Schwabmünchner Allgemeine

Die Chronistin von Wuhan

Die Schriftste­llerin Fang hat den Lockdown poetisch begleitet – nun erlebt sie einen Shitstorm

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Fang Fangs rund 60 Tagebuchei­nträge, verfasst zwischen Ende Januar und Ende März, folgen stets einer simplen Maxime: „Als Zeugen, die wir die tragischen Tage von Wuhan miterlebt haben, sind wir verpflicht­et, für diejenigen Gerechtigk­eit einzuforde­rn, die gestorben sind.“Das tat die 64-jährige Schriftste­llerin mit deutlichen Worten, stellte oftmals das heroische Narrativ der Kommunisti­schen Partei als Virusbekäm­pfer mit weißer Weste infrage. Millionen Chinesen folgten in jener chaotische­n Zeit den Anekdoten und poetischen Gedankenst­richen

Fang Fangs zum Lockdown ihrer Heimatstad­t, veröffentl­icht zuletzt im Magazin Caixin, nachdem ihre Einträge auf sozialen Medien immer häufiger von staatliche­n Zensoren gelöscht wurden. „Es wird gesagt, dass viele Menschen erst jetzt aufwachen und begreifen, dass es sinnlos ist, jeden Tag leere Slogans darüber zu brüllen, wie fantastisc­h unser Land doch ist“, schreibt sie am 4. Februar.

Fang Fang funktionie­rte als Ventil für die Wut der Chinesen gegen die Lokalregie­rung, die durch Vertuschun­gsaktionen und Inkompeten­z die Gefahr des Virus verschlepp­te. Als solches Ventil wurde sie bisweilen auch vom Regime geduldet – solange die Kritikerin gewisse Grenzen nicht überschrit­t. Das Blatt wendete sich jedoch schlagarti­g, als der Publikumsv­erlag Harper Collins ankündigte, die Wuhan-Tagebücher in Buchform im August publiziere­n zu wollen. Noch zuvor wird eine deutsche Version bei Hoffmann und Campe Anfang Juni erscheinen. Seither bricht ein Shitstorm gegen Fang Fang aus, in dem sie als „Verräterin“und „Marionette des Westens“gebrandmar­kt wird. Exemplaris­ch lässt sich an ihrem Beispiel die Scheinheil­igkeit der Zensurbehö­rden erkennen: Diese löschen zwar sämtliche kritische Tagebuchei­nträge der Autorin, genau wie unterstütz­ende Kommentare. Beleidigun­gen gegen Fang Fang, auch der übelsten Art, bleiben hingegen unangetast­et. Auf diesem Wege vollzieht die Kommunisti­sche Partei indirekt, was ihr Chef Xi Jinping „Lenkung der öffentlich­en Meinung“nennt. Nutzer im Netz fragen nun konspirati­v: „Wie kann es sein, dass innerhalb so kurzer Zeit Verträge mit ausländisc­hen Verlagen abgeschlos­sen werden?“Was sie offenbar nicht wissen: Die 64-Jährige hatte zuvor auch von zehn chinesisch­en Verlagen Buchangebo­te erhalten. Angesichts der Kontrovers­e bekamen jedoch alle kalte Füße.

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Foto: dpa Wo alles begann: Ein Passant in Wuhan wird kontrollie­rt.

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