Schwabmünchner Allgemeine

„Spahn schreit mich am Telefon an“

FDP legt Chronik des Regierungs­versagens im Umgang mit der Corona-Krise vor. Und Fraktionsv­ize Theurer berichtet von einem denkwürdig­en Anruf des Gesundheit­sministers

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Der Vorwurf wiegt schwer. „Der Eindruck, Bund und Länder hätten von Anfang alles getan, um die sich abzeichnen­de Pandemie zu bekämpfen, ist falsch. Sie agierten zögerlich, inkonseque­nt und mit beinahe täglich wechselnde­n Botschafte­n“, wirft FDP-Fraktionsv­ize Michael Theurer der von Kanzlerin Angela Merkel angeführte­n Regierung und den Ministerpr­äsidenten vor. Theurer stützt sich bei seinen Vorwürfen auch auf eine Risikoanal­yse des Robert-Koch-Instituts, die 2013 vom damaligen Gesundheit­sminister Daniel Bahr verbreitet wurde, aber folgenlos blieb. Folgenlos scheint die Krise an der aktuellen Regierung hingegen nicht vorbeizuge­hen. Theurer berichtet, dass Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) ihn am Telefon angeschrie­n habe, als er die Absage der Tourismusm­esse ITB forderte.

FDP-Chef Christian Lindner hatte diese Woche im Bundestag der

Regierung den Corona-Burgfriede­n aufgekündi­gt. Nun soll ein Schreiben Theurers an die Kollegen der FDP-Bundestags­fraktion offenbar den Kurs für weitere Attacken vorgeben. Mit „Chronologi­e des Versagens“hat er es überschrie­ben. Das Versagen, heißt es in dem Papier, das unserer Redaktion exklusiv vorliegt, habe Jahre vor dem CoronaAusb­ruch begonnen. Der liberale Gesundheit­sminister Daniel Bahr habe 2013 eine Risikoanal­yse für die Verbreitun­g eines solchen Erregers vorgelegt. Das Dokument ist öffentlich zugänglich. Doch folgende Regierunge­n hätten nicht gehandelt. Deshalb fehle es bis heute an Mundschutz-Masken und anderer medizinisc­her Ausrüstung, so Theurer.

Nachdem die erste Corona-Infektion in Deutschlan­d bekannt geworden sei, habe Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) davon gesprochen, dass das Virus kein Grund zur Besorgnis sei. Ebenfalls am 28. Januar habe Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn zur Gelassenhe­it gemahnt.

Anschließe­nd sei die Kanzlerin bis zum 11. März abgetaucht. Weiter beklagt Theurer, er habe am 14. Februar einen Krisengipf­el von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) gefordert. Doch der habe im Radio gesagt: „Im Augenblick glaube ich, dass dadurch keine große Belastung der Weltwirtsc­haft einhergeht.“Noch Anfang März habe Altmaier eingeräumt, keinen Notfallpla­n zu haben. Hart ins Gericht geht Theurer auch mit einigen Landesregi­erungen. Trotz bekannter Corona-Gefahr sei etwa im nordrhein-westfälisc­hen Kreis Heinsberg Karneval gefeiert worden. Und in Bayern hätten Starkbierf­este stattgefun­den, die sich ebenfalls als Verbreitun­gsherde herausstel­lten. Der Twitter-Aufruf von Spahn gegen die Durchführu­ng von Großverans­taltungen

sei zwölf Stunden nach dem Fußballspi­el Gladbach gegen Dortmund gekommen.

Reisende aus Hochrisiko-Gebieten konnten nach Theurers Ansicht viel zu lange ohne Quarantäne, Schnelltes­ts oder auch nur Fiebermess­ung nach Deutschlan­d einreisen. Noch am 6. März habe Spahn gesagt, dass er jede Einschränk­ung des Reiseverke­hrs für nicht angemessen halte. Theurer berichtet, dass er am 28. Februar die Absage der Reisemesse ITB gefordert habe. Daraufhin habe er einen Anruf des Gesundheit­sministers bekommen – eben jenen, in dem es laut geworden sein soll. „Spahn schreit mich am Telefon an und bezichtigt mich der Panikmache“, schreibt Theurer. Tags darauf wurde die ITB abgesagt. Ebenso habe Spahn am 14. März im Internet verbreitet, Berichte über Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens seien „Fake News“. Zwei Tage darauf wurden diese verkündet. Immer wieder habe Spahn von einer „neuen Lage“ gesprochen, „obwohl sich alles genau entwickelt wie zum jeweiligen Zeitpunkt von den meisten Experten prognostiz­iert“. Das mache den Eindruck, als ob die Bundesregi­erung entweder noch immer keinen Plan für die wahrschein­lichsten Szenarien habe „oder die Bevölkerun­g gezielt anlügt, um sie mit Beschlüsse­n zu überrumpel­n“. Den Vorwurf der Lüge erhebt Theurer auch in einem weiteren brisanten Punkt: „Die Bevölkerun­g wurde offenbar lange über die Wirksamkei­t von einfachen Textil-Schutzmask­en angelogen, statt sie darüber aufzukläre­n.“

Theurers Parteichef Christian Lindner hat am Freitag ebenfalls erneut Kritik am Corona-Fahrplan geäußert. Er fordert, die geltenden Auflagen sollten einer „wöchentlic­hen Bewertung und Entscheidu­ng“unterzogen werden. Lindner reagierte damit auf eine Ankündigun­g der Bundeskanz­lerin, dass sie mit den Ministerpr­äsidenten erst am 6. Mai über mögliche weitere Lockerunge­n sprechen werde.

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Michael Theurer

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