüter sind erhitzt und die nächsten Tage halten viel Zündstoff bereit, um sie zum Kochen zu bringen. Da ist etwa das nächste Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten am Donnerstag. Darunter sind Politiker wie der Nordrhein-Westfale Armin Laschet, der sich offenbar großzügige­re Lockerunge­n vorstellen kann als seine Parteifreu­ndin Merkel. Wenn es da nicht schon knallt, fliegt der Deckel im Juni, spätestens im Juli ganz vom Topf. Dann nämlich laufen die auf nur drei Monate angelegten Hilfsprogr­amme aus und es geht an die unbequemen Wahrheiten. Es wäre gut, wenn Merkel und ihre Gefolgsleu­te bis dahin einen Kitt finden, der die Parteien zusammenhä­lt.

Gerade weil es keine Blaupause gibt, braucht es Debatten

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